Gemeinsam für die Gesundheit

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Wie finden Forschungserkenntnisse erfolgreich den Weg in die Klinik? Monika Jänicke, CEO des Universitätsspitals Zürich, und die Chefärztin Rahel Kubik vom Kantonsspital Baden im Gespräch mit Christian Wolfrum, ETH-Vizepräsident für Forschung.

Ein grosses Thema der letzten Jahre betrifft die sogenannte Translation: Wie gelingt die rasche Umsetzung von Ergebnissen der Grundlagenforschung in die Klinik am besten?
Rahel Kubik:
Ganz wichtig ist, dass jeder neue Ansatz aus der Forschung ein bestehendes Problem in der Klinik löst. Gerade hinsichtlich der Kostenexplosion im Gesundheitswesen müssen wir darauf achten, dass eine Translation einen Mehrwert erzeugt. Ist Überhaupt ein Bedürfnis vorhanden? Ein weiterer wichtiger Punkt, damit ein Translationsprojekt eine Chance hat: Die verschiedenen Berufsgruppen - Medizinerinnen, Grundlagenforscher, Pflegende - müssen die gleiche Sprache sprechen, sich kennen, sich vertrauen. Denn gerade in der Translation ist der gemeinsame Weg ein langer Weg.
Monika Jänicke: Da hast du zwei ganz wichtige Aspekte angesprochen: Vertrauen und interprofessionelle Teams. Die spannende Frage ist für mich, wie berufsübergreifende Teams diesen langen Weg von der Grundlagenforschung in die Spitäler verkürzen können.
Christian Wolfrum: Es braucht zu den interdisziplinären Teams zusätzlich Personen, die an der Schnittstelle arbeiten. Mit gemeinsamen Anstellungen können wir mehr erreichen. Zum Beispiel braucht es auf der Ebene der Professuren Doppelanstellungen an der Klinik und an der ETH Zürich. Wer selbst beide Seiten kennt, findet die kürzeren Wege.
Jänicke: Genau, wer mit verschiedenen Institutionen verknüpft ist, fühlt sich ihnen auch verbunden und kennt ihre Ressourcen. Denn jede Institution hat ihre Stärken, das Kantonsspital Baden, die ETH Zürich und das Universitätsspital, und die müssen wir bündeln. Dann erreichen wir mehr in kürzerer Zeit.
Wolfrum: Wenn die Strukturen stimmen, dann wird die Translation von selbst beschleunigt. Die Beschleunigung wird nur aufgehalten, wenn es unglaublich viel Energie braucht, um neue Wege zu bahnen.

«Innovation lässt sich im heutigen Gesundheitssystem nicht vergüten. Das ist ein Problem.»



Welche Energiefresser identifizieren Sie?
Kubik:
Vor allem die Hürden seitens der Medizin erweisen sich als Herausforderung in der Zusammenarbeit mit den Grundlagenforschenden. Im Gesundheitswesen haben wir zum Beispiel viel höhere Anforderungen im Datenschutz. Patientendaten sind äusserst sensible Daten, die eines besonderen Schutzes bedürfen.
Wolfrum: In diesem Bereich brauchen wir dringend eine Lösung, die uns erlaubt, progressiver vorzugehen. Damit meine ich in keiner Weise, dass wir den Datenschutz aufweichen. Aber wir brauchen eine klare Linie, eine einheitliche Lösung, eine Standardisierung. Überregulierung bremst die Innovation.
Jänicke: Ein konkretes Beispiel dafür sind die unterschiedlichen kantonalen Datenschutzrichtlinien. Was ist erlaubt, was nicht? Diese Frage wird von Kanton zu Kanton anders beantwortet. Das hinterlässt ein ungutes Gefühl. Denn natürlich hat jeder den Anspruch, mit Patientendaten sorgfältig umzugehen. Darüber hinaus ist es nicht effizient.
Kubik: Diese Unsicherheit spüre ich auch in der Zusammenarbeit. Wir bräuchten einen Übergeordneten Vertrag; sonst müssen wir die Bedingungen der Zusammenarbeit für jedes Projekt einzeln aushandeln. Wir müssen die administrativen Hürden abbauen, damit wir uns besser auf Forschung und Innovation konzentrieren können. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und von einem Standortnachteil sprechen. Meine Kolleginnen in den USA oder in Asien können riesige Studien machen in den Bereichen künstliche Intelligenz, Datenbanken oder personalisierte Medizin, die hier leider unmöglich sind. Und wir brauchen solche datenreichen Studien, wenn wir das Wissen der Grundlagenforschung für die Patientinnen und Patienten nutzen wollen.
Wolfrum: Das ist ein wichtiger Punkt. Was grosse, datenintensive Medizinstudien anbelangt, sind Nordamerika und Asien der Schweiz tatsächlich weit voraus. Die schweizweite Initiative «Swiss Personalized Health Network» hat in den letzten Jahren zwar schon enorm viel geleistet, um die datenbasierte Forschung in der Medizin zu stärken und den Datenaustauch zwischen Hochschulen und Spitälern zu verbessern. Aber wir sind noch lange nicht am Ziel.
Jänicke: Wir müssen nicht nur Hürden abbauen. Ich sehe noch einen anderen Ansatz: Es braucht auch Anreize. So viele Kolleginnen und Kollegen an der Schnittstelle von Forschung und Anwendung sind intrinsisch motiviert, Positives für die Patientinnen und Patienten und für die Gesellschaft zu bewirken. Wir müssen bereit sein, die Kosten für derartige Innovationen zu tragen. Bis endlich eine Pauschale für eine neue Methode ausgehandelt ist, dauert es mehrere Jahre. Hier müssen wir mutiger sein.
Kubik: Innovation lässt sich im heutigen Gesundheitssystem nicht vergüten. Das ist tatsächlich ein Problem.

Christian Wolfrum, warum ist für die ETH die Zusammenarbeit mit den Spitälern so wichtig?
Wolfrum:
Die ETH hat Gesundheit und Medizin als einen Schwerpunkt definiert. Das bedingt die Zusammenarbeit mit der Klinik. Ohne sie geht es nicht. Es entspricht dem Selbstverständnis der ETH, dass wir Grundlagenforschung und ihre Anwendung miteinander verknüpfen. Wir arbeiten in allen Bereichen des Technologietransfers mit externen Partnern zusammen, mit der Industrie, mit Berufsverbänden oder eben mit Spitälern.
Jänicke: Andersherum genauso. Es braucht alle wichtigen Akteure an einem Tisch.
Kubik: Und zwar die Institutionen der ganzen Versorgungskette. Zum Beispiel auch die Reha-Zentren, die für die Nachsorge da sind.

«Die ETH hat 100 Professuren, die im Medizinsektor forschen. Die neue Plattform bringt das ETH-Know-how in die Klinik.»



Worin unterscheidet sich ein universitäres Spital von einem Kantonsspital, wenn es um Forschung geht?
Jänicke:
Wir ergänzen uns. Eine Studie zu Lungentransplantationen würde die ETH mit uns machen, weil wir in diesem Bereich spezialisiert sind. Für weiter verbreitete Erkrankungen ist ein Kantonsspital der geeignetere Partner. Es bildet das breite Spektrum der Erkrankungen der Bevölkerung viel besser ab.
Kubik: Im Vergleich zum Universitätsspital Zürich sind wir ein kleines Spital. Das zwingt uns, interprofessioneller und interdisziplinärer zu arbeiten. Diese Notwendigkeit erachte ich als Vorteil. Unsere Patientinnen und Patienten sind ausserdem immer sehr motiviert und stolz, bei Studien mitzumachen, weil bei uns nicht so viel Forschung passiert.
Wolfrum: Und dann gibt es natürlich auch ganz viele Überlappende Aspekte. Die Schweiz ist ein kleines Land. Wenn wir grosse Fallzahlen brauchen, müssen wir alle Spitäler miteinschliessen, egal ob Kantonsspital oder Universitätsspital. Das ist dann eine echte Bündelung der Ressourcen, die grosse Wirkung zeigen kann.

Wie wichtig ist die räumliche Nähe für Ihre Zusammenarbeit?
Kubik:
Der persönliche Kontakt ist wichtig, damit die Grundlagenforschenden sehen, wie der klinische Alltag bei uns läuft. Und umgekehrt sehen wir, was da an Brainpower und Zeit investiert werden muss, bis eine neue Methode oder ein innovatives Gerät funktioniert.
Jänicke: Der gegenseitige Austausch von Fachwissen ist einfacher, wenn alle Beteiligten in der Nachbarschaft und damit im ständigen Austausch sind. Aber es kommt auch auf die Freude und Energie an. Wenn alle gemeinsam motiviert sind, ein Ziel zu erreichen, dann ist der Output grösser und auch nachhaltiger.
Wolfrum: Nicht nur Fachwissen, sondern auch die soziale Kompetenz der einzelnen Partner trägt zu erfolgreicher Forschung bei.
Jänicke: Mit räumlicher Nähe meine ich übrigens nicht nur die Zusammenarbeit direkt Tür an Tür, sondern auch als Teil eines Netzwerks, also zum Beispiel Zürich-Baden oder Zürich-Schlieren. Und wenn wir Innovation vorantreiben möchten, dann müssen wir auch neue gemeinsame Arbeitsplätze planen. Am Campus des Universitätsspitals zum Beispiel, wo viele Gebäude unter Denkmalschutz stehen, kann man nicht solche innovativen Laborräumlichkeiten bauen wie jetzt in Schlieren.

Auf digitaler Ebene hat die ETH eine Plattform für klinische Forschung lanciert.
Wolfrum:
Ja, diese digitale Clinical Trial Unit, die wir gegründet haben, ist zwar hauptsächlich virtuell. Sie hat aber auch einen grossen Standort in Baden und einen im neuen ETH-Gebäude GLC direkt neben dem Universitätsspital. Unsere Plattform ist die Verbindung zu den Spitälern, damit unsere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die Möglichkeit haben, klinische Forschung in Partnerschaft mit ihnen zu machen. Die ETH hat 100 Professuren, die im Medizinsektor forschen; und die neue Plattform bringt das ETH-Know-how in die Klinik.
Kubik: Das Know-how der ETH ist in vielen Bereichen stark, die in der Medizin jetzt wichtig werden: Künstliche Intelligenz, Robotik, Medizintechnik oder am Körper tragbare Computertechnologie, sogenannte Wearables zum Beispiel. Die Grundlagenforschung soll am Schluss den Patientinnen und Patienten zugutekommen. Und wir als Gesundheitsversorger sind angehalten, diese Translation zu ermöglichen.
Jänicke: Wir bilden ja auch die Medizinerinnen und Mediziner der Zukunft aus. Neue Technologien werden ihren Alltag bestimmen.

Stichwort Ausbildung: In diesem Jahr haben die ersten Medizinstudierenden ihren Master abgeschlossen, die ihren Bachelor an der ETH gemacht hatten. Was bedeutet die Ausbildung für die Klinik?
Kubik:
Die Medizin ist extrem im Wandel, und ich rechne mit Disruptionen. Ob es die Radiologin in der heutigen Form noch gibt in 20 Jahren? Ich weiss es nicht. Aber es wird mit Sicherheit neue Berufsbilder geben. Wir müssen uns bereit machen für eine neue Generation an Ärztinnen und Ärzten. Wer an der ETH studiert hat, hat ein leicht anderes Profil, was aus meiner Sicht eine gute Ergänzung zu den traditionellen Studiengängen der Universitäten bietet. Vor allem aber haben diese Studierenden das Netzwerk der ETH. Das erachte ich als einen grossen Vorteil bei der Umsetzung von translationalen Forschungsprojekten und technologischen Innovationen zum Wohl unserer Patientinnen und Patienten.
Jänicke: Der naturwissenschaftliche Hintergrund ist eine grosse Bereicherung für alle. Die technische und die digitale Seite werden in der Medizin der Zukunft immer wichtiger.

Wird der Technologiefortschritt die Medizin grundlegend verändern?
Kubik:
Die neue Ärztegeneration braucht andere Fähigkeiten. Die Bewertung und die Interpretation von Technologien werden zunehmend wichtiger.
Jänicke: Wir dürfen bei der Technisierung der Medizin den Menschen nicht vergessen. Wir brauchen die emotionale Komponente mehr denn je. Je technologischer die Medizin wird, umso wichtiger sind im Umgang mit den Patientinnen und Patienten die emotionale Intelligenz und die Empathie.
Wolfrum: In der Medizin steht der Mensch im Fokus.