Wissenschaftler der Universität Genf zeigen, dass unsere mentalen Repräsentationen von mathematischen Problemen unsere Strategien zu deren Lösung beeinflussen.
Das Lösen von arithmetischen Problemen, selbst von einfachen Subtraktionen, wird von mentalen Repräsentationen begleitet, deren Einfluss noch geklärt werden muss. Eine Visualisierung dieser Repräsentationen würde es unter anderem ermöglichen, unsere Argumentationen besser zu verstehen und die Unterrichtsmethoden anzupassen. Ein Team der Universität Genf , in Zusammenarbeit mit CY Cergy Paris Université (CYU) und der Université de Bourgogne (uB), analysierte Zeichnungen, die Kinder und Erwachsene bei der Lösung einfacher Probleme anfertigten. Die Wissenschaftler stellten fest, dass die effektivsten Rechenstrategien unabhängig vom Alter des Teilnehmers oder der Teilnehmerin mit bestimmten Zeichnungstypologien in Verbindung gebracht werden. Diese Ergebnisse, die in der Zeitschrift Memory & Cognition veröffentlicht wurden, eröffnen neue Perspektiven für den Mathematikunterricht.Der Mathematikunterricht erfolgt häufig über kleine Probleme, die mit konkreten Alltagssituationen in Verbindung stehen. Die Schülerinnen und Schüler müssen beispielsweise Mehlmengen addieren, um ein Rezept zu erstellen, oder Geldbeträge subtrahieren, um den Inhalt ihres Portemonnaies nach dem Einkaufen zu ermitteln. Sie müssen also Aussagen in algorithmische Verfahren übersetzen, um die Lösung zu finden. Diese Übersetzung von Wörtern in Lösungsstrategien erfordert eine mentale Repräsentation von mathematischen Informationen, wie Zahlen oder die Art der auszuführenden Operation, und nicht-mathematischen Informationen, wie den Kontext des Problems.
Die kardinalen oder ordinalen Dimensionen von Problemen
Eine genauere Vorstellung von diesen mentalen Repräsentationen zu haben, würde es ermöglichen, die Wahl der Rechenstrategien besser zu verstehen. Wissenschaftler der Universität Genf, der CYU und der uB führten eine Studie mit 10-jährigen Kindern und Erwachsenen durch, bei der sie einfache Probleme mit der Vorgabe lösen sollten, so wenig Rechenschritte wie möglich zu verwenden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mussten dann zu jeder Aussage eine Zeichnung oder ein Schema anfertigen, das ihre Problemlösungsstrategie erläuterte. Die Kontexte einiger Aufgaben bezogen sich auf die kardinalen Eigenschaften von Zahlen - die Menge der Elemente in einer Menge -, andere auf ihre ordinalen Eigenschaften - ihre Position in einer geordneten Liste.
In den ersten Fällen ging es um Murmeln, Fische oder Bücher, z. B.: "Paul hat 8 rote Murmeln. Er hat auch blaue Murmeln. Insgesamt hat Paul 11 Murmeln. Charlène hat genauso viele blaue Murmeln wie Paul und auch grüne Murmeln. Sie hat zwei grüne Murmeln weniger als Paul rote Murmeln hat. Wie viele Murmeln hat Charlène insgesamt?’. Die zweiten Fragen betrafen Längen oder Zeiten, z. B.: "Sophies Reise dauert 8 Stunden. Ihre Reise findet im Laufe des Tages statt. Bei ihrer Ankunft zeigt die Uhr 11 Uhr. Fred fährt zur selben Zeit wie Sophie ab. Freds Reise dauert 2 Stunden kürzer als Sophies Reise. Welche Uhrzeit zeigt die Uhr bei Freds Ankunft an?’.
Beide Probleme haben die gleiche mathematische Struktur und können sowohl durch eine lange Strategie in drei Schritten (11 - 8 = 3; 8 - 2 = 6; 6 + 3 = 9) als auch in einer einzigen Rechnung (11 - 2 = 9) durch eine einfache Subtraktion gelöst werden. Die mentalen Repräsentationen dieser Probleme sind jedoch sehr unterschiedlich und die Wissenschaftler wollten herausfinden, ob die Art der Repräsentationen eine Vorhersage über die Rechenstrategie - 1 oder 3 Schritte - zur Lösung der Probleme erlaubt.
’Unsere Annahme war, dass kardinale Probleme - wie das mit den Murmeln - zu kardinalen Zeichnungen inspirieren würden, d. h. zu Schemata mit identischen Einzelelementen wie Kreuzen oder Kreisen oder mit Überschneidungen von Elementen in Mengen oder Teilmengen. Ebenso nahmen wir an, dass ordinale Probleme - wie z. B. Reisezeiten - zu ordinalen Darstellungen führen würden, d. h. zu Schemata mit Achsen, Graduierungen oder Intervallen - und dass diese ordinalen Zeichnungen die Vorstellungen der Teilnehmer widerspiegeln und darauf hinweisen würden, dassHippolyte Gros, ehemaliger Postdoktorand an der Fakultät für Psychologie und Erziehungswissenschaften der Universität Genf, Dozent an der CYU und Erstautor der Studie, erläutert: "Die meisten Schülerinnen und Schüler, die an der Studie teilgenommen haben, sind der Meinung, dass sie die einstufige Lösungsstrategie leichter erkennen können.
Mentale Repräsentationen anhand von Zeichnungen erkennen
Diese Hypothesen wurden durch die Analyse der Zeichnungen von 52 Erwachsenen und 59 Kindern bestätigt. Wir haben gezeigt, dass unabhängig von ihrer Erfahrung - da die gleichen Ergebnisse bei Kindern und Erwachsenen erzielt wurden - die Anwendung von Strategien durch die Teilnehmer von ihrer Vorstellung des Problems abhängt und dass diese von den nicht-mathematischen Informationen in der Aussage beeinflusst wird, wie aus ihren Zeichnungen hervorgeht’, sagt Emmanuel Sander, ordentlicher Professor an der Fakultät für Psychologie und Erziehungswissenschaften der Universität Genf. Unsere Studie zeigt auch, dass selbst nach jahrelanger Erfahrung mit dem Lösen von Additions- und Subtraktionsaufgaben der Unterschied zwischen kardinalen und ordinalen Problemen immer noch sehr ausgeprägt ist. Die Mehrheit der Teilnehmer kann nur die Probleme des zweiten Typs in einem Schritt lösen’.
Verbesserung des Mathematiklernens durch die Analyse von Zeichnungen
Das Team stellte außerdem fest, dass Zeichnungen, die Ordnungsdarstellungen zeigen, häufiger mit einer Lösung in einem Schritt in Verbindung gebracht werden, auch wenn es sich um ein kardinales Problem handelt. Es ist also so, dass eine Zeichnung mit einer Skala oder einer Achse mit der Wahl der schnellsten Berechnung zusammenhängt. Aus pädagogischer Sicht legt dies nahe, dass das Vorhandensein bestimmter Merkmale in der Zeichnung eines Schülers darauf hindeuten kann, dass seine Darstellung des Problems am effizientesten ist, um die Vorgaben zu erfüllen - in diesem Fall mit möglichst wenig Rechenaufwand zu lösen", bemerkt Jean-Pierre Thibaut, Professor am Laboratoire d’étude de l’Apprentissage et du Développement der UB.
Wenn es also darum geht, einzelne Elemente zu subtrahieren, ist eine Darstellung über eine Achse - und nicht über Teilmengen - effizienter, um die schnellste Methode zu finden. Die Analyse von Schülerzeichnungen im Fach Arithmetik kann daher eine gezielte Intervention ermöglichen, um den Schülern bei der Übersetzung von Problemen in optimalere Darstellungen zu helfen. Ein Ansatzpunkt ist, im Unterricht an der grafischen Darstellung von Aussagen zu arbeiten, um die direktesten Strategien verständlich zu machen’, schließt Hippolyte Gros.