Herr Hoggenmüller, Sie haben dieses Frühjahr an der Kinderuni der Universität Luzern gelehrt. Schmieden Sie dort an einer künftigen Wissenselite mit hochbegabten Kindern oder was soll man sich unter einer Kinderuni vorstellen?
Sebastian Hoggenmüller : Die Kinderuni Luzern ist ein Angebot, das allen Primarschüler*innen der 4. bis 6. Klasse offensteht. Ganz gleich, ob Abenteurer*in mit aufgeschürften Knien, Bücherwurm, Kreativkopf oder Technikfan - hier ist jedes Kind willkommen, unabhängig von seinen Interessen oder Vorkenntnissen. An insgesamt vier Freitagnachmittagen im Semester besteht die Möglichkeit, je eine 45-minütige Vorlesung aus unterschiedlichen Fachbereichen zu besuchen. Eine bestimmte Qualifikation ist dafür nicht erforderlich; entscheidend sind allein die Lust und die Neugier, Universitätsluft zu schnuppern und spannende Themen zu entdecken.
Das SRF berichtete jüngst über durchgetaktete Freizeitpläne und einen zunehmenden Leistungsdruck im Kindesalter. Wie passt da das Angebot der Uni Luzern rein, Primarschüler*innen an ihren freien Nachmittagen an die Uni zu locken?
Die Kinderuni, so wie ich sie im Rahmen meiner Vorlesung miterleben durfte, vermittelte mir keinerlei Eindruck von Leistungsdruck oder Freizeitstress. Vielmehr war sie ein Ort voller kindlicher Neugier, an dem viel gefragt und gestaunt, gemeinsam gelacht und nachgedacht wurde. Die einzige feste Vorgabe vonseiten der Organisator*innen der Universitätskommunikation bezog sich auf den Beginn und das Ende der Vorlesung, alles andere entfaltete sich durch die lebendige Dynamik der Kinder, ihr sprühendes Interesse am Thema, ihre vertiefenden Nachfragen und ihre zahlreichen weiterführenden Kommentare. Da gab es nichts zu takten - im Gegenteil, es waren die knapp 230 Kinder, die den Takt vorgaben.
Zudem ist die Kinderuni nicht als reguläres Semesterangebot konzipiert, sondern als ein aussergewöhnliches Ereignis, das Kindern einen Einblick in einen für sie nicht alltäglichen Bereich bietet, der potenziell in ihrem weiteren Lebensverlauf vor ihnen liegt - für mich lebte die Kinderuni genau davon. Die Kinder betraten das Unigebäude mit grossen Augen, irrten neugierig zwischen Anmeldetisch, Fruchtspiess-Büffet und den beiden grossen doppeltürigen Hörsaaleingängen umher, bevor sie sich schliesslich unter grossem Getuschel allein oder mit Freund*innen einen Platz im Auditorium suchten. Überall war die Neugier auf das Unbekannte und die Aufregung vor dem Fremden zu spüren - übrigens auch bei mir.
Ihr Vorlesungsthema bei der Kinderuni lautete «Von kleinen Emojis bis zu grossen Ölgemälden: Wie Bilder uns und die Welt verändern». Welche Aspekte fanden Sie besonders wichtig, den Kindern zu vermitteln, und was hoffen Sie, haben die Kinder aus Ihrer Vorlesung mitgenommen?
In meiner Vorlesung ging es darum, den Kindern die faszinierende Welt der Bilder näherzubringen und mit ihnen die sozialen und sozialisierenden Wirkungen von Bildern zu erkunden. Hierzu haben wir gemeinsam Überlegt, was Bilder sind, wie sie funktionieren und welche unterschiedlichen Bildformen es gibt. Ausserdem haben wir darüber gesprochen, wie wir Bilder im Alltag nutzen, etwa auf Social Media oder in den Chatnachrichten an unsere Freund*innen und Familien, welche Effekte Bilder haben können und inwiefern sie sich von anderen menschlichen Mitteilungsformen wie Sprache, Zahlen oder Musik unterscheiden. Insgesamt war es mein Ziel, die Kinder dafür zu sensibilisieren, wie Bilder unser Leben und unsere Gesellschaft beeinflussen.
Damit treffen Sie den Nerv der Zeit, ist doch die vulnerabelste Altersgruppe unserer Gesellschaft einer enormen Bilderflut ausgesetzt. Dies macht es Kindern und Jugendlichen besonders schwer, zwischen echtem und unechtem Inhalt zu unterscheiden.
Völlig richtig. Ein weiterer wichtiger Aspekt meiner Vorlesung bezog sich auf die neuesten Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz und die dadurch entstandenen neuen Möglichkeiten zur Bildgenerierung durch KI-Technologien. Diese Entwicklungen und Technologien werfen interessante Fragen und Probleme auf - auch solche, über die schon lange Zeit nachgedacht wird. So zum Beispiel Fragen nach dem Wahrheitsgehalt und der Authentizität von Bildern sowie Probleme der Abbildlichkeit und der Bedingungen der visuellen Wahrnehmung. Ich hoffe, dass die Kinder hierbei zum einen erlebt haben, wie es möglich ist, kritisch über Bilder nachzudenken, ihre Potenziale zu erkennen und die Herausforderungen im Umgang mit KI-generierten Bildern zu verstehen. Zum anderen war es mir ein Anliegen, dass die Kinder Spass am Entdecken hatten und ihre Neugier auf die Geheimnisse der Bilderwelt geweckt wurde.
Was hat Sie motiviert, sich an der Kinderuni zu beteiligen und Ihr Wissen mit Kindern zu teilen?
Die Anfrage, ob ich an der Kinderuni mitwirken möchte, kam völlig unerwartet. Dass ich keine Sekunde zögerte, diese Möglichkeit wahrnehmen, hat mit meinem früheren Berufswunsch zu tun. Nach meinem Studium hatte ich ursprünglich ein Praktikum bei der «Sendung mit der Maus» sowie Volontariate bei der Kindernachrichtensendung «logo!» und beim Kinderkanal in Erfurt angestrebt. Mein Traum war es, eines Tages im Bereich Kinderkinofilm tätig zu sein. Obwohl ich mich letztendlich für den Weg der Wissenschaft entschieden habe, bot mir die Kinderuni eine wunderbare Gelegenheit, zu meiner damaligen Vision zurückzukehren und den lang gehegten Wünschen nachzuspüren. Das war eine richtig tolle, bereichernde Erfahrung und hat mir grossen Spass gemacht.
Hätte Ihr jüngeres Ich selbst gern die Kinderuni besucht?
Nicht nur mein jüngeres Ich, auch jetzt hätte ich gern alle Vorlesungen der Kinderuni besucht! Die Themen meiner Kolleg*innen aus der Medizin und Religionswissenschaft klangen allesamt faszinierend. Diese referierten beispielsweise zum Thema Gerechtigkeit aus ethischer Perspektive oder gingen der Frage nach, was ein Säugling zum Start ins Leben können muss. Gleichzeitig finde ich es absolut richtig und wichtig, dass Erwachsene an der Kinderuni nicht teilnehmen dürfen. Das Angebot ist exklusiv für Kinder und erhält so seinen ganz eigenen, besonderen Charakter. Dieser entsteht meines Erachtens vor allem dadurch, dass die Kinder ihre Fragen und Kommentare frei äussern können und in einem Raum agieren, der ganz ihnen gehört - ohne mithörende Elternohren und ungestört von nachfragenden Erwachsenenmündern.
Hand aufs Herz: Welches Publikum ziehen Sie bei Ihren Vorlesungen vor, Kinder oder Studierende?
Als Vorlesungsteilnehmende haben Kinder ein herausragendes Merkmal - ihre unüberbietbare Neugier. Ich kann dies anhand einer konkreten Erfahrung aus der Kinderuni verdeutlichen: Jedes Mal, wenn ich auf die Meldegesten eines Kindes reagierte und in die entsprechende Richtung zeigte, fühlte sich eine ganze Traube von Kindern angesprochen, die sich ebenfalls enthusiastisch meldeten, unmittelbar neben dem eigentlich von mir adressierten Kind. Es war schlichtweg unmöglich, mit meiner Zeigegeste ein Kind eindeutig zu erreichen. Wer schliesslich seine Frage stellen durfte, wurde von den Kindern in der jeweiligen Traube kurzerhand selbst ausgehandelt.
Auch wenn sich die Diskussionsteilnahme von Studierenden im Erwachsenenalter hiervon unterscheidet, schätze ich es auf ganz besondere Weise, Studierende im Rahmen von Lehrveranstaltungen bei ihren eigenständigen Forschungsprojekten in allen Phasen des Forschungsprozesses zu begleiten. Sie dabei zu unterstützen, eine forschende Haltung zu entwickeln, und ihnen zu helfen, sich aktiv auf künftige Forschungsvorhaben - sei es im Studium oder im Berufsalltag - vorzubereiten, ist eine Aufgabe, der ich leidenschaftlich gern nachkomme und die ich absolut nicht missen möchte.
Welche Erinnerung an Ihre Vorlesung bei der Kinderuni möchten Sie unbedingt teilen?
Eine besonders lebhafte Erinnerung bleibt mir definitiv von meiner Vorlesung: Nach dem Vortrag kam ein Kind von den Rängen nach vorne in den Hörsaal, trat selbstbewusst vor mich und bedankte sich mit einem festen Händedruck. Als die anderen Kinder das sahen, interpretierten sie die Situation augenscheinlich so, dass es üblich sei, sich am Ende einer Vorlesung persönlich mit einem Handschlag von der Lehrperson zu verabschieden. So fand ich mich auf dem Weg zum Ausgang kurzerhand in einem endlos erscheinenden Reigen von Händeschütteln wieder. Es war ein herzerwärmender Verabschiedungsmarathon - und aus soziologischer Perspektive liess sich in diesem Moment eindrucksvoll beobachten, wie Menschen situativ gemeinsame soziale Praktiken entwickeln.
Weitere Infos zur Kinderuni.
Zur Person
Sebastian W. Hoggenmüller ist seit 2019 Oberassistent im Bereich Medien und visuelle Kommunikation an der Universität Luzern und leitet den Schwerpunkt Vergleichende Medienforschung im Masterstudiengang Gesellschaftsund Kommunikationswissenschaften. Seit 2023 ist er zudem Dozent für Data Cultures + Literacy an der Hochschule Luzern - Design Film Kunst. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Medienund Kommunikationssoziologie, visuelle Soziologie und Arts-Based Research. 2018 wurde er mit einer preisgekrönten Arbeit zur visuellen Konstruktion von Globalität promoviert, in der er eine Methode der interpretativen Bildanalyse entwickelte. Für seine innovativen Vermittlungsprojekte, die Kunst und Wissenschaft verbinden, erhielt er 2022 den Open-Science-Preis der Universität Luzern.Das Interview mit Sebstian Hoggenmüller führte Hamshika Uthayakumar, Bachelorstudentin in Philosophy, Politics and Economics (PPE).