Wenn eine Erinnerung entsteht, durchläuft das Gehirn physische und funktionelle Veränderungen, die als "Gedächtnisspur" bezeichnet werden. Eine Gedächtnisspur stellt die spezifischen Aktivitätsmuster und strukturellen Veränderungen der Neuronen dar, die bei der Entstehung einer Erinnerung und ihrer späteren Hervorrufung auftreten.
Aber wie wählt das Gehirn die Neuronen aus, die an einer Gedächtnisspur beteiligt sein sollen? Studien haben ergeben, dass die inhärente Erregbarkeit der Neuronen eine Rolle spielt, aber die gängige Vorstellung, wie Lernen funktioniert, hat die Steuerzentrale des Neurons, also seinen Kern, vernachlässigt. Innerhalb dieses Kerns scheint eine ganz andere Dimension unerforscht zu sein: die Epigenetik.
Innerhalb jeder Zelle eines lebenden Organismus ist das von der DNA kodierte genetische Material dasselbe, aber die verschiedenen Zelltypen, aus denen der Körper besteht, wie z. B. Hautzellen, Nierenzellen oder Nervenzellen, exprimieren jeweils einen anderen Satz von Genen. Epigenetik ist der Mechanismus, mit dem Zellen die Aktivität von Genen steuern, ohne die DNA-Sequenz zu verändern.
Wissenschaftler der EPFL unter der Leitung des Neurowissenschaftlers Johannes Gräff wollten herausfinden, ob die Epigenetik einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit haben könnte, dass Neuronen für die Erinnerungsbildung ausgewählt werden. Ihre Forschung an Mäusen, die nun in der Zeitschrift Science veröffentlicht wurde, zeigt, dass der epigenetische Zustand eines Neurons ausschlaggebend für seine Rolle bei der Kodierung von Erinnerungen ist. "Wir beleuchten den ersten Schritt der Erinnerungsbildung von einer DNA-zentrierten Ebene aus", sagt Johannes Gräff.
Johannes Gräff und sein Team fragten sich, ob epigenetische Faktoren die "Gedächtnisfunktion" eines Neurons beeinflussen können. Ein Neuron kann epigenetisch offen sein - wenn die DNA in seinem Kern locker oder entspannt ist - oder geschlossen - wenn die DNA kompakt und fest ist.
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass es die offenen Neuronen waren, die am ehesten für die "Gedächtnisspur" ausgewählt wurden, die spärliche Ansammlung von Neuronen im Gehirn, die bei einem neuen Lernvorgang elektrische Aktivität zeigt. Tatsächlich waren die Neuronen, die sich in einem offeneren Chromatinzustand befanden, auch diejenigen, die eine höhere elektrische Aktivität aufwiesen.
Die Wissenschaftler der EPFL setzten dann mithilfe eines Virus epigenetische Enzyme frei, um eine künstliche Öffnung der Neuronen zu bewirken. Sie stellten fest, dass die betroffenen Mäuse deutlich besser lernten. Als die Wissenschaftler den umgekehrten Ansatz wählten, um die DNA der Neuronen zu schließen, hob sich die Lernfähigkeit der Mäuse wieder auf.
Diese Ergebnisse eröffnen neue Wege zum Verständnis des Lernens, die den Neuronenkern berücksichtigen, und könnten eines Tages sogar die Entdeckung von Medikamenten zur Verbesserung des Lernens ermöglichen. Johannes Gräff erklärt: "Sie entfernen sich von der vorherrschenden neurowissenschaftlichen Auffassung von Lernen und Gedächtnis, die sich auf die Bedeutung der synaptischen Plastizität konzentriert, und beschäftigen sich nun mit dem, was im Kern eines Neurons, seiner DNA, vor sich geht. Das ist sehr wichtig, da viele kognitive Störungen wie die Alzheimer-Krankheit und die posttraumatische Belastungsstörung durch fehlerhafte epigenetische Mechanismen gekennzeichnet sind."