Befürworter wollten ein symbolisches Zeichen setzen

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Bern - Universität Bern

Mit dem Ja zur Minarettverbots-Initiative wollten die Stimmbürger ein symbolisches Zeichen gegen die Verbreitung des Islams in der Schweiz setzen. Die VOX-Analyse zeigt aber auch, dass die Zustimmung zum Minarettverbot keine generelle Ablehnung der Muslime in der Schweiz ist. Neben dem Links-Rechts-Gegensatz waren auch unterschiedliche Werteeinstellungen entscheidend für das Stimmverhalten bei der Minarett-Abstimmung.

Anlässlich der drei Volksabstimmungen vom 29. November 2009 wurde zum 100. Mal die so genannte VOX-Analyse durchgeführt. Diese repräsentative Bevölkerungsbefragung wird seit 1977 nach eidgenössischen Volksabstimmungen durchgeführt und gibt Auskunft darüber, wer wie gestimmt hat und welche Motive und Argumente für die Stimmabgabe entscheidend waren. Im Mittelpunkt der 100. VOX-Analyse steht das Stimmbürgerverhalten bei der mit 57.5 Prozent Ja-Stimmen überraschend angenommenen Initiative für ein Bauverbot für Minarette.

Das Stimmverhalten zur Minarettinitiative war stark vom Links-Rechts-Gegensatz geprägt: Die Linke lehnte sie mit über 80 Prozent Nein-Stimmen deutlich ab; die Rechte stimmte ihr fast ebenso klar zu. Entscheidend für den Ausgang der Volksabstimmung war deshalb das Verhalten der politischen Mitte. Die Sympathisantinnen und Sympathisanten der SVP standen nahezu geschlossen hinter der Initiative, die Anhänger der Grünen und der SP lehnten sie massiv ab. Die Sympathisanten der FDP und der CVP entschieden sich mehrheitlich gegen die Parole ihrer eigenen Partei (54 Prozent Ja bei der CVP, 60 Prozent Ja bei der FDP).

Das Verdikt der Volksabstimmung lässt sich nicht allein mit Fremdenfeindlichkeit und dem Widerstand gegen die Globalisierung und einen daraus resultierenden Identitätsverlust der Schweiz erklären. Auch Bürgerinnen und Bürger, die sich für die Chancengleichheit zwischen Schweizern und Ausländern aussprechen respektive sich für eine weltoffene und moderne Schweiz einsetzen, stimmten zu rund 40 Prozent für das Minarettverbot.

Von den gesellschaftlichen Merkmalen wirkte sich die formale Bildung am stärksten auf den Abstimmungsentscheid aus. Wer als Bildungsabschluss eine Berufslehre vorweisen kann, stimmte zu 76 Prozent mit Ja. Wer eine höhere Berufsschule oder eine Hochschule besuchte, war nur zu 48 Prozent respektive 34 Prozent für das Minarettverbot. Sowohl protestantische als auch katholische Christen stimmten zu rund 60 Prozent für die Initiative, religionslose Personen lehnten sie ab.

Insgesamt gab es keine signifikanten Unterschiede im Abstimmungsverhalten nach Geschlecht und Alter. Im Gegensatz zu den nach der Abstimmung geäusserten Vermutungen ist das Minarettverbot aber bei den linken Frauen sehr schlecht angekommen: Nur 16 Prozent stimmten dafür, bei den linken Männern waren es mit 21 Prozent etwas mehr. Eine stärkere Sympathie der Frauen gegenüber den Männern für das Minarettverbot bestand nur im Lager der Rechten: Hier legten 87 Prozent der Frauen und bloss 71 Prozent der Männer ein Ja in die Urne.

Bei den Entscheidmotiven der Befürworter wurde weitaus am häufigsten die Absicht genannt, ein symbolisches Zeichen gegen die Ausbreitung des Islam in der Schweiz setzen zu wollen. Etwa jeder sechste Befürworter begründete seinen Entscheid als Reaktion auf die Diskriminierung der christlichen Kirchen in islamisch geprägten Ländern. Konkrete Kritik an den in der Schweiz lebenden Muslimen gaben nur 15 Prozent der Ja-Stimmenden als Entscheidmotiv an. Die Zustimmung zum Minarettverbot kann damit nicht als generelle Ablehnung der in der Schweiz lebenden Muslime interpretiert werden. Zudem erklärte sich eine Mehrheit von 64 Prozent aller Stimmenden voll oder ziemlich davon überzeugt, dass sich die schweizerische und die islamische Lebensweise gut vertragen. Auf das Stimmverhalten wirkte sich diese positive Einschätzung aber nicht aus. Auch diejenigen, welche von einer sehr guten Verträglichkeit ausgehen, stimmten dem Verbot des Baus neuer Minarette mit einem Ja-Anteil von 49 Prozent zu.

Eine zusätzliche Auswertung der insgesamt knapp 300 minderheitenrelevanten Volksabstimmungen auf Bundes- und Kantonsebene von 1960 bis 2009 macht deutlich, dass bei den einzelnen Minderheiten sehr unterschiedlich abgestimmt wird. Das Volk stimmte besonders dann zum Nachteil der Minderheit, wenn diese in der öffentlichen Wahrnehmung schlecht integriert ist und fremde Wertevorstellungen vertritt. Hauptbetroffen sind die Ausländer: Von über 70 Abstimmungsvorlagen zur rechtlichen Besserstellung von Ausländerinnen und Ausländern sind seit 1960 fast die Hälfte (45 Prozent) abgelehnt worden. Die Muslime sind dabei doppelt betroffen – als religiöse Minderheit und als Ausländer (rund 90 Prozent der Muslime sind Ausländer). Andere Minderheiten haben dagegen an der Urne kaum Diskriminierung erfahren. Dies gilt insbesondere für die schweizerischen Sprachminderheiten, aber auch Behinderten wurden in 25 Abstimmungen meist bessere rechtliche und finanzielle Bedingungen gewährt. Auf Bundesebene stimmen vor allem linke Bürgerinnen und Bürger, die für eine weltoffene Schweiz sind, generell am minderheitenfreundlichsten, während rechte und traditionsbewusste Bürgerinnen und Bürger Minderheiten gegenüber besonders kritisch eingestellt sind.

Die Anhängerschaften der Schweizer Parteien stimmten bei eidgenössischen Urnengängen der letzten 15 Jahre in beträchtlichem Masse parolenkonform. Allerdings macht eine Analyse der Stimmmotive und der Argumente deutlich, dass der Stimmbürger und die Stimmbürgerin Parolen eher selten direkt in einen Entscheid umsetzen. Vielmehr werden die von ihren bevorzugten Parteien vorgelegten Argumente stark beachtet. Die Empfehlungen des Bundesrats werden hingegen stärker befolgt. Sie sind insbesondere bei komplexen Vorlagen, deren Thema dem Bürger zudem wenig vertraut ist, ein wichtiger Standpunkt bei der Meinungsbildung. Die Regierungsempfehlung wird ausserdem umso stärker umgesetzt, je höher das generelle Regierungsvertrauen ist.

Prof. Dr. Adrian Vatter, Gesamtverantwortlicher für die VOX-Analyse vom 29. November 2009
Institut für Politikwissenschaft, Universität Bern
Lerchenweg 36, 3000 Bern 9
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