Das erste umfassende Tierlexikon stammt aus Zürich    

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(jpg, 987 KB) Die Giraffe und ein paar andere Tiere aus Gessners «Historia anima
(jpg, 987 KB) Die Giraffe und ein paar andere Tiere aus Gessners «Historia animalium» fanden den Weg bis nach China, wo sie 1725 in einer Enzyklopädie erschienen. (Bild: Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung)
Im 16. Jahrhundert war die Tierkunde eine weitgehend unerforschte Disziplin. Der Zürcher Stadtarzt und Gelehrte Conrad Gessner versuchte als Erster, die Tiere aller damals bekannten Kontinente zu beschreiben. Er schuf eine gewaltige Enzyklopädie mit über 1’000 Tieren in Wort und Bild. Die neue Sonderausstellung «Tiere von A bis Z - die Tierbücher Conrad Gessners (1516-1565)» des Zoologischen Museums der Universität Zürich zeigt, wie Gessner das damalige und antike Wissen zusammentrug, neu ordnete und damit die Tierkunde für Generationen auf dem langen Weg zur modernen Zoologie prägte.

Das Zoologische Museum der Universität Zürich widmet Conrad Gessners Tier-Enzyklopädie eine Sonderausstellung. (Bild: Zoologisches Museum der Universität Zürich)

Conrad Gessner war ein strukturierter Querdenker. Mit seiner «Historia animalium» schaffte er eine Tier-Enzyklopädie, wie es sie vorher noch nicht gegeben hatte. Er porträtierte die Tiere anhand ihrer unterschiedlichsten Facetten: Neben Lebensraum, Lebensweise und Physiologie beschrieb er auch ihre Laster und Tugenden - etwa den selbstlosen Pelikan. Er thematisierte den gottgegebenen Nutzen der Tiere für die Menschen: Von der Jagd über die Zähmung bis zur Tierhaltung und schilderte, wie man sie kochen oder als Heilmittel nutzen konnte. Als belesener Universalgelehrter erläuterte Gessner in seiner Enzyklopädie auch die vielschichtigen Tierdeutungen in Literatur und Kunst, in Sprichwörtern und Fabeln.

Erfindung eines Nachschlagewerks für Tiere 


Besucherinnen und Besucher der Ausstellung zur Feier des 500. Geburtstags von Conrad Gessner erfahren, wie dieser sein umfassendes Wissen über Tiere anhand eines ausgeklügelten Systems bündelt. Er unterteilt das Tierreich - in Anlehnung an Aristoteles - in vier grosse Gruppen: Vierfüssige lebendgebärende Tiere, vierfüssige eierlegende Tiere, Vögel und Wasserlebewesen. Er widmet jeder Gruppe einen Band und listet darin die Tiere alphabetisch auf, wobei er jedes Tierporträt in acht gleiche Unterkapitel einteilt: «Diese Kombination von alphabetischer Reihenfolge und strukturierten Porträts erlaubte erstmals, in einer riesigen Informationsmenge schnell und gezielt bestimmte Angaben zu finden und diese quer über mehrere Tiere zu vergleichen», sagt Lukas Keller, Direktor des Zoologischen Museums der Universität Zürich.

Wissenslücken füllen


Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen wollte Gessner nicht nur alte Werke kritisieren, sondern neues Wissen schaffen. Sein Rezept: «Man sammle in Wort und Bild das ganze überlieferte und zeitgenössische Tierwissen. Man beobachte, seziere, beschreibe und illustriere auch selber. Mit den eigenen Erkenntnissen hinterfrage und kommentiere man das antike und neue Tierwissen. Nun mische man die inzwischen enorm gewordene Wissensmenge kräftig, zerlege sie in Stücke und ordne sie neu.»

Begnadeter Illustrator und Netzwerker


Neue Massstäbe setzte Gessner in der detailgetreuen Abbildung der Tiere. Mit rund 1’000 Holzschnitten gab er den Bildern einen ähnlichen Stellenwert wie dem Text. Gessner übernahm sie aus Büchern oder von Künstlern; er beobachtete und zeichnete auch viele Tiere selber. Als eine der lebensechtesten Illustrationen sticht die Amsel in der «Historia animalium» hervor - mit singend geöffnetem Schnabel und einer kleinen abstehenden Feder. Obwohl er nicht viel reisen konnte, war Gessner gut vernetzt. Er sammelte mit gezielten Suchlisten über sein in ganz Europa verteiltes Korrespondenten-Netz und erhielt etwa einen Tukan-Schnabel, oder eine Echsenhaut von einem italienischen Mittelsmann.

Meister in einer Übergangszeit


Gessner beschritt mit seiner bildgewaltigen Enzyklopädie neue Wege, dennoch stand er am Übergang zwischen antiker Gelehrsamkeit und eigenständiger neuzeitlicher Tierbeobachtung. Manchmal traute er mehr seinen eigenen Augen, manchmal hielt er sich lieber an das überlieferte Wissen - wie das Einhorn in der Ausstellung veranschaulicht. Dieses war der Held vieler Fabeln und da Fabelwesen im Schöpfungsplan einen Platz hatten, waren sie für den gläubigen Gessner denkbar. Von den 25 in seinem Werk beschriebenen Fabelwesen zweifelte er 21 an, das Einhorn bestätigte er. Erst Jahrzehnte später setzte sich die Erkenntnis durch, dass das Horn des Einhorns der Zahn des Narwals ist.

Werk mit Folgen


Die «Historia animalium» in Latein war für Gelehrte gedacht und gelang zuerst nur in öffentliche Bibliotheken und in die Hände von Reichen. Um den Absatz zu erhöhen und den Preis zu senken, liess der Buchdrucker Froschauer, der Vorgänger von Orell Füssli, zwei handliche Bildbände herstellen. Durch die massiv gekürzten lateinischen Texte waren die so genannten Icones lesbarer und die Bilder erhielten noch mehr Gewicht. Der moderne Buchdruck ermöglichte die Massenvervielfältigung und somit eine schnelle Wissensverbreitung. So fand etwa das Bild der Giraffe in Gessners «Icones animalium» den Weg bis nach China, wo es 1725 in einer Enzyklopädie erschien.