Göttlich, menschlich: Schweizer Funde römischer Skulpturen jetzt an der UZH

Minerva ist göttlich, und ihre in Augst gefundene Büste gehört zu den grössten getriebenen Metallbüsten der römischen Kaiserzeit. Er ist menschlich, hat einen übergrossen Phallus und macht eine obszöne Geste: der Possenreisser aus Avenches. «göttlich menschlich» heisst die Ausstellung, lebhaft vermittelt sie die ganze Breite des damaligen Menschenbildes. Über 100 der herausragendsten Stücke gibt es jetzt in der Archäologischen Sammlung der Universität Zürich zu sehen, eine Gesamtschau römischer Bronzekunst, gefunden in der Schweiz.

Im internationalen Vergleich zeichnen sich die in der Schweiz gefundenen römischen Bronzen durch eine besonders grosse Vielfalt und hohe Qualität aus. Gefunden wurden sie im gesamten schweizerischen Mittelland, von Nyon bis Landquart und von Thun bis Augst, und ihre Entstehung umfasst den Zeitraum vom ersten vorchristlichen bis zum dritten nachchristlichen Jahrhundert. Während die meisten der ältesten Statuetten aus dem frühen ersten Jahrhundert direkt mit den römischen Besatzern aus Italien in die Schweiz gelangt sind, wurden die Figuren später immer öfter auch lokal produziert - dies als Folge der Romanisierung der ansässigen keltischen Helvetier und anderen Stämme im ersten und zweiten Jahrhundert.

Von südlich und nördlich der Alpen

In ihrer Ausstellung «göttlich menschlich» zeigt die Archäologische Sammlung der Universität Zürich hervorragende Stücke aus dem gesamten Zeitraum.

Zu den frühen Importstücken zählen solche aus den bedeutendsten Produktionszentren Campaniens: Zu sehen sind beispielsweise Götterstatuetten aus Hausheiligtümern - Lararien genannt - von Baden, Avenches und Augst, Fragmente einer lebensgrossen Jünglingsstatue aus Avenches oder die Statuette des Merkur aus Thalwil.

Auch die gezeigten späteren, lokal produzierten Stücke bestechen durch eine qualitativ hochwertige Ausführung. Zu diesen zählt die aus Blech getriebene, monumentale Büste der Göttin Minerva: Aus vier getriebenen Einzelteilen zusammengelötet, verzinnt und teilweise vergoldet ist sie mit Marmoraugen versehen worden. Sie trägt die charakteristische schlangengesäumte und geschuppte Ägis mit dem Haupt der Gorgo Medusa in der Mitte. Die Ägis wiederum ist eingefasst durch ein zu Voluten eingerolltes Band. Hochgeschoben auf ihrem fein ziselierten Haarschopf trägt Minerva einen hohen korinthischen Helm, mit einem Helmbusch, der getragen wird von den gegossenen Figuren einer Sphinx und eines Atlanten. Die Minervabüste aus Augst gehört zu den grössten getriebenen Metallbüsten der römischen Kaiserzeit und wurde im ausgehenden zweiten oder beginnenden dritten Jahrhundert vermutlich in einer rätischen Werkstatt geschaffen.

Ein weiteres Beispiel aus dieser Zeit ist der lebensgrosse Kopf eines jungen Mannes aus Prilly, der wahrscheinlich in einer Werkstatt der Genferseeregion oder des Rhonetals angefertigt wurde. Umstritten ist der Entstehungsort bei der hochklassigen, fast 70 cm hohen Statuette des Bacchus aus Avenches: Einiges spricht für eine Werkstatt südlich der Alpen, vieles für eine Entstehung auf der nördlichen Seite.

Göttlich und menschlich - private und öffentliche Heiligtümer

Der Grossteil der Bronzen zeigt Gottheiten der Römer und romanisierten Helvetier. Sie wurden entweder im Hauskult als private Schutzgötter verehrt oder repräsentativ in öffentliche Heiligtümer gestiftet. Ausgestellt sind aber auch einige «alltägliche» Menschendarstellungen. Zu diesen zählt der Possenreisser aus Avenches, der mit einem übergrossen Phallus ausgestattet ist und mit der Hand eine obszöne Geste macht. Von dieser Darstellung einer vielleicht allzu menschlichen Pose bis hin zu den durchweg menschengestaltigen Gottheiten vermittelt die Ausstellung auf lebendige Weise die ganze Breite des zeitgenössischen Menschenbilds.

Aussensicht und Innensicht

In einem weiteren Teil der Ausstellung wird anhand des Modells einer Giessgrube in Avenches die Technik des Bronzegusses erläutert. Filmsequenzen auf der Basis von modernsten bildgebenden Verfahren gewähren schliesslich auch Einblick ins Innere von einigen der ausgestellten Statuetten.