Hindernisse bei der Durchsetzung der Geschlechtergleichstellung

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 (Bild: Pixabay CC0)
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Am 1. Juli 1996 trat das Schweizerische Gleichstellungsgesetz in Kraft. Die Bilanz, 18 Jahre später, zeigt, dass insbesondere im Erwerbsleben noch viel Handlungsbedarf besteht.

Um Unternehmen überhaupt zu Gleichstellungsmassnahmen zu motivieren, sind aktuelle Gleichstellungsprojekte stark auf die Bedürfnisse der Arbeitgebenden zugeschnitten, wie der kürzlich in der „Schweizerischen Zeitschrift für Soziologie“ publizierte Artikel „Wirtschaftsnutzen statt Gleichstellungsnormen. Chancen und Risiken des dominierenden Diskurses in der schweizerischen Geschlechtergleichstellungspolitik im Erwerbsleben“ von Dr. des. Lucia M. Lanfranconi aufzeigt. „Vertreterinnen und Vertreter der schweizerischen Gleichstellungspolitik argumentieren in den letzten Jahren verstärkt mit dem Nutzen von Gleichstellungsprojekten für Unternehmen und kaum mit dem gesetzlich verankerten Gleichstellungsgebot. In aktuellen Gleichstellungsprojekten sollen Arbeitgebende damit einhergehend oft selbst freiwillige und für sie nützliche Massnahmen umsetzen“, erläutert Lanfranconi. Diese strategische Ausrichtung auf den wirtschaftlichen Nutzen und die Freiwilligkeit der Projekte wird von Vertreterinnen und Vertretern der Gleichstellungspolitik angewandt, um überhaupt an die Unternehmen zu gelangen. Denn in der Schweiz fehlen bis anhin Druckmittel und verbindliche Durchsetzungsmechanismen des Gleichstellungsgesetzes gegenüber den Unternehmen.

Chancen und Risiken

Im Rahmen ihrer Doktorarbeit hat Lucia M. Lanfranconi Dokumente und Interviews zur Gleichstellungspolitik (1996 bis 2011) und zu einem für die aktuelle Ausgestaltung der Gleichstellungspolitik exemplarischen Gleichstellungsprojekt sowie dessen Umsetzung in einem KMU analysiert. Die Soziologin kommt zum Schluss, dass die strategische Ausrichtung auf den wirtschaftlichen Nutzen gleichermassen Chancen und Risiken für die betriebliche Gleichstellung birgt: Es wird ein Anreiz bei Unternehmen geschaffen an Gleichstellungsprojekten teilzunehmen und betriebliche Massnahmen zu implementieren. Gleichzeitig würden die Betriebe durch die Freiwilligkeit der Projekte aber auch zum Nicht-Handeln legitimiert. Mit dem Argument, dass Gleichstellungsmassnahmen für Unternehmen einen raschen, ökonomischen Nutzen haben sollen, würden in Betrieben Massnahmen, die einen solchen Nutzen nicht unmittelbar versprechen – wie etwa die Anpassung von Lohnungleichheiten – häufig nicht angegangen. Zudem sei es für die Arbeitgebenden oft rationaler, Massnahmen zu implementieren, von denen die Geschlechtergruppe im Unternehmen profitiert, die bereits bessergestellt ist. Beispielsweise wenn im Rahmen eines Gleichstellungsprojektes ein betrieblicher Vaterschaftsurlaub eingeführt wird, gleichzeitig jedoch frauendiskriminierende Anstellungs- oder Beförderungspraktiken im Unternehmen nicht betrachtet werden, so Lanfranconi.

Überwinden von Hindernissen in der Gleichstellungspolitik

In ihrem Artikel bietet die Soziologin Empfehlungen an, um einer betrieblichen Gleichstellung näher zu kommen: „In freiwilligen Gleichstellungsprogrammen müssten Arbeitnehmende mehr Macht bei der Entscheidung erhalten, welche Massnahmen angegangen werden. Zudem ist es wichtig, dass für alle Mitarbeitenden verbindliche Massnahmen implementiert werden.“ Weiter empfiehlt Lanfranconi, dass ebenfalls auf gesamtschweizerischer, politischer Ebene Strukturen geschaffen und mehr Ressourcen eingesetzt werden, damit neben freiwilligen vermehrt verbindliche Gleichstellungsprojekte möglich werden. „Der Handlungsbedarf für die betriebliche Geschlechtergleichstellung in der Schweiz ist und bleibt hoch. Laut einer aktuellen OECD Studie steht die Schweiz im internationalen Vergleich, etwa im Bereich der geschlechtsspezifischen Lohnlücke, in Bezug auf die Höhe der Lohnlücke, wie auch auf die Veränderung in der Zeit, schlecht da“, betont Lucia M. Lanfranconi.

Der Artikel wurde am 1. Juli 2014 im Schwerpunktheft zum Thema „Gleichstellung der Geschlechter“ in der „Schweizerischen Zeitschrift für Soziologie“ publiziert und ist Teil der kumulativen Dissertation von Lucia M. Lanfranconi an den Universitäten Freiburg (CH) und Hagen (DE).


Kontakt
Dr. des. Lucia M. Lanfranconi, Studienbereich Soziologie, Sozialpolitik und Sozialarbeit, Universität Freiburg, lucia.lanfranconi@unifr.ch, 078 809 90 44