Recycling als Überlebensmodus von Pflanzen bei Knappheit

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Copyright © Yetkin Çaka Ince, CIG-UNIL
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Um sich einen Platz an der Sonne zu sichern und ihr Wachstum zu gewährleisten, haben Pflanzen verschiedene Strategien entwickelt. Was passiert jedoch, wenn die Pflanzendichte so hoch ist, dass die Ressourcen, insbesondere das Licht, knapp werden? Die Pflanzen schalten in den Überlebensmodus und aktivieren einen Recycling-Mechanismus: die Autophagie. Dieser Prozess steht im Mittelpunkt einer am 10. Oktober 2022 in "Nature Communications" veröffentlichten Studie des Teams von Prof. Christian Fankhauser vom Centre intégratif de génomique der UNIL.

Pflanzen liefern sich einen harten Wettbewerb, um ihren Zugang zum Licht zu optimieren. Wenn die Pflanzendichte hoch ist, werden verschiedene Anpassungen vorgenommen. Eine davon ist die Reallokation von Ressourcen, die das Wachstum des Stängels ankurbelt und so die Blätter näher an die Energie der Sonne bringt. Eine andere ist die Beschleunigung der Fortpflanzung mit einer früheren Blütezeit.

Die Gruppe von Christian Fankhauser , ordentlicher Professor am Centre intégratif de génomique (CIG) der Fakultät für Biologie und Medizin der Universität Lausanne (UNIL), verglich die Reaktion von Pflanzen auf zwei mehr oder weniger stressige Situationen: im ersten Fall drohender Lichtentzug und im zweiten Fall tatsächliche Lichtverminderung. Dazu verwendeten die Biologen die Pflanzenmodelle Arabidopsis thaliana, die Frauenaralie, sowie Brassica rapa, den Feldkohl, einen Verwandten des Raps.

In beiden Szenarien beobachteten die Lausanner Forscher - wenig überraschend - eine Streckung des Keimlings. Die stärkste Reaktion der Kreuzblütler, die den schlimmsten Bedingungen ausgesetzt waren (stark schattige Umgebung), war jedoch unerwartet: Autophagie , eine Form des molekularen Recyclings. Die Ergebnisse ihrer fünfjährigen Forschungsarbeit werden in der Ausgabe vom 10. Oktober 2022 der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

Gefahren voraussehen oder ihnen begegnen

Prof. Christian Fankhauser, der Leiter der Studie, analysiert die beiden Zusammenhänge sehr unterschiedlich. Im ersten Fall ist die Pflanze noch nicht im Schatten. Sie hat immer Zugang zu Sonnenstrahlen und damit zu einer reichhaltigen Energiequelle, auch wenn sie die Bedrohung durch ihre konkurrierenden Nachbarn wahrnimmt. Sie wird dann in Erwartung der kommenden Gefahr ihren Stängel verlängern’.

Im zweiten Experiment stehen andere Dinge auf dem Spiel. Im Schatten ihrer Konkurrenten sieht die Pflanze, dass ihre Energiequelle versiegt. Trotzdem steigert sie das Wachstum ihres Stängels, aber wie erreicht sie das? ’Genau hier kommt die Autophagie ins Spiel’, erklärt der Professor. Dieses molekulare Recycling, das mit einer Art Selbstverdauung verglichen werden kann, sorgt dafür, dass der Keimling auch in feindlichen Umgebungen wächst. Es ist, als würde die Pflanze einige ihrer Bestandteile in einfache Einheiten, eine Art LEGO, zerstören, aus denen verschiedene Elemente wieder aufgebaut werden können, um die Verlängerung des Stängels zu ermöglichen.

Die Autophagie wird durch ein Gefahrensignal induziert, das von der Beschattung ausgeht, und stellt so Verbindungen zur Verfügung, die notwendig sind, um aus dieser schwierigen Situation herauszukommen. Es bleibt jedoch ein überraschender Aspekt: Kreuzblütler nutzen das molekulare Recycling, um ihr Wachstum zu fördern, während andere Organismen (Tiere, Pilze), die darauf zurückgreifen, normalerweise in einem sehr ökonomischen Modus sind und ihr Wachstum reduzieren. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass ein ausreichender Zugang zu Sonnenlicht für Pflanzen unerlässlich ist", vermutet Christian Fankhauser.

Eine genetische und zelluläre Signatur

Die Forscher schauten sich genauer an, was aus genetischer und zellulärer Sicht geschah. Indem sie die Expressionsniveaus der Gene in der Pflanze analysierten, konnten sie einen Unterschied zwischen dem Szenario ’Ich bin vom Schatten bedroht, wie kann ich ihn vermeiden’ und dem Szenario ’Ich bin im Schatten, wie komme ich aus dem Schatten’ feststellen. Im zweiten Fall ändert die Pflanze ihr Expressionsprogramm und es kommt zu mehreren katabolen Phänomenen (molekulare Abbaureaktionen). Eine zelluläre Analyse der Pflanze mittels Biomarkern ermöglichte es, diese molekulare Strategie zu bestätigen. So konnten wir nicht nur eine genetische, sondern auch eine zelluläre Signatur des Autophagieprozesses nachweisen", fasst Christian Fankhauser zusammen.

Den Schalter identifizieren

Der nächste Schritt für das CIG-Team wird darin bestehen, zu verstehen, wie ein Lichtwechsel das molekulare Recycling auslösen kann. Mit anderen Worten: den Schalter zu finden!