von Oliver Morsch Damit ein Magnet an der Kühlschranktür haftet, müssen in seinem Inneren mehrere physikalische Effekte perfekt zusammenspielen. Die magnetischen Momente seiner Elektronen zeigen in dieselbe Richtung, auch wenn kein äusseres Magnetfeld sie dazu zwingt. Dies wiederum passiert durch die so genannte Austauschwechselwirkung, also eine Kombination aus elektrostatischer Abstossung zwischen Elektronen und quantenmechanischer Effekte der Elektronen-Spins, die ihrerseits für die magnetischen Momente verantwortlich sind. So lautet die gängige Erklärung dafür, dass bestimmte Materialien wie Eisen oder Nickel ferromagnetisch sind, also permanent magnetisch, solange man sie nicht über eine bestimmte Temperatur erhitzt.
An der ETH Zürich haben nun Forschende um Ataç Imamoglu vom Institut für Quantenelektronik und Eugene Demler vom Institut für theoretische Physik in einem künstlich produzierten Material eine neue Art von Ferro nachgewiesen, bei dem die Ausrichtung der magnetischen Momente ganz anders zustande kommt. Ihre Ergebnisse haben sie soeben im Fachjournal Nature veröffentlicht.
Künstliches Material mit Elektronenfüllung
In Imamoglus Labor stellten Doktorand Livio Ciorciaro, Postdoktorand Tomasz Smolenski und Kolleginnen ein besonderes Material her, indem sie hauchdünne Lagen von zwei verschiedenen Halbleitermaterialien (Molybdän-Diselenid und Wolframsulfid) aufeinanderlegten. Durch die verschiedenen Gitterkonstanten der beiden Materialien, also die Abstände zwischen ihren Atomen, ergibt sich dabei in der Kontaktebene ein zweidimensionales periodisches Potenzial mit grosser Gitterkonstante (dreissigmal grösser als die der beiden Halbleiter), das durch Anlegen einer elektrischen Spannung mit Elektronen aufgefüllt werden kann. «Solche Moiré-Materialien haben in den letzten Jahren grosses Interesse hervorgerufen, da man mit ihnen Quanteneffekte von stark wechselwirkenden Elektronen in Festkörpermaterialien sehr gut untersuchen kann», sagt Imamoglu. Über ihre magnetischen Eigenschaften aber war bisher wenig bekannt».Um diese magnetischen Eigenschaften zu untersuchen, massen Imamoglu und seine Mitarbeitenden, ob das Moiré-Material bei einer bestimmten Elektronenfüllung paramagnetisch war, die magnetischen Momente also ungeordnet waren, oder aber ferromagnetisch. Dazu beleuchteten sie das Material mit Laserlicht und massen, wie stark das Licht für verschiedene Polarisierungen reflektiert wurde. Die Polarisierung gibt an, in welche Richtung das elektromagnetische Feld des Laserlichts schwingt, und je nach Ausrichtung der magnetischen Momente - und damit der Elektronen-Spins - reflektiert das Material eine Polarisierung stärker als die andere. Aus dieser Differenz kann dann berechnet werden, ob die Spins alle in dieselbe oder in verschiedene Richtungen zeigen, woraus sich wiederum die Magnetisierung ergibt.
Schlagender Hinweis
Indem die Physiker:innen die Spannung schrittweise erhöhten, füllten sie das Material mit Elektronen und massen jeweils die Magnetisierung. Bis zu einer Füllung von genau einem Elektron pro Moiré-Gitterplatz (auch als Mott-Isolator bezeichnet) blieb das Material paramagnetisch. Als die Forschenden mehr Elektronen in das Gitter füllten, passierte Unerwartetes: Das Material verhielt sich plötzlich ähnlich wie ein Ferromagnet.«Das war ein schlagender Hinweis auf eine neue Art , die durch die Austauschwechselwirkung nicht erklärt werden kann», sagt Imamoglu. Denn wenn die Austauschwechselwirkung für den verantwortlich wäre, würde dieser schon mit weniger Elektronen im Gitter auftreten. Das plötzliche Einsetzen liess also auf einen anderen Effekt schliessen.
Kinetischer
Eugene Demler, in Zusammenarbeit mit Postdoktorand Ivan Morera, hatte schliesslich die entscheidende Idee: Es könnte sich um einen Mechanismus handeln, den der japanische Physiker Yosuke Nagaoka bereits 1966 theoretisch vorhergesagt hatte. Dabei minimieren die Elektronen durch parallele Ausrichtung der Spins ihre kinetische Energie (Bewegungsenergie), die viel grösser als die Austauschenergie ist. Im Experiment der Forschenden passiert dies, sobald im Moiré-Material mehr als ein Elektron pro Gitterplatz vorhanden ist. Dadurch können sich jeweils zwei Elektronen zu so genannten Doublons zusammentun. Die kinetische Energie ist dann minimiert, wenn sich die Doublons durch quantenmechanisches Tunneln im gesamten Gitter ausbreiten können. Das wiederum geht aber nur, wenn die einzelnen Elektronen im Gitter ihre Spins ferromagnetisch ausrichten, da sonst quantenmechanische Überlagerungseffekte gestört werden, welche die freie Ausbreitung der Doublons ermöglichen.«Bislang wurden solche Mechanismen für kinetischen nur in Modellsystemen nachgewiesen, die beispielsweise aus vier Quantenpunkten bestehen», sagt Imamoglu, «aber noch nie in ausgedehnten Festkörpersystemen wie unserem.»
In nächster Zeit möchte er die Parameter des Moiré-Gitters verändern, um zu untersuchen, ob der Ferro auch bei höheren Temperaturen erhalten bleibt; im jetzigen Experiment musste das Material noch auf ein Zehntel Grad über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt werden.