Ob Handy oder automatische WC-Spülung - elektronische Geräte werden immer komplexer. Und wer kennt nicht Geschichten von Geräten, die just nach Ablauf der Garantie den Geist aufgeben? Die kürzere Lebensdauer ist laut Empa-Forscher Peter Jacob aber keine bösartig geplante Obsoleszenz, sondern hauptsächlich einem enormen Kostendruck geschuldet. Jacob und sein Team gehen Schadensfällen mit detektivischer Akribie nach.
Wer um die 1950er-Jahre ein Radio kaufte, gab einen grossen Batzen Geld dafür aus und konnte sich dafür darauf verlassen, dass es sich im Schadensfall relativ einfach reparieren liess. Wenn ein modernes Radiogerät heute nicht mehr funktioniert, wird es hingegen in den meisten Fällen entsorgt und durch ein neues Gerät ersetzt. Das hat einen einfachen Grund: Während das Radio aus den 1950er-Jahren aus handelsüblichen Bauteilen und einigen wenigen einfach ersetzbaren Standardröhren bestand, enthalten heutige Radios Elektronik mit Tausenden, in Mikrochips verschalteten Transistorfunktionen. Diese Chips sind meist anwendungsspezifisch fabriziert. Geht das Radio einige Jahre nach dem Kauf kaputt, existieren oft schlicht keine Ersatzteile mehr.
Bei Handys muss man gar nicht so weit in die Vergangenheit zurückgehen, um zu sehen, wie viel schwieriger nur schon der Ersatz eines Akkus geworden ist: Konnte man die Batterie früher einfach von Hand austauschen, sind die Gehäuse der heutigen Geräte für den Anwender nicht mehr zu öffnen. Für den Wechsel der Batterie braucht es Fachkenntnis oder aber Reparaturshops. Das hat nicht nur Nachteile, erklärt Peter Jacob, Leiter des Empa-Zentrums für Elektronik und Zuverlässigkeit: «Im Gegensatz zu früheren Batterietypen können die heute verwendeten Li-Ionen-Batterien bei unsachgemässer Handhabung Feuer fangen und schwere Verbrennungen hervorrufen. Zudem müssen die Batterien korrekt entsorgt werden. In einem Reparaturshop ist beides gewährleistet.»
Das erklärt, warum elektronische Geräte häufig nicht mehr repariert werden. Doch warum halten sie oft nur kurze Zeit? «Auch dahinter steckt meist kein böser Wille», meint Jacob. Das Problem liege woanders: bei einer globalen Wettbewerbssituation mit enormem Preisdruck und langen Lieferketten. Vor allem bei hohen Stückzahlen sind die internen Kostenvorgaben oft sehr strikt. Bauteile werden an ihren Grenzen spezifiziert. «Ein Kondensator wird heute oft hart an seiner Grenze belastet, auch wenn der Ingenieur eine Sicherheitsmarge bevorzugen würde.» Das gilt nicht nur für Billigelektronik wie blinkende Kinderspielzeuge, sondern sogar für professionelle Elektronik, etwa im Auto.
Der Kostendruck ist enorm und wird entlang der Lieferkette weitergereicht. Sie sind oftmals lang und komplex; allein an einer Auto-Klimaanlage sind oft mehr als 100 verschiedene Zulieferer beteiligt. Dies macht die Fehlersuche nicht ganz trivial. Dabei geht es auch um viel Geld. Gerade bei Produkten mit hohen Stückzahlen kann es für kleinere Zulieferfirmen um die Existenz gehen, wenn ein Fehler nachweislich bei ihnen zu finden ist. Solche Fälle untersucht das Zentrum für Elektronik und Zuverlässigkeitstechnik an der Empa als neutrale Anlaufstelle mit detektivischer Akribie.
Manchmal trifft das Team unter der Leitung von Peter Jacob auf klare Konstruktionsfehler: Bei einer sanitären Anlage waren die Schaltkreise mit einer 5-Volt-Spannung schlicht zu nahe an diejenigen platziert, die mit 230 Volt betrieben wurden. Die feuchte Umgebung im Badezimmer tat ihr übriges. Gefährliche Kurzschlüsse waren das Resultat.
In anderen Fällen entpuppt sich die Suche nach der Ursache eines Ausfalls indes als komplexes Zusammenspiel vieler Ursachen. Jacob erwähnt ein Beispiel eines Autoherstellers, bei dem neue Fahrzeuge eines bestimmten Typs nach rund 10 000 Kilometern in der Werkstatt landeten, mit immer demselben Defekt, bei dem ein bestimmter Teil der Motorsteuerungseinheit ausfiel. Interessanterweise geschah dies nur in Ländern ohne Geschwindigkeitslimit, und nachdem die Einheit einmal repariert war, kam der Defekt nie wieder vor. Eine genauere Inspektion zeigte, dass die Einheit zwischen Gummischläuchen ohne Erdung installiert worden war. Die Empa-Forscher nutzten eine kontaktlose elektrostatische Spannungssonde, um die Ladung auf dem Metallgehäuse der Einheit zu messen. Und siehe da! Bei einer Geschwindigkeit von unter 150 km/h wurde kein Ausfall beobachtet. Fuhr das Auto schneller, traten plötzlich hohe elektrostatische Spannungen an dem Gehäuse auf - höher, als Jacobs Sonde überhaupt messen konnte. Es zeigte sich, dass die Spannung durch den extrem hohen Luftdurchfluss und dessen Verwirbelungen entstand und wegen der fehlenden Erdung nicht abfliessen konnte. Die hohe Spannung erreichte die Steuereinheit und zerstörte sie in kürzester Zeit. Doch warum trat das Problem nur in den ersten 10 000 Kilometern auf? Auch dafür fanden die Forscher eine Erklärung: Nach dieser Distanz hatte sich genug Dreck und Staub an den Gummischläuchen gesammelt, dass sie elektrisch ableitfähig wurden - und die fehlende Erdung ersetzten. Bei beiden Fällen - den sanitären Anlagen und den Autos - traten die Defekte also immer am gleichen Ort auf, aber keineswegs geplant.
Ist die geplante Obsoleszenz also nur ein Mythos und die immer schnelleren Produktlebenszyklen einzig einem System geschuldet, bei dem Konsumenten nach neuer Technologie dürsten und Hersteller und Lieferanten dem Konkurrenzund Kostendruck entsprechend gezwungen sind, die Bauteile hart an ihren Belastungsgrenzen zu betreiben? Ganz so einfach ist es nicht. Tatsächlich gibt es belegbare Beispiele, bei denen Firmen gezielt auf Obsoleszenzstrategien setzen, um die Kunden zu zwingen, neue Geräte zu kaufen.
Die zweifelhafte Ehre des ersten dokumentierten Falls von geplanter Obsoleszenz kommt Glühbirnen zu: Die von Thomas Edison entwickelten Leuchtmittel waren so langlebig, dass sie viel zu selten ersetzt werden mussten, und damit blieb der Profit der grossen Glühbirnenhersteller aus. Das Kartell der Fabrikanten sprach sich darum in den 1920er-Jahren ab, die Lebensspanne ihrer Produkte von 2500 auf 1000 Stunden zu beschränken. Der Glühfaden wurde - bei gleicher Betriebsspannung - etwas verkürzt, woraus sich eine tiefere Brenndauer ergab. Hersteller mit langlebigeren Produkten wurden gebüsst. Mit Erfolg: Der Absatz von Glühbirnen stieg massiv an, bis schliesslich der Zweite Weltkrieg die Koordination der aus nun feindlichen Ländern stammenden Hersteller verunmöglichte und das Kartell zur Auflösung zwang.
Heute steckt hinter geplanten Obsoleszenzfällen oftmals Software: Beispielsweise sind Tintenpatronen in Druckern mit Chips ausgestattet, die das Drucken verunmöglichen, sobald das Fülllevel der Patrone unter einen bestimmten Grenzwert fällt. Die Patrone muss ersetzt werden, obwohl noch Tinte vorhanden wäre.
Auch Smartphones sind vor geplanter Obsoleszenz nicht gefeit: 2018 wurden die Hersteller Apple und Samsung mit Millionenbussen gestraft, weil deren Betriebssystem-Updates ältere Geräte so langsam werden liessen, dass sich die Nutzer gezwungen fühlten, die Geräte zu ersetzen.
Geplant oder nicht - dass Software die Lebensdauer technischer Produkte verkürzt statt, wie einst gehofft, verlängert, zeigt sich immer öfter: Der Mechanismus von Software-Updates führt dazu, dass immer neue Anforderungen an die Hardware gestellt werden. Dies trägt vermutlich mehr zur Entwertung von Geräten bei als die geplante Obsoleszenz.
Und wird das Internet der Dinge tatsächlich Realität, droht die Obsoleszenz durch Software noch deutlich häufiger zu werden. Denn nun werden potenziell alle Alltagsgegenstände von Software-Updates abhängig. Das hat auch die Empa mit vielen tadellos funktionierenden Mikroskop-Kameras erfahren müssen, als sie wegen eines Windows-Software-Updates reihenweise ersetzt werden mussten. Im Internet der Dinge sind Situationen nicht mehr fern, in denen etwa ein perfekt kühlender Kühlschrank ersetzt werden muss - weil die darin eingesetzten Schaltkreise nicht mehr mit dem neusten Software-Update kompatibel sind.