Am 5. Juli 2004 wurde am Zentrum für Protonentherapie am PSI erstmals ein Kleinkind unter Narkose bestrahlt: Es war knapp über zwei Jahre alt und litt an einem Weichteiltumor in seiner Augenhöhle. Diese Premiere war nur möglich aufgrund einer Kooperation mit der Abteilung für Anästhesie am Universitäts-Kinderspital Zürich. Deren Fachpersonal betreute vor Ort am PSI in Villigen den kleinen Patienten und stellte sicher, dass er die Bestrahlung buchstäblich im Schlaf Überstand.
« Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Kinderspital und PSI ist für mich ein vorbildliches Beispiel » , sagt Georg Schäppi, CEO des Kinderspitals Zürich. « Hier arbeiten die richtigen Leute aus unterschiedlichen Professionen in einem technisch perfekten Umfeld zusammen und vollbringen so kleine und grosse Wunder. »
Zwar behandelte das Zentrum für Protonentherapie am PSI bereits zwischen 1999 und 2004 krebskranke Kinder und Jugendliche ab einem Alter von sieben Jahren. Der Durchbruch in der Bestrahlung junger Menschen gelang jedoch erst mit der Unterstützung des Kinderspitals Zürich: Ab da konnten auch Kleinkinder behandelt werden. Denn anders als bei Erwachsenen braucht es bei ihnen normalerweise eine Anästhesie.
«Gerade für eine präzise Bestrahlung wie der Protonentherapie darf sich die Person während der Behandlung nicht bewegen», erklärt Damien Weber, Chefarzt und Leiter des Zentrums für Protonentherapie am PSI. «Für kleine Kinder ist es aber extrem schwierig, während der gesamten Bestrahlungszeit still zu halten.»
Die Ersten in Europa
Damals gab es in den ganzen USA zum Beispiel nur zwei Protonentherapiezentren, die auch Kleinkinder unter Anästhesie bestrahlten: Loma Linda in Kalifornien und Boston. «Dank der Kooperation mit dem Kinderspital konnte das PSI eine solche Behandlung ab 2004 standardmässig auch in Europa anbieten», sagt Damien Weber stolz.Eine leichte Narkose sorgt dafür, dass die Kinder schlafen und somit ruhig liegen, während der tumorzerstörende Protonenstrahl seine Arbeit verrichtet. Die Sedierung ist so abgestimmt, dass die kleinen Patientinnen und Patienten nicht husten oder sich bewegen, aber leicht genug, dass sie selbstständig weiter atmen können. Das Anästhesieteam Überwacht die Kinder und ihre Körperfunktionen während der Bestrahlung vom Nebenzimmer aus.
Insgesamt bekommen die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen, die am PSI bestrahlt werden, eine Narkose. Der jüngste Patient am PSI war drei Monate alt: Das Kind war schon mit Krebs auf die Welt gekommen.
Protonentherapie bei Kindern
Genau wie Photonen bei der gewöhnlichen Strahlentherapie töten Protonen Krebszellen ab. Protonen sind allerdings Teilchen mit Masse und Ladung, und ihre Eindringtiefe ins Gewebe ist physikalisch ganz genau vorbestimmt. Sie verlieren auf dem Weg durch den Körper nur wenig Energie und geben den grössten Teil in ihrem Ziel, dem Tumor, ab. Sie bleiben dort förmlich stecken.Ganz besonders krebskranke Kinder profitieren von einer präzisen Protonentherapie, erklärt Damien Weber. Denn Kinder haben ein höheres Risiko, dass eine Krebsbestrahlung bei ihnen Langzeitschäden verursacht, mit denen sie ihr ganzes weiteres Leben zu kämpfen haben: von Tumoren, die erst durch die Bestrahlung entstehen, über Hörverluste und Beeinträchtigungen im Wachstum bis hin zu Lernschwächen.
Jedes Jahr werden 60 bis 70 Kinder und Jugendliche am PSI behandelt; insgesamt waren es bis heute über 800. Die Mehrheit aller jungen Patientinnen und Patienten leiden an Tumoren des Gehirns und des Rückenmarks; am zweithäufigsten sind Sarkome, das sind Krebserkrankungen, die von Binde-, Stützoder Muskelgewebe ausgehen.
Das PSI arbeitet auch sehr eng mit der Onkologieabteilung des Kinderspitals Zürich zusammen. «Unsere kollegiale Zusammenarbeit ermöglicht die beste Behandlung der Patientinnen und Patienten», sagt Michael Grotzer, ärztlicher Direktor am Kinderspital Zürich. «In gemeinsamen Tumorboard-Besprechungen etwa entscheiden wir zusammen, welche Art Bestrahlung für welches Kind in welchem Zeitrahmen optimal ist, und erstellen so den Therapieplan.»
Dank der Kooperation mit dem Kinderspital kann das Zentrum für Protonentherapie am PSI nicht nur Kinder aus Zürich bestrahlen, sondern auch solche aus anderen Krebszentren in der Schweiz und sogar aus dem Ausland. «Das PSI ermöglicht die beste derzeit denkbare Behandlung mit Protonen», sagt Michael Grotzer. «Gemeinsam können wir so in der Schweiz Kindern eine Krebsbehandlung von Weltklasse anbieten - etwas, auf das wir wirklich stolz sein können.»
Vertraute Atmosphäre
Die Zusammenarbeit zwischen Kinderspital Zürich und PSI ist inzwischen perfekt eingespielt: Jeden Wochentag kommen ein Oberarzt oder eine Oberärztin für Anästhesie sowie eine Anästhesie-Pflegefachperson des Kinderspitals ans PSI. Sie leiten die Narkose ein, Überwachen den Zustand der kleinen Patientinnen und Patienten und kümmern sich generell um die bestmögliche Versorgung. «Wir sind nicht beim gleichen Arbeitgeber angestellt, aber das ändert nichts daran, dass wir ein wirklich gutes Team sind», sagt Alessia Pica, leitende Radio-Onkologin und Verantwortliche für Pädiatrie am Zentrum für Protonentherapie.« Es sind sehr spezielle Anforderungen, die unsere Fachpersonen da antreffen » , fügt Georg Schäppi, vom Kinderspital Zürich hinzu. « Die betroffenen Kinder und Familien müssen viel durchstehen. Das Team aus PSI und Kinderspital betreut die Kinder auf bemerkenswerte Weise und geht einfühlsam auf ihre besonderen Bedürfnisse ein. Das beeindruckt mich zutiefst. »
Der Arbeitstag am Zentrum für Protonentherapie beginnt morgens um 7:30 Uhr, das erste Kind wird um 8 Uhr bestrahlt - pro Tag sind es maximal sieben kleine Patientinnen und Patienten. «Wir nehmen uns viel Zeit für die Kinder», sagt Ilka Schmidt-Deubig, leitende Ärztin Anästhesie am Kinderspital Zürich. «Sie sollen sich wohlfühlen.» Daher bestellt das Team die Eltern mit dem Kind auch mindestens eine halbe Stunde vor der Bestrahlung ein, damit sie vorher im extra dafür eingerichteten Spielzimmer erst mal in Ruhe ankommen können. Später dürfen die Eltern, Geschwister, Grosseltern, Tanten und Onkel das Kind bis in den Anästhesieraum begleiten, seine Hand halten, bis es schläft.
«Selbst traumatisierte Kinder haben nach ein bis zwei Wochen Vertrauen zu uns gefasst», sagt Ilka Schmidt-Deubig. Manchmal endet ihr Arbeitstag am PSI erst spät abends, denn egal wie gut das Team alles organisiert hat, bei der Behandlung von Kindern muss öfter mal umgeplant werden. «Krebskranke Kinder zu behandeln ist hart und die Arbeit fühlt sich an wie ein ständiger Kampf», fügt Alessia Pica hinzu. «Aber wenn es den Kindern am Ende gut geht, sie und ihre Familie glücklich sind und es hoffentlich ein Happy End gibt, ist es ein wunderschöner Job.»