«Das Schweizer Top-Ergebnis beim Internet-Zugang wird durch benachteiligte Bevölkerungsgruppen und steigende Sorgen um die Privatsphäre getrübt. Ein Internet-Zugang ist eben nicht alles», sagt Prof. Michael Latzer von der Abteilung Medienwandel & Innovation des IPMZ der Universität Zürich. Er hat mit seinem Team das «World Internet Project - Switzerland» nach 2011 und 2013 zum dritten Mal durchgeführt. Die repräsentative Umfrage ergab: 88 von 100 Schweizern nutzen das Internet, 5 weitere profitieren, weil sie Verwandten oder Freunde bitten, etwas für sie im Internet zu machen. Damit haben gerade 7 - meist solche mit niedrigem Bildungsgrad, geringem Einkommen und Erwerbslosigkeit - gar keinen Internet-Zugang.
Regionale Unterschiede sind in den letzten Jahren aufgrund höherer Zuwächse im Tessin weitgehend verschwunden. Ein starkes Wachstum zeigt sich bei der mobilen Internetnutzung: Sie hat sich vor allem dank Smartphones seit 2011 verdreifacht (63%). Spitzenreiter sind dabei die 14- bis 29-Jährigen: Über 90% von ihnen sind auch unterwegs online, so auf sozialen Netzwerken wie Facebook.
Frauen hinken bei Zugang, Nutzung und Fähigkeiten hinterher
In den letzten zwei Jahren hat sich erneut ein Gender-Gap aufgetan: Der Internet-Zugang ist bei Männern gestiegen, nicht aber bei Frauen. Letztere liegen auch bei der mobilen Nutzung hinten (58% vs. 67%) und verzeichnen eine geringe Nutzungsintensität. 22 von 100 Schweizerinnen sind weniger als 5 Stunden pro Woche online - doppelt so viele wie bei den Männern. Auch haben sich die Internet-Fähigkeiten der Frauen laut Selbsteinschätzung deutlicher verschlechtert als jene der Männer: 41% der Frauen (2013: 27%) stufen ihre Fähigkeiten mit schlecht oder ausreichend ein. Bei Männern ist dies nur rund ein Viertel. «Das ist problematisch, weil wir aus den Daten gleichzeitig sehen, dass schlechte Internet-Fähigkeiten damit korrespondieren, dass man sich weniger der Informationsgesellschaft zugehörig fühlt und auch weniger gut aktiven Daten(selbst)schutz betreibt», erklärt Prof. Michael Latzer.
Nutzungszeit verdoppelt, mobile Verwendung verdreifacht
Mit durchschnittlich 22 Stunden pro Woche bewegen sich Herr und Frau Schweizer mehr als doppelt so lange im Netz als noch im 2011. 72% der Internetnutzer sind auch unterwegs online - rund dreimal so viele wie noch 2011 (26%). E-Mails und Suchmaschinenn werden am meisten genutzt und haben sich als tägliche Routine etabliert. E-Commerce ist zwar weit verbreitet, beispielsweise kaufen drei Viertel der Nutzer online ein, wird aber vergleichsweise selten genutzt. Das Chatten (71% der Nutzer) explodierte vor allem dank WhatsApp, wobei dort Junge weitaus aktiver sind. Der Anteil an Online-Spielern ist unter den wenig Gebildeten doppelt so hoch wie bei den Hochschulabsolventen. Insgesamt überwiegen nach wie vor die Informationszwecke gegenüber der Unterhaltung, wo Musikanwendungen (69%) und Fernsehnutzungen (zeitversetzt: 46%; live: 43%) besonders stark gewachsen sind.
Internet erstmals wichtigste Informationsquelle
Das Internet ist erstmals die wichtigste Informationsquelle der Schweizer Bevölkerung. Printmedien, Radio und Fernsehen liegen deutlich zurück. Knapp zwei Drittel der Bevölkerung halten die Hälfte der Internetinhalte für glaubwürdig, vor allem jene der SRG, von Kaufzeitungen und Behörden. Inhalte sozialer Online-Netzwerke geniessen vor allem bei Jüngeren nur geringes Vertrauen. Alle Informationsquellen, auch Webseiten, verzeichnen im Jahresvergleich einen Glaubwürdigkeitsverlust.
Service-Public-Auftrag auch in Zeiten des Internets wichtig
Zwei Drittel der Schweizer Bevölkerung stimmen der Aussage zu, dass ein Service-Public-Auftrag auch in Zeiten des Internet wichtig sei (67%). 38% stimmen dieser Aussage sogar stark zu. Im Tessin, bei höherem Alter, Einkommen und Bildungsgrad sowie bei Männern ist die Wertschätzung des Service Public höher. Weniger Zustimmung erfährt die Auftragserfüllung: 44% finden, dass die SRG diesen Auftrag sehr gut erfüllt, 13% stimmen stark zu. 20- bis 29-Jährige am wenigsten (8% starke Zustimmung) und Männer insgesamt mehr als Frauen.
Grosse Zweifel punkto digitaler Demokratisierung
Die politische Informationssuche im Netz (43% der Bevölkerung) steigt seit 2011 stärker als die Diskussionsbeteiligung (6%) oder digitale Protestaktivitäten (5%). Politische Debatten werden hingegen nach wie vor lieber ausschliesslich offline (67%) als online (7%) geführt. Die Skepsis gegenüber einer steigenden Demokratisierung durch das Internet verringert sich seit 2011, überwiegt jedoch insgesamt nach wie vor. Der stärkste positive Effekt des Internets wird weiterhin im besseren Verständnis der Politik vermutet (42% Zustimmung).
Skepsis bezüglich freier Meinungsäusserung steigt
Im Allgemeinen fühlen sich weniger Befragte wohl dabei, alles über Politik zu sagen, was sie denken (45%, -6 Prozentpunkte seit 2013). Auch im Netz nimmt die Skepsis bezüglich der freien Meinungsäusserung im Jahresvergleich zu. Deutlich mehr Leute als 2013 glauben, dass es im Internet nicht sicher ist, alles zu sagen, was man über Politik denkt (63%, +15 Prozentpunkte). Dennoch sprechen sich Internet-Nutzer im Jahr 2015 deutlich stärker dafür aus, dass man im Internet seine Regierung frei kritisieren (55%, +9 Prozentpunkte) darf. Freie Meinungsäusserung im Internet wird von den 20- bis 29-Jährigen am stärksten befürwortet.
Glaube an eigene Kontrollmöglichkeit sinkt und Sorgen um Datenschutz
Die Hälfte der Schweizer Bevölkerung ist besorgt, dass Unternehmen ihre Privatsphäre online verletzen. Die Besorgnis über Datenschutzverletzungen durch die Regierung liegt mit 40% tiefer. Bei den 14- bis 19-Jährigen ist die Besorgnis stark angestiegen, bleibt aber auf tieferem Niveau als bei Älteren. Eine grosse Mehrheit (82%) gibt an, sehr auf den Schutz der eigenen Privatsphäre zu achten. Die älteste und die jüngste Altersgruppe, Wenig-Nutzer und jene mit schlechten Fähigkeiten glauben interessanterweise am meisten daran, ihre Privatsphäre online kontrollieren zu können.