Ein Krebsmedikament wirkt als epigenetische Gedächtnisstütze, finden Wissenschaftler

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 (Bild: Pixabay CC0) (Bild: Pixabay CC0)

Wissenschaftler haben entdeckt, wie ein Krebsmedikament zur Verbesserung des Gedächtnisses eingesetzt werden kann. Dies geschieht, indem es die Fähigkeit der Zelle unterstützt, genau die Gene abzulesen, die für das Lernen wichtig sind. Der epigenetische Mechanismus des Medikaments wird an Mäusen gezeigt.

Wenn Sie Angst vor Spinnen haben, könnten Sie bald von einem Medikament profitieren, das Ihre Fähigkeit verbessert, Ihre Arachnophobie zu verlernen, ohne dass es zu unerwünschten Nebenwirkungen kommt.

Histon-Deacetylase-Inhibitoren (HDACis) sind chemische Verbindungen, die als Hilfsmittel bei der Chemotherapie gegen verschiedene Krebsarten eingesetzt werden. Das Medikament verstärkt die Wirksamkeit der Chemotherapie, ohne dass bei Einnahme ohne Chemotherapie Wirkungen zu beobachten sind. In den letzten zehn Jahren wurden HDACis auch in Tiermodellen in der Psychiatrie und Neurologie als kognitive Verstärker eingesetzt. Es ist bekannt, dass das Medikament bei diesen Tieren das Gedächtnis verbessert, ohne sichtbare Nebenwirkungen zu zeigen, was die Wissenschaftler verwundert hat, da das Medikament systemisch verabreicht wird.

Jetzt haben Wissenschaftler herausgefunden, dass HDACis als epigenetische Gedächtnisstützen fungieren, d. h. sie unterstützen die Fähigkeit der Zelle, genau die Gene abzulesen, die für die synaptische Plastizität wichtig sind, und verbessern so die Kommunikation zwischen Neuronen. Die Ergebnisse sind in PNAS veröffentlicht.

"Das Medikament unterstützt ganz bestimmte Gene, nämlich diejenigen, die bereits am Lernen beteiligt sind, und beeinflusst kaum andere Gene, zum Beispiel solche, die unerwünschte Nebenwirkungen haben könnten", erklärt Johannes Gräff, Hauptautor der Studie. "Das nennt man epigenetisches Priming."

Gräff, dessen Labor am Brain Mind Institute der EPFL die epigenetischen Mechanismen der Gedächtnisspeicherung und des Gedächtnisverlusts untersucht, wandte sich an Mäuse, um HDACis zu verstehen. Er und sein Team setzten Mäuse Elektroschocks aus, ein sogenanntes Pawlowsches (Angst-)Konditionierungsparadigma, ein Test für das assoziative Gedächtnis. Ohne das Medikament lernten die Mäuse nur sehr wenig. Mit dem Medikament verdoppelten sie ihre Gedächtnisleistung. Das Experiment wurde von den Veterinärbehörden mit dem Schweregrad 2 bewertet.

"Das Medikament verbessert das Gedächtnis nur, wenn man aktiv etwas lernt", so Gräff weiter. "Es beschleunigt die Gene, die bereits in Bewegung sind, um zu lernen. In Analogie dazu ist es einfacher, zu beschleunigen, wenn man bereits Ski fährt, als aus dem Stand zu beschleunigen."

Darüber hinaus fanden Gräff und sein Team heraus, dass das Medikament direkt auf das Epigenom wirkt, indem es epigenetische Veränderungen hervorruft, die das Lernen unterstützen. Chromatin, ein Komplex aus DNA und Proteinen, der in erster Linie lange DNA-Moleküle in kompaktere Strukturen verpackt, muss zugänglich sein, damit die Transkription von Genen für synaptische Plastizität stattfinden kann. Mithilfe fortschrittlicher Sequenzierungstechnologien konnten die Wissenschaftler beobachten, dass die Zugänglichkeit von Chromatin bei bestimmten Genen, die für die synaptische Kommunikation wichtig sind, verbessert wurde.

Diese Ergebnisse sind wichtig, da mehrere HDACis bereits für die Krebsbehandlung von Patienten zugelassen sind, was bedeutet, dass sie sicher in der Anwendung beim Menschen sind. Sie können nun für klinische Versuche an Menschen zur Verbesserung des Gedächtnisses eingesetzt werden. In Europa laufen derzeit zwei klinische Studien, eine mit dem Ziel, die Angst vor Spinnen besser zu verlernen, die andere zur Verbesserung des Gedächtnisses von Alzheimer-Patienten.

Referenzen

https://doi.org/10.1073/­pnas.2116797119