Die Kirschessigfliege (Drosophila suzukii) stammt ursprünglich aus Ostasien und ist seit 2008 in Nordamerika und Europa als invasiver Schädling bekannt. In der Schweiz, wo sie noch keine effizienten natürlichen Feinde hat, wurde sie 2011 erstmals nachgewiesen. Hier legen ihre Weibchen als einzige Fruchtfliegen-Art die Eier in unbeschädigte, reifende Früchte, die danach nicht mehr verkauft werden können. So verursacht die Kirchessigfliege in der hiesigen Landwirtschaft grosse wirtschaftliche Schäden, vor allem im Beeren-, Steinobstund Weinbau.
Ein natürliches Gleichgewicht erreichen
Forschende von Agroscope und dem Centre for Agriculture and Bioscience International (CABI) in Delémont setzen in der laufenden Woche an ausgewählten Standorten in den Kantonen Jura und Tessin 800 bis 1’000 adulte Schlupfwespen (Ganaspis brasiliensis) in unmittelbarer Nähe zu Früchten aus, die von der Kirschessigfliege befallen sind. Die Schlupfwespen sollen die Larven des Schädlings parasitieren, welche anschliessend absterben. Nach der Freisetzung werden die Forschenden das Gebiet intensiv monitoren und untersuchen, ob sich die Schlupfwespe in der Schweiz ansiedeln kann. So könnte mittelbis langfristig ein natürliches Gleichgewicht gegen die Kirschessigfliege erreicht werden, damit sie sich nicht weiterhin ungehindert vermehren kann. Das Ziel ist, ihre Populationsgrössen natürlich zu verkleinern und so die Schäden an der landwirtschaftlichen Produktion ohne zusätzlichen Pflanzenschutzmitteleinsatz zu verringern. Hilfreich ist das vor allem in Hochstammanlagen, die schwierig zu schützen sind.
Erste kontrollierte Freisetzung eines gebietsfremden Nützlings
Das Besondere: Anders als bei früher freigesetzten exotischen Schlupfwespen gegen die Marmorierte Baumwanze in Zürich oder gegen die Bananenschmierlaus im Wallis, kommt Ganaspis brasiliensis in der Schweiz noch nicht vor. Es ist somit der erste gebietsfremde Nützling, der seit dem Inkrafttreten der Freisetzungsverordnung von 2008 in der Schweiz für die biologische Schädlingsbekämpfung freigesetzt wird. Gleiches wurde in den letzten drei Jahren bereits in Italien und den USA und diese Woche in Frankreich gemacht. Erste Resultate aus diesen Ländern stimmen optimistisch.
Bekämpfung der Kirschessigfliege läuft seit Jahren
Von 2015 bis 2020 leitete Agroscope in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) und weiteren Partnern aus Forschung, Beratung, Praxis und Vollzug die «Task Force Kirschessigfliege». Ihr Ziel war es, für die Landwirtinnen und Landwirte nachhaltige Strategien zu entwickeln, um Beeren, Früchte und Reben vor dem Schädling zu schützen. Dominique Mazzi, Wissenschaftlerin bei Agroscope und ehemalige Leiterin der Task Force, erklärt: «Die Kirschessigfliege befällt auch wildwachsende Früchte ausserhalb der landwirtschaftlichen Produktion. Deshalb braucht es grossflächige und langfristige Massnahmen, die auch dort die ungehinderte Vermehrung des Eindringlings eindämmen». Die klassische biologische Kontrolle, bei der nach natürlichen Gegenspielern im Herkunftsgebiet des invasiven Schädlings gesucht wird, die dann als Nützlinge eingeführt werden, kann ein Teil dieser Lösung sein.
Suche in Ostasien - mit Erfolg
Die Suche nach einem solchem Nützling begann 2015, als verschiedene Forschungsgruppen, darunter auch Wissenschaftler vom CABI, erste Untersuchungen in Asien unternahmen. Die Forschenden stiessen auf Ganaspis brasiliensis, einen natürlichen Gegenspieler der Kirschessigfliege. Seither wird diese parasitische Schlupfwespe in der Schweiz unter kontrollierten Laborbedingungen erforscht. Lukas Seehausen, Wissenschaftler beim CABI in Delémont und Spezialist für invasive Arten und biologische Kontrolle, erläutert: «Vor einer solchen Freisetzung braucht es langjährige Untersuchungen zur Biosicherheit, die vor allem das Risiko von negativen Auswirkungen auf einheimische Arten analysieren. Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass Ganaspis brasiliensis auf die Kirschessigfliege spezialisiert ist. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass sie Larven von heimischen Fruchtfliegen parasitiert». Das Bundesamt für Umwelt hat den von Agroscope eingereichten Antrag für einen Freisetzungsversuch geprüft und bewilligt.