Linke Hände und rechte Hände sind nahezu perfekte Spiegelbilder voneinander. Aber egal, wie sie gedreht und gewendet werden, sie können nicht deckungsgleich Übereinander gelegt werden. Deshalb passt der linke Handschuh einfach nicht so gut auf die rechte Hand wie auf die linke. In der Wissenschaft wird diese Eigenschaft als Chiralität bezeichnet.
Genau wie Hände chiral sind, können auch Moleküle chiral sein. Tatsächlich sind die meisten Moleküle in den Zellen lebender Organismen, wie zum Beispiel die DNA, chiral. Doch anders als Hände, die meist in Paaren von links und rechts vorkommen, kommen die Moleküle des Lebens fast ausschliesslich entweder in ihrer ’linkshändigen’ oder ihrer ’rechtshändigen’ Version vor. Sie sind homochiral, wie Forschende sagen. Warum das so ist, ist noch unklar. Diese molekulare Homochiralität ist jedoch eine charakteristische Eigenschaft des Lebens, eine sogenannte Biosignatur.
Im Rahmen des MERMOZ-Projekt (siehe Infobox) ist es einem internationalen Forschungsteam unter der Leitung des Nationalen Forschungsschwerpunkts NFS PlanetS und des Center for Space and Habitabilty CSH der Universität Bern und der Universität Genf, nun gelungen, diese Signatur aus 2 Kilometern Entfernung und bei einer Geschwindigkeit von 70 km/h nachzuweisen. Jonas Kühn, MERMOZ-Projektmanager vom CSH der Universität Bern und Mitautor der Studie, die soeben in der Fachzeitschrift Astronomy and Astrophysics veröffentlicht wurde, sagt: ’Der bedeutende Fortschritt ist, dass diese Messungen auf einer Plattform durchgeführt wurden, die sich bewegte und vibrierte, und dass wir diese Biosignaturen trotzdem innerhalb von Sekunden nachweisen konnten.’
Ein Instrument, das lebende Materie erkennt
’Wenn Licht von biologischer Materie reflektiert wird, bewegt sich ein Teil der elektromagnetischen Wellen des Lichts entweder im oder gegen den Uhrzeigersinn spiralförmig. Dieses Phänomen wird zirkulare Polarisation genannt und wird durch die Homochiralität der biologischen Materie verursacht. Ähnliche Lichtspiralen werden von der abiotischen, nicht lebenden Natur nicht erzeugt’, erklärt der Erstautor Lucas Patty, MERMOZ-Postdoktorand an der Universität Bern und Mitglied des NFS PlanetS.Diese zirkulare Polarisation zu messen, ist jedoch eine Herausforderung. Das Signal ist recht schwach und macht normalerweise weniger als ein Prozent des reflektierten Lichts aus. Um es zu messen, entwickelte das Team ein spezielles Instrument, ein sogenanntes Spektropolarimeter. Es besteht aus einer Kamera mit speziellen Linsen und Empfängern, die in der Lage sind, die zirkulare Polarisation vom Rest des Lichts zu trennen.
Doch selbst mit diesem aufwendigen Instrument wären die neuen Ergebnisse bis vor kurzem unmöglich gewesen. ’Noch vor 4 Jahren konnten wir das Signal nur aus einer sehr geringen Entfernung, etwa 20 cm, detektieren und mussten dazu dieselbe Stelle mehrere Minuten lang beobachten’, erinnert sich Lucas Patty. Aber die Upgrades am Instrument, die er und seine Kollegeinnen und Kollegen vorgenommen haben, ermöglichen eine viel schnellere und stabilere Detektion, und die Stärke der Signatur in zirkularer Polarisation bleibt auch bei Entfernung erhalten. Das machte das Instrument fit für die ersten zirkularen Polarisationsmessungen aus der Luft.
Nützliche Messungen auf der Erde und im All
Mit diesem aufgerüsteten Instrument, genannt FlyPol, demonstrierten sie, dass sie innerhalb von nur wenigen Sekunden langen Messungen aus einem schnell fliegenden Hubschrauber heraus zwischen Grasflächen, Wäldern und städtischen Gebieten unterscheiden können. Die Messungen zeigen deutlich, dass lebende Materie die charakteristischen Polarisationssignale aufweist, während zum Beispiel Strassen keine signifikanten zirkularen Polarisationssignale zeigen. Mit dem aktuellen Aufbau sind sie sogar in der Lage, Signale zu erkennen, die von Algen in Seen stammen.Nach ihren erfolgreichen Tests wollen die Wissenschaftler nun noch weiter gehen. ’Der nächste Schritt, den wir anstreben, ist die Durchführung ähnlicher Nachweise von der Internationalen Raumstation (ISS) aus, die auf die Erde blickt. Das wird uns erlauben, die Nachweisbarkeit von Biosignaturen im planetarischen Massstab zu beurteilen. Dieser Schritt wird entscheidend sein, um die Suche nach Leben in und jenseits unseres Sonnensystems mit Hilfe der Polarisation zu ermöglichen’, so der MERMOZ-Projektleiter und Co-Autor Brice-Olivier Demory, Professor für Astrophysik an der Universität Bern und ebenfalls Mitglied des NCCR PlanetS.
Die Messung der zirkularen Polarisationssignale ist nicht nur für zukünftige Weltraummissionen zur Erkennung von Leben wichtig. Lucas Patty ergänzt: ’Da das Signal in direktem Zusammenhang mit der molekularen Zusammensetzung des Lebens und damit seiner Funktionsweise steht, kann es auch wertvolle ergänzende Informationen in der Erdfernerkundung bieten.’ So könnten beispielsweise aus der Luft Abholzung oder Pflanzenkrankheiten festgestellt werden, und es könnte sogar möglich sein, die zirkulare Polarisation bei der Überwachung von toxischen Algenblüten, von Korallenriffen und den Auswirkungen der Versauerung darauf einzusetzen.
Angaben zur Publikation:
C.H. Lucas Patty et. Al., Biosignatures of the Earth I. Airborne spectropolarimetric detection of photosynthetic life, Astronomy & Astrophysicshttps://doi.org/10.1051/0004-6361/202140845
SAINT-EX - Search and characterisation of exoplanets
Die Forschungsgruppe SAINT-EX (gefördert durch die SNF-Förderungsprofessur von Brice-Olivier Demory) konzentriert sich auf die:- Entdeckung von Exoplaneten gemäßigter Erdgröße (SAINT-EX-Observatorium),
- Fernerkundung von Leben in planetarischen Atmosphären und Oberflächen (MERMOZ),
- Instrumente für die nicht-invasive In-vivo-Krebsdiagnose (BrainPol).
Das MERMOZ-Projekt (Monitoring planEtary suRfaces with Modern pOlarimetric characteriZation) zielt darauf ab, zu untersuchen, ob Leben auf der Erde vom Weltraum aus identifiziert und charakterisiert werden kann, indem eine Benchmark-Bibliothek von Oberflächenmerkmalen mit ferngesteuerter Spektro-Polarimetrie aufgebaut wird. In diesem Rahmen wird die Erde als Stellvertreterin für andere Körper des Sonnensystems und Exoplaneten betrachtet.
MERMOZ ist ein Projekt in Partnerschaft zwischen den Universitäten Bern, Leiden und Delft (NL).
Die Machbarkeitsstudie des Projekts wird durch das Centre for Space and Habitability (CSH) und den NFS PlanetS finanziert.
Der Schweizer Nationalfonds sprach 2014 der Universität Bern den Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) PlanetS zu, den sie seither gemeinsam mit der Universität Genf leitet.
Seit der Beteiligung an der ersten Mondlandung 1969 nimmt die Universität Bern an Weltraummissionen von Organisationen wie NASA, ESA, ROSCOSMOS oder JAXA teil. Sie hat momentan gemeinsam mit der Universität Genf die Leitung der CHEOPS-Mission der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) inne. Zudem sind die Berner Forschenden an der Weltspitze mit dabei, wenn es etwa um Modelle und Simulationen zur Entstehung und Entwicklung von Planeten geht.
Mit der Entdeckung des ersten Exoplaneten positionierte sich die Universität Genf als eine der führenden Institutionen auf dem Gebiet. Das führte beispielsweise 2003 zum Bau und der Installation des Spektrographen HARPS auf dem 3,6m-Teleskop der ESO in La Silla unter Genfer Leitung. Darauf folgte das ESPRESSO-Instrument auf dem ESO-Teleskop VLT in Paranal. Ebenfalls in Genf befindet sich das ’Science Operation Center’ der CHEOPS-Mission.
Partnerinstitutionen im NFS PlanetS sind auch die ETH Zürich und die Universität Zürich. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Astrophysik, Datenverarbeitung und Erdwissenschaften leiten Projekte und leisten wichtige Beiträge zur Forschung im Rahmen des NFS PlanetS. Zudem ist die ETH an der Instrumentierung für diverse Observatorien und Weltraummissionen weltweit führend beteiligt.
- Frühe Stadien der Planetenentstehung
- Architektur von Planetensystemen, ihre Entstehung und Entwicklung
- Atmosphären, Oberflächen und das Innere von Planeten
- Bestimmung der Bewohnbarkeit von Planeten. Seit der ersten Mondlandung an der Weltspitze
Als am 21. Juli 1969 Buzz Aldrin als zweiter Mann aus der Mondlandefähre stieg, entrollte er als erstes das Berner Sonnenwindsegel und steckte es noch vor der amerikanischen Flagge in den Boden des Mondes. Dieses Solarwind Composition Experiment (SWC), welches von Johannes Geiss und seinem Team am Physikalischen Institut der Universität Bern geplant und ausgewertet wurde, war ein erster grosser Höhepunkt in der Geschichte der Berner Weltraumforschung.
Die Berner Weltraumforschung ist seit damals an der Weltspitze mit dabei: Die Universität Bern nimmt regelmässig an Weltraummissionen der grossen Weltraumorganisationen wie ESA, NASA, ROSCOSMOS oder JAXA teil. Mit CHEOPS teilt sich die Universität Bern die Verantwortung mit der ESA für eine ganze Mission. Zudem sind die Berner Forschenden an der Weltspitze mit dabei, wenn es etwa um Modelle und Simulationen zur Entstehung und Entwicklung von Planeten geht.
Die erfolgreiche Arbeit der Abteilung Weltraumforschung und Planetologie (WP) des Physikalischen Instituts der Universität Bern wurde durch die Gründung eines universitären Kompetenzzentrums, dem Center for Space and Habitability (CSH) , gestärkt. Der Schweizer Nationalsfonds sprach der Universität Bern zudem den Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) PlanetS zu, den sie gemeinsam mit der Universität Genf leitet.