Unser Tiefschlaf zeigt, wie kooperativ wir sind

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Zur Messung der Hirnströme, aus der die Forschenden das persönliche Schlafprofil
Zur Messung der Hirnströme, aus der die Forschenden das persönliche Schlafprofil ableiten können, wird eine Probandin bei sich zu Hause mit Elektroden versehen, sodass sie in gewohnter Umgebung schlafen kann. © zvg

Jede Person hat ihr persönliches Schlafprofil, das sich am Muster der Hirnströme erkennen lässt. Nun zeigen Forschende der Universität Bern, dass sich an Gehirnwellen während des Tiefschlafs in einem bestimmten Gehirnareal sogar ablesen lässt, wie kooperativ und prosozial ein Mensch im Alltag ist.

Menschen spenden an Hilfsorganisationen, engagieren sich in der Freiwilligenarbeit, setzen sich für kooperative Projekte ein: Sie investieren ins Wohlergehen anderer und in das Gemeinwohl, ohne stets selbst zu profitieren. Kooperatives und prosoziales Verhalten spielt eine wichtige Rolle für eine gut funktionierende Gesellschaft - aber nicht alle Menschen zeigen sich gleich ausgeprägt kooperativ und gemeinnützig. Wie prosozial sich jemand verhält, lässt sich auch am Tiefschlaf erkennen, wie Forschende rund um Daria Knoch, Professorin für Soziale Neurowissenschaft an der Universität Bern, nun zeigen: ’Je mehr langsame Hirnwellen eine Person im Tiefschlaf in der sogenannten rechten temporo-parietalen Verbindung (TPJ) aufweist, desto prosozialer agiert sie oder er. Dieses Hirnareal in der Grosshirnrinde ist unter anderem an der Perspektivenübernahme, also der Fähigkeit, sich in ein Gegenüber hineinzuversetzen, beteiligt’, erläutert Daria Knoch die Ergebnisse der Studie. Diese wurden nun in der Fachzeitschrift The Journal of Neuroscience veröffentlicht.

’Slow waves’ weisen auf die Schlafqualität hin

Langsame Hirnwellen, so genannte ’slow waves’, treten im Tiefschlaf auf und zeigen eine gute Schlafqualität an. Die Aktivität der ’slow waves’ in den verschiedenen Hirnregionen ist sehr individuell und zeitlich relativ stabil. Das heisst: ’Jede Person hat ihr persönliches neuronales Schlafprofil’, so Co-Erstautorin Lorena Gianotti. Um herauszufinden, ob dieses Profil etwas über die Ausprägung der Prosozialität einer Person aussagt, untersuchte das Forschungsteam 54 Personen mit sieben bis acht Stunden Nachtschlaf. Dabei wurden die Schlafdaten mit einem tragbaren polysomnographischen System mit 66 EEG-Elektroden an der Kopfoberfläche erhoben. ’Dies wurde bei den Teilnehmenden zu Hause gemacht, um einen natürlichen Schlaf zu ermöglichen’, erläutert Co-Erstautorin Mirjam Studler.

Prosozial im sogenannten öffentlichen-Gut-Paradigma’

Wie prosozial jemand handelt, wurde anschliessend in einem öffentlichen-Gut-Spiel’ eruiert, das reale Konsequenzen für die Teilnehmenden hatte - sie nahmen mehr oder weniger Geld mit nach Hause. In jeder Versuchssitzung sassen jeweils drei Personen, die mit 20 Punkten (1 Punkt = CHF 0.5) ’ausgestattet’ wurden. Sie entschieden nun anonym, ob sie ihre Punkte behalten oder alles oder einen Teil davon zum öffentlichen Gut beitragen wollen. Wichtig dabei: Jeder Punkt, der in den gemeinsamen Topf ging, wurde von der Spielleitung verdoppelt, was den Gewinn für die gesamte Gruppe erhöhte. Die Schlusssumme im Topf wurde danach an alle Teilnehmenden zu gleichen Teilen ausgezahlt. Das heisst: Auch eine Person, die nichts spendiert, also nicht kooperiert hatte - eine so genannte ’Trittbrettfahrerin’ - erhielt ihren Anteil.

Viel Tiefschlaf in bestimmtem Hirnareal

Wer im Schlaf viel ’slow-wave’-Aktivität in einer bestimmten Hirnregion, nämlich in der rechten temporo-parietalen Verbindung (TPJ) hat, ist im öffentlichen-Gut-Spiel’ grosszügiger gegenüber der Gruppe als jemand mit geringerer ’slow-wave’-Aktivität. Interessant ist: Nicht die Schlafdauer hatte dabei einen Einfluss auf die Kooperationsbereitschaft; entscheidender ist, dass der Tiefschlaf in der -richtigen’ Hirnregion stattfindet, also in der TPJ. ’Aufgrund der relativen Stabilität der Schlafprofile deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Schlafqualität im besagten Hirnareal ein Indikator für die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme sein könnte, die sich darin äussern kann, wie kooperativ und prosozial sich eine Person verhält. Der Umkehrschluss, dass jemand, der wenig Tiefschlaf in besagtem Hirnareal hat, weniger kooperativ ist, lässt sich allerdings aus diesen ersten Ergebnissen nicht ziehen’, führt Daria Knoch aus.

Die Forschenden hoffen, mit dem besseren Verständnis der neurobiologischen Mechanismen, die prosozialer Neigung zugrunde liegen, künftige Ansätze zu inspirieren, wie Perspektivenübernahme und prosoziales Verhalten positiv beeinflusst werden könnten.