Die ungleiche Verteilung von Lärm

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Die Karten zeigen die durchschnittliche Lärmbelastung in Zürich und Bern sowie das durchschnittliche Einkommen und den Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund in Prozent.

Wer mehr verdient, kann sich in Städten besser gegen Lärm und die damit einhergehenden Gesundheitsrisiken schützen. Dies zeigen zwei neue ETH-Studien, die in Bern, Zürich, Hannover und Mainz durchgeführt wurden.

Zu viel Lärm schadet der Gesundheit: Er führt zu Schlafstörungen, erhöhtem Blutdruck und Herz-Kreislauferkrankungen. Wer dauerhaft und ungeschützt einer erhöhten Lärmbelastung ausgesetzt ist, muss gar mit einer geringeren Lebenserwartung rechnen.

In Städten gilt dieses Risiko als besonders hoch. Viel befahrene Strassen sind nicht nur laut, wegen Abgasen werden dort auch oft erhöhte Schadstoffwerte gemessen. Hinzu kommt der Fluglärm angrenzender Flughäfen. Allein in Zürich ist knapp die Hälfte der Bevölkerung einer Verkehrsund Fluglärmbelastung ausgesetzt, welche die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definierten Grenzwerte von 53 und 45 Dezibel (dB) Übersteigt.

Doch wie ist diese Belastung auf die Bevölkerung verteilt? Sind alle Stadtbewohner:innen gleichermassen betroffen, oder leiden Menschen mit geringerem Einkommen unter einer grösseren Lärmbelastung? Diesen Fragen widmen sich zwei kürzlich veröffentlichte Studien einer internationalen Forschungsgruppe unter der Leitung von ETH-Soziologe Andreas Diekmann und Ulf Liebe von der Universität Warwick. Die Studien kombinieren erstmals das subjektive Lärmempfinden von rund 7500 zufällig ausgewählten Bürger:innen der Städte Bern, Zürich, Hannover und Mainz mit der gemessenen Lärmbelastung am Wohnort und der Grösse und Ausstattung der Haushalte.

Nur an der Aussenwand sind alle gleich

Die Ergebnisse der Studien Überraschen, denn die Lärmbelastung in den vier Städten ist auf den ersten Blick gerechter verteilt als erwartet: «Fokussiert man auf die objektiv gemessene Lärmbelastung eines Haushalts, ist lediglich ein sehr schwacher Zusammenhang zum Einkommen der Bewohner:innen zu verzeichnen», erklärt der emeritierte ETH-Professor Diekmann.

Ein Lohnunterschied von CHF 1’000 hat in Bern und Zürich keinen wahrnehmbaren Einfluss auf die Lärmbelastung an der Wohnungsaussenwand. In allen vier untersuchten Städten betragen die Einkommenseffekte weit weniger als ein Dezibel. Unterschiede, die kaum wahrnehmbar sind. Zum Vergleich: ein normales Gespräch findet bei circa 50 dB statt, Atemgeräusche liegen bei etwa 10 dB. Und wenn man in der Schweiz von der Stadt aufs Land zieht, wird der Verkehrslärm im Durchschnitt um 4 bis 5 dB leiser.

Wer mehr verdient, kann sich besser schützen

Doch Diekmann und seine Mitautor:innen analysieren nicht nur den Lärmpegel an der Aussenwand, sondern vergleichen diesen auch mit dem subjektiven Lärmempfinden der Befragten im Inneren ihrer Wohnung.

Dabei fällt auf, dass Menschen mit höherem Einkommen gerne in lauten, aber attraktiven Quartieren wie zum Beispiel verkehrsreichen Innenstädten wohnen. So liegt die durchschnittliche Lärmbelastung durch Verkehr im Zürcher Kreis 5 über der mittleren Lärmbelastung der Stadt, während das durchschnittliche Einkommen mit CHF 6900 im Monat im Vergleich zum Rest der Stadt sehr hoch ist.

Doch meist verfügen besser betuchte Stadtbewohner:innen im Vergleich zu Menschen mit geringerem Einkommen über grössere und hochwertigere Wohnungen und können sich dadurch besser vor Lärm schützen. Diekmann zu Folge zeigt sich dieser Zusammenhang sehr deutlich in den Daten: «Wer gut verdient, kann sich eine grössere Wohnung leisten und muss das Schlafzimmer nicht zur Strassenseite legen. Zudem haben teurere Wohnungen oft auch bessere Fenster.»

Umweltsorgen führen zu höherer Lärmsensibilität

Die Studien zeigen ausserdem, dass das subjektive Lärmempfinden nicht nur von der Beschaffenheit und Grösse der eignen Wohnung abhängt. Auch die persönliche Einstellung der Befragten gegenüber Umweltrisiken spielt eine Rolle.

«Menschen, die sich um die Umwelt sorgen, haben eine kritischere Einstellung gegenüber Lärm. Sie weisen ein sensibleres Lärmempfinden auf und fühlen sich schneller und öfter gestört als Menschen, denen Umweltrisiken weniger wichtig sind», erklärt der Forscher.

Lärmschutz als Gesundheitspolitik

In vielen Schweizer Grossstädten lebt knapp die Hälfte der Bevölkerung an Orten, die über den Lärmgrenzwerten der WHO liegen. Für Diekmann ist Lärmbekämpfung daher auch eine Form der Gesundheitspolitik.

«Da sich vor allem Menschen mit geringerem Einkommen weniger gut vor Lärm schützen können, sollte die Stadtpolitik der Verkehrsberuhigung, lärmdämpfenden Baumassnahmen und der Förderung hochwertiger Schallschutzfenster hohe Priorität einräumen», so Diekmann.

Literaturhinweis

Diekmann A, Bruderer Enzler H, Hartmann J, Kurz K, Liebe U, Preisendörfer P. Environmental Inequality in Four European Cities: A Study Combining Household Survey and Geo-Referenced Data, European Sociological Review, 2022, 1-18, DOI: externe Seite 10.1093/esr/jcac028 .

Preisendörfer P, Liebe U, , Bruderer Enzler H, Diekmann A. Annoyance due to residential road traffic and aircraft noise: Empirical evidence from two European cities, Environmental Research, DOI: externe Seite 10.1016/j.envres.2021.112269 .