Eine Studie, die an fast 4000 Menschen afrikanischer Abstammung durchgeführt wurde, hat ein Gen identifiziert, das eine natürliche Abwehr gegen HIV darstellt, indem es die Replikation des Virus in bestimmten weißen Blutkörperchen einschränkt. Die Studie, die von der EPFL, dem National Microbiology Laboratory of Canada und dem Imperial College London gemeinsam geleitet wird, ebnet den Weg für neue Behandlungsstrategien.
Bei der Suche nach menschlichen Genvariationen, die mit der spontanen Kontrolle von HIV in Verbindung stehen, haben wir eine neue Genomregion identifiziert, die nur in Populationen afrikanischer Abstammung variabel ist", sagt Jacques Fellay, Professor an der Fakultät für Biowissenschaften der EPFL. "Wir haben den biologischen Mechanismus, der der genetischen Assoziation zugrunde liegt, durch computergestützte und experimentelle Ansätze erforscht und konnten so zeigen, dass das CHD1L-Gen die HIV-Replikation in einer Untergruppe der weißen Blutkörperchen einschränkt."
HIV bleibt ein Problem
Trotz bedeutender Fortschritte bei den Medikamenten und dem Zugang zur Therapie bleibt das Humane Immundefizienzvirus (HIV) ein globales Gesundheitsproblem mit fast 40 Millionen infizierten Menschen und immer noch keinem Impfstoff oder einer Heilbehandlung. Das Virus greift Immunzellen (T-Helferzellen, Makrophagen und dendritische Zellen) an und vermindert deren Fähigkeit, eine Immunantwort zu organisieren. Ohne Behandlung wird der Infizierte anfälliger für opportunistische Infektionen und bestimmte Krebsarten, was für das erworbene Immunschwächesyndrom, bekannt als AIDS, charakteristisch ist.
Obwohl die jährliche Zahl der HIV-Infektionen dank der allgemeinen Verbreitung der antiretroviralen Therapie zurückgegangen ist, hat sich der Trend seit 2005 erheblich verlangsamt, und die Zahl der neu infizierten Erwachsenen steigt in einigen Regionen sogar in besorgniserregender Weise.
HIV und Studien zum menschlichen Genom
Der Weg zu neuen Therapien führt über die Grundlagenforschung, insbesondere die Untersuchung der Beziehung zwischen dem menschlichen Genom und dem Fortschreiten der HIV-Infektion, die potenzielle therapeutische Ziele aufdecken kann.
Bei genomweiten Assoziationsstudien oder GWAS wird das gesamte Genom einer großen Anzahl von Individuen analysiert, um genetische Varianten zu identifizieren, die mit klinisch relevanten Unterschieden verbunden sind, wie z. B. der Fähigkeit, die Virusreplikation auf natürliche Weise zu kontrollieren.
Messung der Kontrolle der HIV-Replikation: unzureichend bei afrikanischen Bevölkerungsgruppen
Der Grad der Virusinfektion wird durch die Messung der Viruslast ("set point viral load" oder spVL) bestimmt. Diese entspricht dem relativ stabilen Niveau der HIV-Replikation im Körper nach der Anfangsphase der Infektion bei unbehandelten Menschen.
Die spVL ist ein entscheidender Faktor für das Fortschreiten und die Übertragbarkeit der HIV-Infektion und wird als Anzahl der Viren pro Milliliter Plasma ausgedrückt. Die spVL von HIV schwankt innerhalb der infizierten Bevölkerung erheblich, je nachdem, wie gut das Immunsystem des Einzelnen die Virusreplikation ohne antiretrovirale Medikamente kontrollieren kann.
Während es umfangreiche Studien zur Kontrolle von spVL in Bevölkerungsgruppen europäischer Abstammung gibt, gibt es weitaus weniger Studien in Bevölkerungsgruppen afrikanischer Abstammung, die in Humangenomstudien immer noch stark unterrepräsentiert sind. Dies ist sowohl ein großes Problem angesichts der unverhältnismäßigen HIV-Belastung in Afrika als auch eine verpasste Chance, da die große Vielfalt des Genoms von Menschen afrikanischer Abstammung die Wahrscheinlichkeit genetischer Entdeckungen erhöht.
Unsere Ergebnisse liefern Hinweise auf potenzielle therapeutische Ziele, die für den weiteren Kampf gegen HIV-1 notwendig sind
Jacques Fellay, EPFL
Ein Schlüsselgen für die Resistenz gegen die HIV-Replikation bei Menschen afrikanischer Abstammung
Um diese Diskrepanz zu beheben, führte eine große internationale Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Klinikern eine genomweite Assoziationsstudie mit Daten aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen afrikanischer Abstammung durch. Insgesamt analysierten die Wissenschaftler die Genome von 3.879 Menschen, die mit HIV-1 leben. Ihre Analyse führte zur Identifizierung einer neuen Region im Genom, die eine starke Assoziation mit der Kontrolle von spVL aufweist.
Die Studie wurde gemeinsam von Jacques Fellay von der EPFL, Paul McLaren vom National Microbiology Laboratory der Public Health Agency of Canada und Manjinder Sandhu vom Imperial College London geleitet. Sie wird nun in Nature veröffentlicht.
Diese Region entspricht einem Gen, das als CHD1L (für "Chromodomain Helicase DNA Binding Protein 1 Like") bekannt ist und für ein Protein kodiert, das der DNA hilft, sich nach einer Beschädigung wieder abzurollen, wodurch sie repariert werden kann. Die Studie identifizierte innerhalb des CHD1L-Gens eine genetische Variation, die für Bevölkerungsgruppen afrikanischer Abstammung spezifisch ist und mit der spontanen Kontrolle des häufigsten und virulentesten HIV-Typs, HIV-1 genannt, in Verbindung steht.
Nachdem CHD1L als potenzieller Modulator der HIV-1-Infektion identifiziert worden war, untersuchten die Forscherinnen und Forscher den biologischen Mechanismus, der der genetischen Assoziation zugrunde liegt, und kamen zu dem Schluss, dass CHD1L eine Rolle bei der Begrenzung der HIV-Replikation in einem bestimmten Subtyp der weißen Blutkörperchen spielt.
Die Entdeckung der Rolle von CHD1L bei der Begrenzung der HIV-Replikation könnte die Behandlungsmöglichkeiten für infizierte Menschen verbessern. "Unsere Ergebnisse liefern Hinweise auf potenzielle therapeutische Ziele, die für den weiteren Kampf gegen HIV-1 notwendig sind", sagt Jacques Fellay. "Sie unterstreichen auch die Bedeutung der Durchführung von Genomstudien in verschiedenen angestammten Bevölkerungsgruppen, um besser auf ihre spezifischen medizinischen Bedürfnisse und die globalen Ungleichheiten im Gesundheitsbereich eingehen zu können.
Referenzen
Paul J. McLaren, Immacolata Porreca, Gennaro Iaconis, Hoi P. Mok, Subhankar Mukhopadhyay, Emre Karakoc, Sara Cristinelli, Cristina Pomilla, István Bartha, Christian W. Thorball, Riley H. Tough, Paolo Angelino, Cher S. Kiar, Tommy Carstensen, Segun Fatumo, Tarryn Porter, Isobel Jarvis, William C Skarnes, Andrew Bassett, Marianne K. DeGorter, Mohana P.S. Moorthy, Jeffrey F. Tuff, Eun-young Kim, Miriam Walter, Lacy M Simons, Arman Bashirova, Susan Buchbinder, Mary Carrington, Andrea Cossarizza, Andrea De Luca, James J. Goedert, David B. Goldstein, David W. Haas, Joshua T. Herbeck, Eric O. Johnson, Pontiano Kaleebu, William Kilembe, Gregory D. Kirk, Neeltje A. Kootstra, Alex H. Kral, Olivier Lambotte, Ma Luo, Simon Mallal, Javier Martinez-Picado, Laurence Meyer, José M. Miro, Pravi Moodley, Ayesha A. Motala, James I. Mullins, Niels Obel, Fraser Pirie, Francis A. Plummer, Guido Poli, Matthew A. Price, Andri Rauch, Ioannis Theodorou, Alexandra Trkola, Bruce D. Walker, Cheryl A. Winkler, Jean-François Zagury, Stephen B. Montgomery, Angela Ciuffi, Judd F. Hultquist, Steven M. Wolinsky, Gordon Dougan, Andrew M.L. Lever, Deepti Gurdasani, Harriet Groom, Manjinder S. Sandhu, Jacques Fellay. Africa-specific human genetic variation near CHD1L associates with HIV-1 load. Nature 02 August 2023. DOI: 10.1038/s41586’023 -06370-4