54 Chemikalien und Gruppen von Chemikalien fallen unter das Rotterdamer Übereinkommen, weil sie ein sehr hohes Potenzial aufweisen, die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu schädigen. Darunter zum Beispiel Quecksilberverbindungen, diverse Pestizide sowie fünf der sechs Arten von Asbest. Das Übereinkommen, auch PIC-Konvention («Prior Informed Consent») genannt, verbietet die gefährlichen Stoffe nicht. Die Vertragsstaaten dürfen sie aber nur dann untereinander handeln, wenn das Importland der Einfuhr ausdrücklich zugestimmt hat.
Das PIC-Verfahren soll insbesondere Entwicklungsländer vor der unkontrollierten Einfuhr der hochgefährlichen Chemikalien schützen. Oft fehlt diesen Ländern die nötige Infrastruktur, um sie sicher zu verarbeiten und zu entsorgen. Nun liefert eine neue Studie mit Beteiligung der Empa erschütternde Ergebnisse: Bei fast der Hälfte des gehandelten Chemikalienvolumens wird das PIC-Verfahren missachtet.
Weltweite Verstösse
Für die Studie, die am 10. Juli in der Zeitschrift «Nature Sustainability» veröffentlicht wurde, analysierten Forschende aus China und der Schweiz für 46 der 54 gelisteten Chemikalien öffentliche Handelsdaten aus der Comtrade-Datenbank der Vereinten Nationen. Insgesamt wurden weltweit von 2004 bis 2019 64.5 Millionen Tonnen dieser Stoffe gehandelt. Davon wurden 27.5 Millionen Tonnen illegal gehandelt, also an Länder exportiert, die einen Import ausdrücklich abgelehnt hatten.Die Nichteinhaltung des Rotterdamer Übereinkommens ist ein weltweites Phänomen, insbesondere bei vielen Ländern in West-, Zentralund Südeuropa sowie in Süd- und Südostasien. Gleichzeitig waren diese Regionen auch am meisten von illegalen Importen betroffen, gemeinsam mit dem Mittleren Osten und Nordafrika sowie Lateinamerika. «Dieser weit verbreitete illegale Handel ist höchst besorgniserregend. Er untergräbt die weltweiten Bemühungen, uns und unsere Umwelt vor gefährlichen Chemikalien zu schützen», sagt Forscher Zhanyun Wang, der die Studie initiiert hat.
Gemäss Wang und seinen Co-Autoren ist das Ergebnis der Studie eine eher konservative Einschätzung des illegalen Handels mit gefährlichen Chemikalien, da Schmuggel und Schwarzmarkthandel von der Analyse explizit ausgeschlossen waren. Zudem exportierten beispielsweise die USA rund vier Millionen Tonnen Chemikalien an Länder, die ihre Einfuhr unter dem Übereinkommen ablehnen. Dies ist jedoch nicht unbedingt illegal - da die USA das Rotterdamer Übereinkommen nicht ratifiziert haben, gelten für sie andere Regeln.
Handel im grossen Stil
Als problematisch sieht Wang auch das insgesamt sehr hohe gehandelte Volumen der gefährlichen Substanzen. Von den insgesamt 64.5 Millionen Tonnen entfällt der Grossteil - 55.3 Millionen Tonnen - auf Ethylendichlord, ein karzinogenes und organschädigendes Lösungsmittel, das zur Herstellung von Polyvinylchlorid (PVC) dient. An zweiter Stelle folgt mit 6.3 Millionen Tonnen das toxische Reagenz, Desinfektionsmittel und Pestizid Ethylendioxid.Die anderen Chemikalien, bei denen es sich Überwiegend um Pestizide handelt, machen dagegen einen verhältnismässig geringen Teil des Gesamtvolumens aus. «Dennoch sehen wir, dass diese hochgiftigen Verbindungen noch immer in beachtlichen Mengen gehandelt werden», so Wang. «Seit dem Inkrafttreten des Rotterdamer Übereinkommens hat der Handel nur geringfügig abgenommen. Dabei wissen wir bei vielen dieser Stoffe bereits seit Jahrzehnten, wie schädlich sie sind.»
Überraschenderweise entdeckten die Autorinnen und Autoren zudem einen regen Handel mit einigen Stoffen, deren Einsatz seit Jahren, teilweise sogar seit Jahrzehnten, stark eingeschränkt oder gar verboten ist. Dazu zählen beispielsweise die Pestizide Aldrin, Chlordan, Heptachlor und Dieldrin, die seit 2004 weltweit als «schmutziges Dutzend» im Rahmen des Stockholmer Übereinkommens verboten sind. Ebenfalls weiterhin gehandelt, wenn auch in viel kleineren Mengen von einigen tausend Tonnen, werden die als neurotoxisch bekannte Antiklopfmittel Tetraethylund Tetramethylblei. Trotz jahrzehntelanger globaler Bemühungen, sie aus dem Benzin für normale Autos zu eliminieren, kommen sie offenbar noch in gewissen Spezialtreibstoffen zum Einsatz.
Internationale und nationale Massnahmen stärken
Sämtliche in der Studie verwendete Daten sind öffentlich - weshalb beheben die Länder also die Missstände nicht? Dafür gibt es mehrere Gründe. «Bei vielen Ländern ist das Umweltministerium für die Umsetzung des Rotterdamer Übereinkommens verantwortlich», erklärt Wang. «Der Handel wird aber von der Zollbehörde Überwacht.» Zudem stehen für die Kontrolle des Chemikalienhandels oft nicht genügend Ressourcen zur Verfügung, insbesondere in Entwicklungsländern.Die Forschenden empfehlen, nationale und internationale Massnahmen gegen den Handel mit gefährlichen Chemikalien zu verstärken, insbesondere solche gegen den illegalen Handel. Unter anderem sollen weitere problematische Chemikalien ins Übereinkommen aufgenommen werden, etwa Chrysotilasbest. Diese Art von Asbest ist die weitaus häufigste - und die einzige der sechs Arten, die noch nicht Gegenstand des Übereinkommens ist. «Die Schweiz hat hier vor kurzem gemeinsam mit anderen Ländern die Initiative ergriffen, um eine Veränderung herbeizuführen, bis jetzt aber noch ohne Erfolg», sagt Wang.
Das Rotterdamer Übereinkommen verfügt indes erst seit 2020 über ein «Compliance Committee», das die Umsetzung der Vorschriften kontrollieren soll. «Wir hoffen, dass dies den illegalen Handel in Zukunft stark reduziert - zusammen mit nationalen Massnahmen, um die Herstellung und den Einsatz der hochgefährlichen Chemikalien zu reduzieren», sagt Wang.
Das Rotterdamer Übereinkommen
Das Rotterdamer Übereinkommen über das Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung für bestimmte gefährliche Chemikalien sowie Pestizide im internationalen Handel, auch PIC-Übereinkommen genannt, trat 2004 in Kraft. Dieser internationale Vertrag regelt den Handel von 54 (Stand Februar 2023) gefährlichen Chemikalien. Demnach darf jeder dieser Stoffe nur dann in ein bestimmtes Land eingeführt werden, wenn dieses Land vorab über die Gefahren informiert wurde und eine Zustimmung erteilt hat («Prior Informed Consent»). Sollte ein Land keine Einfuhrzustimmung erteilen, so verpflichtet es sich auch, die betreffende Chemikalie nicht mehr selbst zu produzieren und nicht von Nicht-Mitgliedstaaten zu importieren. Das Übereinkommen wurde bisher von 165 Ländern ratifiziert.www.pic.int