Ein internationales Team unter der Leitung von Astronomen der Universität Genf hat in den vorläufigen Daten des Gaia-Satelliten ein stellares Schwarzes Loch mit großer Masse entdeckt.
Bei der Durchsicht der unschätzbaren Datenmenge der Gaia-Mission der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) hat ein Team von Wissenschaftlern, darunter Astronomen der Universität Genf , ein riesiges ’schlafendes’ Schwarzes Loch aufgedeckt. Mit einer Masse, die fast 33 Mal so groß ist wie die der Sonne, versteckte sich dieses "Monster" weniger als 2000 Lichtjahre von der Erde entfernt im Sternbild Adler. Es handelt sich um das erste Schwarze Loch stellaren Ursprungs dieser Größe, das so nahe an der Erde entdeckt wurde. Die Entdeckung, die in der Fachzeitschrift Astronomy and Astrophysics veröffentlicht wurde, stellt unser Verständnis der Entwicklung massereicher Sterne in Frage.
Die Materie in einem Schwarzen Loch ist so dicht, dass nichts seiner immensen Gravitationsanziehung entgehen kann, nicht einmal das Licht (daher der Name Schwarzes Loch). Die große Mehrheit der uns bekannten Schwarzen Löcher mit stellarer Masse verschlingt die Materie eines nahen Sternbegleiters. Die eingefangene Materie fällt mit hoher Geschwindigkeit auf das Schwarze Loch, wird dabei extrem heiß und setzt Röntgenstrahlung frei. Diese Systeme gehören zu einer Familie von Himmelsobjekten, die als ’Röntgen-Doppelsternsysteme’ bezeichnet werden.
Wenn der Begleiter des Schwarzen Lochs nicht nahe genug ist, um Materie auf das kompakte Objekt zu verteilen, wird kein Licht und keine Energie abgestrahlt, und das Schwarze Loch ist daher extrem schwer zu erkennen. Ein solches "stilles" Schwarzes Loch wird als "schlafend" bezeichnet. Seine Anwesenheit induziert jedoch eine Bewegung auf seinem Begleiter im Orbit, die von einem hochempfindlichen astrometrischen Instrument wie der Raumsonde Gaia erfasst werden könnte.
Durchbruch dank Gaias unglaublicher Genauigkeit
Ziel der Gaia-Mission ist es, die Entfernung von mehr als zwei Milliarden Sternen zu messen, indem ihre Bewegungen am Himmel mit höchster Präzision beobachtet werden. Zur Vorbereitung der Veröffentlichung des nächsten Gaia-Katalogs, Gaia Data Release 4 (DR4), führen die Wissenschaftler der Gaia-Kollaboration umfangreiche Berechnungen und Tests durch, um festzustellen, ob etwas aus dem Rahmen fällt. Es gibt spezielle Teams, die ungewöhnliche Fälle untersuchen und daraus abgeleitete Datenprodukte erstellen.
Eines dieser Teams wurde 2020 von Laurent Eyer, Lehr- und Forschungsmeister am Departement für Astronomie der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Genf, und Tsevi Mazeh, Forscher an der Universität Tel Aviv, beide Koautoren der Studie, gegründet. Unter der Leitung von Berry Holl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Departement für Astronomie der Universität Genf und ebenfalls Koautor, sollen die Ergebnisse für nicht-solitäre Sterne mit extremen Bewegungen gründlich validiert, die Integrität potenzieller Schwarzer Löcher überprüft und die Veröffentlichung offensichtlicher ’Fehldetektionen’ verhindert werden.
Die Aufmerksamkeit des Teams richtete sich auf einen alten Riesenstern, der sich 1926 Lichtjahre von der Erde entfernt im Sternbild Adler befindet. Als das Team die Oszillation der Sternbahn im Detail analysierte, erlebte es eine große Überraschung: Der Stern befand sich in einer Umlaufbewegung, die von einem schlafenden Schwarzen Loch mit der außergewöhnlich großen Masse von etwa dem 33-fachen der Sonnenmasse ausgelöst wurde. Dies ist das dritte schlafende Schwarze Loch, das mit Gaia entdeckt wurde, und es erhielt den passenden Namen Gaia BH3. Die Qualität der letzten Daten, die das Konsortium produziert hat, hat sich so stark verbessert, dass wir davon ausgehen, dass wir eine große Anzahl echter Schwarzer Löcher im DR4-Katalog veröffentlichen werden", schwärmt Berry Holl.
Ein Rekord für unsere Galaxie
Die Entdeckung von Gaia BH3 ist aufgrund seiner Masse sehr interessant. Bisher waren Schwarze Löcher mit dieser Masse nur in weit entfernten Galaxien entdeckt worden, und zwar dank der Gravitationswellenbeobachtungen des LIGO/Virgo-Konsortiums. Die typische Masse der bekannten Schwarzen Löcher stellaren Ursprungs in unserer Galaxie beträgt etwa das Zehnfache der Masse unserer Sonne. Den Rekord hielt bislang ein Schwarzes Loch in einem Röntgenbinär im Sternbild Schwan (Cyg X-1) mit einer geschätzten Masse von etwa dem 20-fachen der Sonnenmasse.
Astronomen stehen nun vor der Herausforderung, die Entstehung von Schwarzen Löchern der Größe von Gaia BH3 zu erklären. Das derzeitige Wissen über die Entwicklung massereicher Sterne reicht nicht aus, um zu erklären, wie diese Art von Schwarzen Löchern entstanden ist. Die meisten Theorien gehen davon aus, dass massereiche Sterne mit zunehmendem Alter durch starke Winde einen Großteil ihrer Materie abstoßen und schließlich in Form einer Supernova explodieren.
’Allerdings stellt die Entstehung von Schwarzen Löchern mit einer Masse, die 30 Mal so groß oder größer ist als die der Sonne, eine echte Herausforderung für die derzeitigen Evolutionsmodelle dar. Die Entdeckung von Gaia BH3 in unserer Galaxie ist daher eine erste einmalige Gelegenheit, die Umgebung, in der sich diese überraschend massereichen stellaren Schwarzen Löcher aufhalten, zu untersuchen und ihre Entstehung zu verstehen’, erklärt Nami Mowlavi, Forscher am Departement für Astronomie der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Genf, Mitglied des Teams und Koautor des Fachartikels.
Ein faszinierender Begleiter
Mit einer Umlaufbahn, die etwa 16 Mal so lang ist wie die Entfernung zwischen Sonne und Erde, ist Gaias Begleitstern BH3 eher ungewöhnlich: ein alter Riesenstern im galaktischen Halo, der sich in entgegengesetzter Richtung zu den Sternen in der galaktischen Scheibe bewegt. Seine Flugbahn deutet darauf hin, dass der Stern wahrscheinlich Teil einer kleinen Galaxie war, die vor mehr als 8 Milliarden Jahren von der Milchstraße erfasst wurde. Er könnte sogar aus einem alten, heute aufgelösten Kugelsternhaufen stammen. Der Stern enthält nur sehr wenige Elemente, die schwerer sind als Wasserstoff und Helium, was darauf hindeutet, dass es sich bei Gaias Vorläufer BH3 um einen massereichen Stern handeln könnte, der ebenfalls sehr arm an schweren Elementen ist.
Diese Entdeckung ist bemerkenswert. Sie stützt zum ersten Mal die Vorstellung, dass die massereichen Schwarzen Löcher, die man bei Gravitationswellendetektionen beobachtet, durch den Kollaps primitiver massereicher Sterne entstanden sind, die arm an schweren Elementen sind. Diese Sterne könnten sich anders entwickeln als die Sterne, die wir in der galaktischen Scheibe und in der Nähe der Sonne beobachten. Sie könnten den Großteil ihrer Masse bis zum Ende ihrer Entwicklung behalten und, sobald der Kernbrennstoff in ihrem Kern aufgebraucht ist, kollabieren, so dass am Firmament Schwarze Löcher mit großer Masse zurückbleiben.
Eine appetitliche Vor speise
Die Entdeckung von Gaias BH3 ist erst der Anfang, und es gibt noch viel über seine verwirrende Natur zu entdecken. Die Gaia-Kollaboration hat diesen Schatz gefunden, indem sie die vorläufigen Daten von Gaia validiert hat. Diese Entdeckung ist so außergewöhnlich, dass das Team beschlossen hat, sie bekannt zu geben, ohne auf die nächste offizielle Veröffentlichung der Daten zu warten, die frühestens für Ende 2025 geplant ist. ’Ich freue mich außerordentlich, dass wir diese erstaunliche Entdeckung mit der ganzen Welt teilen können’, sagt Laurent Eyer. Nun, da die Neugier der Wissenschaftler geweckt ist, werden dieses Schwarze Loch und sein Begleiter zweifellos Gegenstand vieler zukünftiger eingehender Studien sein.