Ein internationales Forschungsteam unter Mitarbeit von Silvia Spezzaferri von der Universität Freiburg hat herausgefunden, warum die antarktische Polkappe auf der Westseite des Kontinents schneller schmilzt als auf der Ostseite. Neue Bohrungen und eine ausgeklügelte Modellierung zeigten, dass dieses Phänomen auf die ursprüngliche Bildung des Inlandeises vor 34 Millionen Jahren zurückzuführen ist.
In den letzten Jahren begann das ewige Eis der Antarktis aufgrund der globalen Erwärmung schneller zu schmelzen als bisher angenommen, insbesondere im westlichen Teil des Kontinents. Laut der Arbeit eines internationalen Forschungsteams unter der Leitung des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) könnte die Ursache für dieses unterschiedliche Abschmelzen in der Vergangenheit liegen, vor fast 34 Millionen Jahren, als sich die Polkappe bildete. Sedimentproben aus Bohrkernen in Kombination mit einer komplexen Klimaund Inlandeismodellierung zeigten, dass sich die Eisschicht nicht wie zuvor angenommen über den gesamten Kontinent ausbreitete, sondern auf die östliche Region beschränkt war und erst 7 Millionen Jahre später nach Westen vordrang. Diese Entdeckung erklärt, warum die Eisschmelze auf den beiden Seiten der Antarktis so unterschiedlich zu sein scheint.
Ein mit Wald bedeckter Kontinent
Vor etwa 34 Millionen Jahren erlebte unser Planet eine der grundlegendsten Klimaveränderungen: den Übergang von einer Welt mit Treibhauseffekt, in der sich kein oder nur wenig Kontinentaleis ansammelte, zu einer Welt, in der grosse, dauerhafte Eisflächen existierten. In dieser zweiten Periode bildete sich der Eisschild der Antarktis. Bisher wussten die Wissenschaftler_innen jedoch nicht, wie dies geschah, da es an zuverlässigen Daten und Proben aus Schlüsselregionen wie insbesondere aus der Westantarktis fehlte.
Eine Bohrung verändert alles
Anhand eines Bohrkerns, der mit der Tiefseebohrplattform MARUM-MeBo70 vor dem Pine-Island-Gletscher an der Küste der Amundsensee in der Westantarktis entnommen wurde, konnten die Wissenschaftler_innen zum ersten Mal die Entstehungsgeschichte des eisigen Kontinents der Antarktis nachweisen. Zu ihrer Überraschung wurden in dieser Region während der ersten grossen Vereisungsphase der Antarktis keine Anzeichen für die Anwesenheit von Eis gefunden. Die Westantarktis blieb also während des ersten Glazialmaximums eisfrei. Damals war dieser Teil des Kontinents mit dichten Laubwäldern bedeckt und es herrschte ein kühles, gemässigtes Klima, das die Eisbildung verhinderte.
Vereisung zuerst im Osten
Um besser zu verstehen, wo sich das erste permanente Eis in der Antarktis bildete, kombinierten die Forschenden die neu verfügbaren Daten mit den vorhandenen Daten über Luftund Wassertemperaturen und Eisvorkommen. Die Modellierung bestätigte die Bohrergebnisse der Geolog_innen: Die grundlegenden klimatischen Bedingungen für die Bildung von permanentem Eis herrschten nur in den Küstenregionen der Ostantarktis und des nördlichen Viktorialandes. Dort erreichten die feuchten Luftmassen das stark ansteigende Transantarktische Gebirge, das die Ansammlung von permanentem Schnee und die anschliessende Bildung des Eisschildes begünstigten. Von dort aus dehnte sich die Eisdecke schnell auf das Hinterland der Ostantarktis aus. Erst etwa sieben Millionen Jahre später erlaubten es die Bedingungen, dass der Eisschild die Westküste der Antarktis erreichte. ’Diese Ergebnisse zeigen deutlich, wie kalt es gewesen sein muss, damit das Eis vorrücken und die Westantarktis bedecken konnte’, sagt Hanna Knahl, Paläoklimamodelliererin am AWI.
Die Studie liefert auch neue Informationen, mit denen Klimamodelle genauer simulieren können, wie permanente Eisgebiete die Dynamik des globalen Klimas beeinflussen, d. h. die Interaktion zwischen Eis, Ozeanen und der Atmosphäre. Diese neuen Erkenntnisse sind wertvoll, da wir in naher Zukunft erneut mit einem so grundlegenden Klimawandel konfrontiert werden könnten.
Ice sheet-free West Antarctica during peak early Oligocene glaciation , Science, 4 Jul 2024,