«Die Leute möchten immer wissen, woran ich forsche», sagt von Gunten schmunzelnd. «Aber das ändert sich sofort, wenn ich beginne ins Detail zu gehen.» Nach Abschluss des Diplom-Studiengangs Chemie an der ETH Zürich baute sich von Gunten einen Ruf als internationale Koryphäe im Bereich der Wasseraufbereitung auf. Er arbeitete an der Entwicklung von Oxidationsund Desinfektionsprozessen mit, die heutzutage in der Trinkwassergewinnung und in der Abwasserbehandlung als Standardverfahren gelten. Mit seinen Forschungsschwerpunkten steht er eindeutig auf der «richtigen Seite» der Wissenschaft: Auch wenn wir den unbeschränkten Zugang zu Trinkwasser in vielen Teilen der Welt als selbstverständlich erachten, müssen die Verfahren, die Wasser zu Trinkwasser machen, noch weiter verbessert werden.
Sieht man sich die lange Liste an Auszeichnungen und Errungenschaften von Guntens an, wird einem die Reichweite seiner Arbeit bewusst. 2022 fand sich sein Name auf der Liste der «Highly Cited Researchers» aufgrund seiner Forschung zur Wasseroxidation, die heute als Standard in diesem Gebiet gilt. Im selben Jahr wurde er ausserdem bei einer Zeremonie, die mit der Oscar-Verleihung vergleichbar ist, mit dem «Award for Creative Advances in Environmental Science and Technology» der American Chemical Society ausgezeichnet. Damit ist er erst der dritte nicht US-amerikanische Wissenschaftler mit dieser Auszeichnung. Im Januar 2023 war er auf der Titelseite der Fachzeitschrift Environmental Science and Technology. Im November letzten Jahres veröffentlichte dasselbe Magazin eine Spezialausgabe, die seiner Karriere gewidmet war.
Dieses Jahr wird von Gunten und sechs weiteren Forschenden der Sandmeyer Preis der Schweizerischen Chemischen Gesellschaft für «die Entwicklung einer erweiterten Abwasserbehandlung zum Abbau von Mikroverunreinigungen mit Ozon» verliehen. Im Januar 2024 veröffentlichte die Fachzeitschrift Water Research von Guntens Beitrag mit dem Titel «Oxidation Processes and Me», in dem er die wichtigsten Aspekte seiner Forschungsarbeiten zusammenfasst. Mit einem Augenzwinkern, erklärt von Gunten, dass der Titel dieses Beitrags nicht von ihm selbst, sondern von der Zeitschrift gewählt wurde. Trotz all seiner Erfolge, nimmt er sich selbst nicht allzu ernst.
Von Guntens Bescheidenheit ist wohl darauf zurück zu führen, dass er denkt in seiner Laufbahn viel Glück gehabt zu haben - als ob die Planeten genau in den wichtigsten Momenten seines Lebens zufällig richtig gestanden wären. Immer wieder betont er wie wichtig Teamwork und Zusammenarbeit für eine erfolgreiche, relevante Forschung sind.
Ein Jahr vor seinem Ruhestand empfindet von Gunten eine tiefe Dankbarkeit gegenüber seinen Mentoren und seiner Familie, aber auch der Schweizer Bevölkerung. Denn dank ihrer Unterstützung konnte er den Grossteil seiner Arbeitszeit der Forschung widmen und mit seinen Ergebnissen letztendlich zum Wohl der Gesellschaft beitragen. Insgesamt beschreibt er seine Karriere als ein grosses «Privileg».
Ein ambitionierter Student
Von Gunten, gebürtiger Berner und Sohn eines Professors für Radiochemie, entschied sich nach seinem Diplom an der ETH Zürich Anfang der 80er-Jahre gegen eine Karriere in der Arzneimittelentwicklung oder synthetischen Chemie. Stattdessen begann er sein Doktorat an der ETH Zürich. Nachdem er sein Doktorat 1989 mit der Arbeit zum Thema «Eisenkreislauf in Seen» abgeschlossen hatte, trat er eine zweijährige Postdoc-Stelle bei der Eawag an, bei der er biogeochemische Prozesse während der Uferfiltration erforschte. Beide Themen waren eng mit einem Forschungsfeld verbunden, das immer mehr an Bedeutung gewann und sich schliesslich zu einem wichtigen Forschungsfeld in den Umweltund Ingenieurswissenschaften entwickelte.Während seiner Zeit bei der Eawag traf von Gunten auf Professor Jürg Hoigné, einen der führenden Forscher in der oxidativen Wasseraufbereitung, der schliesslich zu seinem Mentor wurde. «Ich war begeistert», sagt er. «Ich konnte weiter als Chemiker arbeiten und meine Forschung gleichzeitig im Bereich Abwasserbehandlung und für die Sicherstellung von Trinkwasser anwenden. Ich hatte das Gefühl, endlich da zu sein, wo ich hingehöre.»
Brücke von der Forschung zur Praxis
Von Guntens Karriere nahm eine spannende Wende, als ihn Hoigné für sieben Monate in das Forschungszentrum der Compagnie Lyonnaise des Eaux schickte, die heute als Suez Environment bekannt ist. Dies war seine erste praktische Erfahrung in der Wasseraufbereitungsindustrie. Zu diesem Zeitpunkt gab die Verunreinigung von Trinkwasser durch Pestizide Anlass zu ernsthafter Besorgnis. Von Gunten konnte seine Hypothesen in einem wirklichkeitsnahen Umfeld testen und zeigen, dass diese Verbindungen mit seinen erweiterten Oxidationsprozessen erfolgreich abgebaut werden können. Auch andernorts beschäftigte er sich weiter damit, Lücken zwischen Forschung und Praxis zu schliessen: in Zürich und Baselland sowie an anderen Orten in der Schweiz, in Europa, in den USA, in Australien und in Asien.Im Kanton Basel-Landschaft untersuchte er das Potenzial regionaler Wasserversorgung, um die Trinkwasserversorgung widerstandsfähiger gegen die Verschmutzung und den Klimawandel zu machen. «Die Niederlande sind ein faszinierendes Beispiel», so von Gunten. «Da es für das ganze Land nur etwa ein Dutzend Trinkwasserversorger gibt, ist es leichter, grossflächig und langfristig zu planen und künftige Probleme schon jetzt zu betrachten. In der Schweiz ist es viel schwieriger, in derart grossen Dimensionen zu denken, da der Grossteil des Trinkwassers von kleinen kommunalen Anbietern kommt, die von Teilzeitbeschäftigten geleitet werden.»
Frühe Erfolge
Nach seiner Rückkehr zur Eawag wurde von Gunten 1995 für seinen Forschungsbereich mit der Führung des Forschungsteams und mit der wissenschaftlichen Leitung betraut. Die Eawag wurde von der Weltgesundheitsorganisation darüber in Kenntnis gesetzt, dass Bromat, eine möglicherweise krebserregende Verbindung, in Trinkwasser gefunden wurde, nachdem dieses mit Ozon desinfiziert worden war. Bis heute gilt Ozon als hochwirksames Oxidationsund Desinfektionsmittel für die Wasseraufbereitung. Von Gunten und sein Team machten es sich zur Aufgabe, diese Gefahr für die öffentliche Gesundheit unter die Lupe zu nehmen. Er stellte ihre Arbeit bei seiner ersten Tagung in den USA vor und stellte zu seiner Überraschung fest, dass die Schweiz bei diesem Thema eine Vorreiterrolle innehatte. «Dank ihrer bahnbrechenden Forschungsarbeit und langfristigen Strategien, zählte die Eawag schnell zu einem der weltweit führenden Institute auf dem Gebiet der Wasserchemie», erklärt er.Das war nur die erste von den vielen folgenden Erfolgsgeschichten. So beschäftigten sich von Gunten und sein Forschungsteam zum Beispiel, gemeinsam mit Ökotoxikologinnen an der Eawag, mit dem Problem, dass der Wirkstoff der Antibabypille zur Kontaminierung von Wasser führt. Wird dieser Wirkstoff ins Abwasser gespült, führt er dazu, dass männliche Fische verweiblicht werden. «Indem wir Teile der östrogenen Verbindungen durch Oxidation verändert haben, konnten wir deren Wirkung auf die Fische entgegenwirken», sagt er. «Ohne interdisziplinäre Zusammenarbeit wäre uns das nicht gelungen.»
Seit 2011 kann von Gunten als ordentlicher Professor an der EPFL School of Architecture, Civil and Environmental Engineering (ENAC) in seinen Kursen zu Umweltchemie und Trinkwasseraufbereitung seine Leidenschaft an seine Studierenden weitergeben. Dank der engen Kooperation zwischen der Eawag und der EPFL kann er mit anderen Forschenden der ENAC in Projekten zusammenarbeiten.
Das Zepter an die nächste Generation weitergeben
Von Gunten ist Überzeugt, dass die Zukunft seines Forschungsbereichs in guten Händen ist. Viele seiner ehemaligen Doktorandinnen und Doktoranden und Postdoktorierenden arbeiten heute in der Wasseraufbereitung, in Umweltschutzbehörden, in der chemischen Industrie, bei Wasserversorgern oder als Professorinnen und Professoren. Wenyu Gu hat bei der EPFL bereits ihre Stelle als Tenure-Track-Assistenzprofessorin angetreten und Übernimmt somit die Position ihres Kollegen Christof Holliger, einem auf Umweltmikrobiologie und biologische Abwasserbehandlung spezialisierten Wissenschaftler und Fakultätsmitglied. Bewerbungen für von Guntens Stelle werden derzeit geprüft.Die Herausforderungen, die auf die nächste Generation zukommen, sind gross. Mit der Entwicklung neuer analytischer Methoden können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler neue Mikroverunreinigungen in Wasserressourcen und Abwasser immer besser nachweisen. Dazu zählen z.B. Mikroplastik, perund polyfluorierte Chemikalien (PFAS) und Metaboliten von Pestiziden. Trotz dieser Herausforderungen bleibt von Gunten optimistisch: «Durch die Modellierung chemischer Prozesse wird es uns gelingen, neue Methoden zu entwickeln, um vorherzusagen, wie sich diese Verbindungen in der Umwelt verhalten und um Strategien auszuarbeiten, damit diese Verbindungen abgebaut werden können. Idealerweise werden wir das Verhalten von Chemikalien in der Umwelt vorhersagen können - oder noch besser, bevor diese Überhaupt in die Umwelt gelangen.»
In seinem Ruhestand möchte sich von Gunten zwei Hobbys widmen, die ihn seit langem begeistern: Klettern und Skitouren. Und auch wenn er seinem Nachfolger an der Eawag/EPFL die Übergabe erleichtern möchte, hat er nicht vor, «zu einem alten, längst vergessenen Forscher zu werden, der noch auf den Gängen der Uni herumlungert. » Eines ist jedenfalls sicher: Die Wissenschaft wird ihn so bald nicht vergessen.