Das Opernhaus von Sydney feiert seinen 50. Geburtstag und enthüllt noch immer Geheimnisse

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Zweiter Bauabschnitt des Opernhauses in Sydney zwischen 1963 und 1976 © David Mo
Zweiter Bauabschnitt des Opernhauses in Sydney zwischen 1963 und 1976 © David Moore photography

Paolo Tombesi schreibt ein Stück der Geschichte des australischen Architekturjuwels neu, indem er bisher unveröffentlichte Archive heranzieht. Diese enthüllen die bislang vergessene technische Meisterleistung, mit der das komplexe Dach in Form von Segeln zusammengesetzt wurde.

Sydney ist untrennbar mit seinem Opernhaus verbunden wie Paris mit seinem Eiffelturm. Diese ikonischen architektonischen Monumente des 21. Jahrhunderts haben noch immer nicht aufgehört, Bewunderung und wissenschaftliches Interesse zu wecken. Am 20. Oktober 2023 wird das segelförmige Gebäude, das den Hafen der größten Stadt Australiens dominiert, 50 Jahre alt. Diese Feierlichkeiten werden die lange und turbulente Geschichte seiner 15-jährigen Bauzeit beleuchten.

Unsere Entdeckung ist wichtig, da sie es uns ermöglicht, die Geschichte ihres Baus mithilfe von Plänen, die bisher in Archiven vergessen wurden, wissenschaftlich zu rekonstruieren. Paolo Tombesi



Als Spezialist für die Erforschung großer Bauwerke hat der EPFL-Professor Paolo Tombesi mehr als 20 Jahre seiner Karriere der Erforschung des Opernhauses von Sydney gewidmet. Einer seiner neuesten Artikel zu diesem Thema, der in der Zeitschrift Frontiers of Architectural Research erschienen ist, beleuchtet einen unbekannten Aspekt seiner Geschichte: die bedeutende Rolle der australischen Baufirma Hornibrook hinter der Herstellung der berühmten Segel (1963 - 1967), die bisher in den Büchern über das Gebäude ignoriert wurde. "Unsere Entdeckung ist wichtig, weil sie es uns ermöglicht, die Geschichte seines Baus anhand von Plänen, die bisher in Archiven vergessen wurden, wissenschaftlich zu rekonstruieren", erklärt der Professor an der Fakultät für natürliche, architektonische und gebaute Umwelt (ENAC).

Radikale architektonische Innovation

Ursprünglich hatte sich der Architekt der Oper, der Däne Jørn Utzon, ein einzigartiges Konzept ausgedacht, das sehr schwer umzusetzen war. In seinem über dem Wasser thronenden Gebäude ist alles verborgen. "Er hat ein Objekt geschaffen, in dem wir den Inhalt anpassen mussten. Es ist eine radikale Innovation, die den klassischen Bauprozess neu erfindet. Man kann diese Herausforderung mit dem Bau einer gotischen Kathedrale vergleichen". Die Oper besteht aus drei Strukturen: dem Fundament, dem segelförmigen Dach und dem funktionalen Teil des Theaters, das sich im Inneren eingenistet hat.

Als Paolo Tombesi die etwa 20 existierenden Monografien des Gebäudes gewissenhaft studierte, fand er darin nur Architekturskizzen, aber nie die Baupläne. "Wenn man sich die Details eines Gebäudes ansehen will, wie die einzelnen Elemente zusammengesetzt sind, muss man die technischen Unterlagen konsultieren, um den Prozess zu verstehen." Zusammen mit seinen Kollegen von der University of Sydney und der University of New South Wales Paolo Stracchi und Luciano Cardellicchio beschließen sie, sich auf die Suche nach ihnen zu machen und werden schließlich in einem Nationalarchiv in Australien fündig. Diese Zeichnungen zeigen insbesondere die sehr komplexe Struktur der Bögen, aus denen die berühmten Segel bestehen. Anhand von Simulationen in kleinem Maßstab können wir besser verstehen, welche Entscheidungen getroffen wurden und warum.

Jenseits des Mythos

"Es konnte festgestellt werden, dass die Baufirma eine zentrale Rolle dabei spielte, Informationen darüber zu liefern, wie die einzelnen Elemente zusammengesetzt werden sollten. Sie war besonders innovativ mit der Entwicklung neuer Werkzeuge wie einem Teleskopbogen, der heute in einem Museum stehen würde, wenn er nicht zerstört worden wäre. Ursprünglich war Hornibrook auf den Bau von Brücken spezialisiert. Die Segel der Oper wurden folglich nach demselben Prinzip zusammengebaut. Die entscheidende Rolle des australischen Unternehmens wird in der Literatur jedoch nie erwähnt. Nur die Ingenieure und Architekten wurden geehrt".

Für Paolo Tombesi ist es wichtig, eine andere Geschichte des Gebäudes ans Licht zu bringen, die nicht auf einem Mythos, sondern auf wissenschaftlichen Dokumenten beruht. Und um in dieser Hinsicht noch einen Schritt weiter zu gehen, machte er sich mit Hilfe von Studentinnen und Studenten der Universität Sydney daran, das ganze neue Material zu digitalisieren. "Diese Pläne sind schwer zu lesen, aber wir haben es geschafft, jede einzelne Komponente zu identifizieren, die im Inneren des Segels hergestellt wurde." So haben sie die Geometrie des Gebäudes nachgebildet und die verschiedenen Bauphasen, die in diesem Video zu sehen sind, sequenziert. "Die heutige Technologie bietet uns Werkzeuge, um den Bauprozess detailliert darzustellen, damit wir die Entscheidungsfindung der damaligen Zeit besser verstehen können", schließt er.

Referenzen

Paolo Stracchi, Luciano Cardellicchio, Paolo Tombesi, "Not really an aftermath. The role of actual construction in the design process of the Sydney Opera House roof", Frontiers of Architectural Research, April 2023 (Druckversion). Der Artikel wurde als beste Publikation 2022 (Online-Version) der Zeitschrift ausgezeichnet.

Eine Reihe von Artikeln über Paolo Tombesis Oper in Sydney wird in den nächsten Monaten in den Fachzeitschriften "Architectural Research Quarterly", "Casabella" und "L’Architecture d’Aujourd’hui" erscheinen.