Die Behandlung der chronisch entzündlichen Darmerkrankung Colitis ulcerosa liefert häufig unbefriedigende Resultate. Forschende der Universität Bern haben nun ein Lipid-Gel entwickelt, das direkt auf die entzündete Darmpartie verabreicht wird, dort verbleibt und gleichmässig seinen Wirkstoff freigibt. Daraus könnte ein neuer, gezielter Therapieansatz mit weniger Nebenwirkungen entstehen.
Bei Krankheiten, die ein bestimmtes Organ oder Gewebe betrifft, ist ein Medikament in der Regel am wirkungsvollsten und verträglichsten, wenn es genau dort im Körper verabreicht wird, wo es wirken soll. Wird es hingegen geschluckt oder gespritzt, verteilt es sich im ganzen Körper. So erhöht sich das Risiko für unerwünschte Wirkungen.
Forschende des Departements für Chemie, Biochemie und Pharmazie und des Instituts für Gewebemedizin und Pathologie der Universität Bern haben zusammen mit Kolleginnen und Kollegen des Universitätsspitals Zürich ein selbstbildendes, zähes Lipid-Gel entwickelt, um entzündungshemmende Medikamente direkt an der Wand des Dickoder Enddarms zu verabreichen.
Bestehende Therapien oft unbefriedigend
Patientinnen und Patienten mit Colitis ulcerosa leiden unter krampfartigen Bauchschmerzen, Durchfall, Appetitund Gewichtsverlust und Müdigkeit. Das Ziel der Behandlung ist es, die Entzündungen möglichst vollständig und lange zum Verschwinden zu bringen. Doch häufig gelingt das nicht wunschgemäss. ’Bei vielen an Colitis ulcerosa leidenden Patientinnen und Patienten können die Nebenwirkungen eines oral eingenommenen Wirkstoffs die therapeutischen Nutzen Überwiegen’, sagt Paola Luciani vom Departement für Chemie, Biochemie und Pharmazie der Universität Bern. ’Unser Gel kann hingegen eine hohe Wirkstoffmenge aufnehmen und gezielt abgeben.’
Körperwärme lässt das Gel dick werden
Für ihr selbstbildendes Gel haben die Forschenden ein Lipid gewählt, das gut verträglich und bereits für den Einsatz bei Menschen zugelassen ist. Bei Raumtemperatur ist es flüssig und kann als Einlauf an die entzündete Stelle im Dickdarm gespritzt werden. Dort formt es sich bei Körpertemperatur zu einem zähen und klebrigen Gel und bleibt während mindestens sechs Stunden haften, wo es den Wirkstoff nach und nach freigibt.
Akute Darmentzündung bei Mäusen behandelt
Im Darmmilieu herrscht ein sehr komplexes Gleichgewicht. Zahlreiche Faktoren wie die Darmwand, das Immunsystem und im Darm vorkommende Mikroorganismen interagieren miteinander. Im Falle einer Entzündung verändert sich dieses Gleichgewicht grundlegend. Darum war es nach den ersten Versuchen mit künstlichen Membranen und Darmgewebe-Proben von Ratten erforderlich, das Gel auch im lebenden Versuchsorganismus zu testen. Die Forschenden verwendeten dafür Mäuse mit einer Darmentzündung, die mit der Colitis ulcerosa beim Menschen vergleichbar ist, und behandelten sie über mehrere Tage mit dem Gel. Dieses war jeweils mit einem von zwei entzündungshemmenden Wirkstoffen beladen, die für die Behandlung von schwierig zu behandelnder Colitis ulcerosa beim Menschen zugelassen sind. Beide Wirkstoffe werden über den Mund eingenommen und haben bei herkömmlicher Anwendung beträchtliche Nebenwirkungen.
Vielversprechender Ansatz
’Die neuartige Darreichungsform zeigte sehr positive Resultate’, sagt Philippe Krebs vom Institut für Gewebemedizin und Pathologie der Universität Bern. Der Gesundheitszustand der behandelten Mäuse verbesserte sich deutlich. Sie verloren im Vergleich zu den Kontrollgruppen weniger Gewicht, hatten bessere Entzündungswerte und die Entzündungszeichen in der Darmwand gingen stärker zurück. Bevor erste Versuche mit dem sich selbst formenden Medikamentendepot bei Patientinnen und Patienten folgen können, braucht es weitere Tests am Tiermodell. Simone Aleandri vom Departement für Chemie, Biochemie und Pharmazie der Universität Bern sagt: ’Wir sind zuversichtlich, dass wir mit unserem Gel die Nebenwirkungen im Vergleich zu den heutigen Therapien reduzieren können. Das Ziel ist eine patientenfreundliche Colitis-Therapie, die aufgrund der gezielten und kontinuierlichen Wirkstoffabgabe die Symptome effektiver lindert.’
Finanziert wurde die Studie vom Innovation Office der Universität Bern, dem Schweizerischen Nationalfonds, der Berner Universitätsforschungsstiftung und einem ’Seal of Excellence Fund’ (SELF) der Universität Bern.
Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.