Durch die Entschlüsselung der neuronalen Reaktion von Menschen mit Schizophrenie auf eine mögliche Belohnung erklärt ein Team der Universität Genf und des Universitätsspitals Genf (HUG) die Ursache des Motivationsmangels, eines der Symptome der Krankheit.
Schizophrenie, von der bis zu 1 % der Bevölkerung betroffen ist, ist eine neuropsychiatrische Störung mit vielfältigen Symptomen. Eines der am weitesten verbreiteten Symptome, für das es keine Behandlung gibt, ist Apathie und Antriebslosigkeit. Durch den Vergleich der neuronalen Aktivierung einer Gruppe von Patienten mit der einer Kontrollgruppe während eines auf Belohnung basierenden Spiels hat ein Team der Universität Genf und des Universitätskrankenhauses Genf (HUG) in Zusammenarbeit mit der Charité Berlin die neuronalen Grundlagen dieser Störung entschlüsselt. Das Gehirn von Menschen mit Schizophrenie kann verschiedene Belohnungsniveaus nicht subtil genug unterscheiden, was ihre Motivation zur Bewältigung alltäglicher Aufgaben hemmt. Diese Ergebnisse, die in der Fachzeitschrift Brain zu lesen sind, lassen verschiedene Therapieansätze wie Hirnstimulation oder gezielte Psychotherapien zu.
Wenn man von Schizophrenie spricht, denkt man zuerst an halluzinatorische oder wahnhafte Symptome wie Verfolgungsideen. Weniger auffällig sind jedoch Apathie und Antriebslosigkeit, die im Alltag genauso belastend sind. Stefan Kaiser, ordentlicher Professor an der Abteilung für Psychiatrie und am Synapsy-Zentrum für neurowissenschaftliche Forschung im Bereich psychische Gesundheit an der Medizinischen Fakultät der Universität Genf und Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie am Universitätsspital Genf, der die Arbeit leitete, erklärt: "Mangelnde Motivation ist der Grund für die Schwierigkeiten, die Menschen mit Schizophrenie haben, wenn sie studieren, eine Arbeit behalten oder soziale Kontakte pflegen. ’Außerdem haben Antipsychotika, die gegen halluzinatorische Phänomene und Wahnvorstellungen verschrieben werden, keine Wirkung auf Motivationsprobleme. Für letztere gibt es derzeit keine wirksame Behandlung’.
Was passiert im Gehirn, insbesondere im neuronalen Belohnungssystem, das für die Motivation und die Verhaltensreaktion verantwortlich ist? Mithilfe von MRT-Beobachtungen wollten die Wissenschaftler herausfinden, ob sich diese Reaktion bei Menschen mit Schizophrenie von derjenigen bei Menschen ohne psychische Störung unterscheidet und ob es möglich ist, eine Korrelation zwischen der neuronalen Reaktion und der klinischen Beobachtung herzustellen.
Auslösen der neuronalen Reaktion durch das Spiel
Die Wissenschaftler meldeten 152 Freiwillige - 86 Personen mit Schizophrenie und 66 "Kontrollen" ähnlichen Alters und Geschlechts - an, um ein Belohnungsspiel in einem Kernspintomographen zu spielen und die Aktivierung ihrer Gehirnregionen zu beobachten. Das Experiment bestand aus drei Phasen: einer Bewertung der Motivation in verschiedenen Kontexten, einer ersten Spielsitzung und einer zweiten, identischen Sitzung drei Monate später, um die Stabilität der Gehirnreaktion im Laufe der Zeit zu messen.
Um die Belohnungsnetzwerke zu stimulieren, konnte man bei dem Spiel Geld gewinnen - bis zu etwa 40 CHF. Zu Beginn jedes Versuchs erscheint ein Kreis, der den möglichen Gewinn anzeigt: ein leerer Kreis (Gewinn 0), ein Kreis mit einem Balken (Gewinn zwischen 0 und 0,4 CHF) oder ein Kreis mit zwei Balken (Gewinn zwischen 0 und 2 CHF)’, erklärt Mariia Kaliuzhna, Oberassistentin an der Abteilung für Psychiatrie der Medizinischen Fakultät der Universität Genf und Erstautorin der Arbeit. ’Dann tauchen drei weitere Kreise auf. Der rechte oder der linke unterscheidet sich von den anderen beiden und man muss so schnell wie möglich den entsprechenden Knopf drücken. Ein roter Balken zeigt schließlich an, wie hoch die Verstärkung ist, wenn das neuronale Netz aktiviert wird. Die Versuche dauerten etwa 15 Minuten.
Unteraktivierung oder Sättigung
In der ersten Sitzung zeigten die Schizophreniekranken ein niedrigeres Aktivierungsniveau als die Kontrollgruppe, vor allem wenn die Verstärkung gering war, als ob ihr Gehirn Mühe hätte, sich zu aktivieren. In der zweiten Sitzung hingegen stieg die Gehirnaktivität vieler kranker Menschen deutlich an, sogar über die der Kontrollgruppe hinaus, die ihrerseits das gleiche Aktivierungsniveau beibehielt.
’Entgegen dem ersten Anschein sind diese Ergebnisse nicht widersprüchlich. Sie zeigen vielmehr, dass bei Menschen mit Schizophrenie die neuronale Reaktion nicht in der Lage ist, sich an den Belohnungskontext anzupassen. Es kommt entweder zu einer Unteraktivierung oder einer Sättigung, was auf eine Fehlregulation dieser Gehirnstruktur hindeutet. In beiden Fällen kann die Person die Belohnung nicht richtig einschätzen, um ihr Verhalten anzupassen. Das Ergebnis wäre eine Unfähigkeit, auf die kleinen Belohnungen des Alltags - wie ein Essen mit Freunden oder einen angenehmen Spaziergang - zu reagieren, was typisch für apathische Verhaltensweisen ist’, entschlüsselt Mariia Kaliuzhna.
Diese Ergebnisse eröffnen eine Reihe von Therapieansätzen, die genau auf diesen Mangel an neuronaler Aktivierung einwirken. Es könnte sich beispielsweise um eine Psychotherapie handeln, die auf die Wahrnehmung von Belohnung und Freude abzielt, um die Motivation für soziale Verhaltensweisen zu steigern, oder um die nichtinvasive Hirnstimulation, eine Technik, die bereits bei Depressionen eingesetzt wird", sagt Mariia Kaliuzhna. ’Allerdings sind diese Techniken komplex und müssen vor der klinischen Umsetzung in klinischen Studien validiert werden.’
2. Jul. 2024