Integrierte Versorgung: Wieso nicht schneller, besser und günstiger?

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Integrierte Versorgung wird im Schweizer Gesundheitswesen schon lange gefordert und doch stocken viele entsprechende Projekte. Woran liegt es? Was könnte konkret getan werden? Wird dank EFAS alles besser?

Mit integrierter Gesundheitsversorgung ist die bewusste Koordination von Gesundheitsdienstleistungen gemeint, bei der verschiedene Leistungserbringer zusammenarbeiten und eine patientenzentrierte, bedarfsgerechte und nahtlose Versorgung sicherstellen. Doch was heisst das konkret? In einer koordinierten oder eben integrierten Versorgung verstehen sich Allgemeinpraktiker:innen, Spezialist:innen, Therapeut:innen, Spitäler, Apotheken, Altersund Pflegezentren - schlussendlich alle ’Gesundheits-Profis’ - als Teile eines grösseren Ganzen und ziehen zugunsten der Bevölkerung oder Patient:innen an einem Strick.

Es fehlt nicht am guten Willen der Einzelnen, doch eine solch ganzheitliche Nahtlosigkeit ist auch im Jahr 2024 in der Schweiz nur selten gewährleistet. Eine strukturierte, verbindliche Zusammenarbeit und eine nahtlose Kommunikation (inklusive elektronischer Datenaustausch!) dienen dazu, die Qualität der Behandlungen und der Betreuung von Patient:innen über die ganze Versorgungskette hinweg in hoher Qualität zu gewährleisten. Eine integrierte Versorgung soll dazu beitragen, Doppelspurigkeiten und Überversorgung zu vermeiden und dadurch auch Kosten zu sparen. Effizienz ist in der Gesundheitsversorgung nicht nur aus Kostensicht ein wichtiger Faktor, sondern erhöht ebenso die Qualität der Versorgung. Nicht zuletzt müssen wir wegen dem bereits spürbaren Fachkräftemangel effizienter werden, um auch in Zukunft in der Schweiz eine angemessene Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.

Warum haben wir heutzutage in der Schweiz noch keine koordinierte Versorgung? Selbstverständlich tauschen sich Leistungserbringer über ihre Patient:innen aus, doch sie tun das oft eher unsystematisch und in den seltensten Fällen elektronisch. Die unterschiedlichen Finanzierungsmechanismen helfen mit ihren Anreizen nicht: Einzelleistungstarife, d.h. die Vergütung von einzelnen Leistungen, ermuntern eher dazu, Untersuchungen nochmals durchzuführen als auf die Einschätzung einer Kollegin aus einem anderen Betrieb oder einer anderen Disziplin zu vertrauen. Wir alle kennen genügend Beispiele, bei denen Überhaupt keine Kommunikation oder Koordination zwischen den Leistungserbringern stattgefunden hat - oder bei denen eine bessere Kommunikation und Koordination möglich gewesen wäre.

Wird die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (EFAS), die vermutlich bald in der Schweiz eingeführt wird, das Problem lösen? Leider Nein oder zumindest nicht ohne zusätzliche Massnahmen. Der Abbau von Fehlanreizen bei der Entscheidung, ob eine Behandlung stationär oder ambulant durchgeführt wird, fällt zwar zumindest teilweise weg, was positiv ist. Doch für eine umfassend integrierte Versorgung braucht es weit mehr als nur ein einheitliches Finanzierungssystem. Einige Stichworte zu den Bereichen, in denen Haltungsveränderungen und konkrete Massnahmen notwendig sein werden:

  • Interprofessionelle Zusammenarbeit: Umsetzung einer koordinierten Beratungsund Behandlungs-/Pflegepraxis, Kenntnis der Kompetenzen und Lösungsansätze anderer Berufsgruppen, Vertrauen in andere Disziplinen und Berufsgruppen
  • Patient:innenzen­triertheit und Gesundheitskompetenz: Bedürfnisse der Patient:innen konsequenter ins Zentrum stellen, Einbezug sowie Förderung der Kompetenzen und Ressourcen der Patient:innen
  • Verbesserung der Datengrundlagen und Nutzung der Daten: datengestützte Patientenpfade, Aufbrechen von Datensilos, Verknüpfung von Kostenmit Leistungsdaten, systematische Aufbereitung und Nutzung der Daten im Behandlungsprozess und für die Forschung
  • Politik, Management und Versorgung evidenzbasiert professionalisieren: Klare Strategien, Ziele und Prozesse auf politischer, operativer und auf fachlicher Ebene entwickeln und umsetzen; politische (auch standespolitische) Grabenkämpfe zugunsten der Bevölkerung und Patient:innen beenden
  • Weiterentwicklung der Tarifstrukturen und Anpassung von Finanzierungsmechanismen zur Abgeltung von Koordination, erweiterten Dienstleistungen, Datennutzung und Qualität
  • Digitalisierung und digitale Transformation: Wissensmanagement, Planung, Koordination, Kommunikation
  • Einbezug der sozialen Beratung und Begleitung
  • Stärkung der Prävention und Gesundheitsförderung

Dass diese Themen auch im politischen Alltag aktuell sind, zeigt z.B. die Debatte in der Zentralschweiz um die Neuausrichtung des Spitals Wolhusen. Denn hier wird oft eher eine Diskussion um einzelne Fachrichtungen geführt statt eine - aus unserer Sicht sinnvollere - Debatte, mit allen Anspruchsgruppen, wie eine gelungene, koordinierte Versorgung in der Region Wolhusen aussehen würde.

Ein weiteres Beispiel ist der Kampf in vielen kleineren Gemeinden, die Hausarztpraxis im Dorf zu halten. Viele Hausärzt:innen finden keine Nachfolge mehr, Praxen werden geschlossen. Teilweise kann hochqualifiziertes Pflegepersonal (Advanced Practice Nurses) gewisse Leistungen Übernehmen und proaktive, innovative Gemeinden oder Regionen organisieren ein Zentrum für koordinierte Versorgung mit verschiedenen Leistungserbringern. Hier besteht ein grosses Potenzial für eine erfolgreiche Public-Private-Partnership in Gemeinden und Regionen.

Ein Team der Hochschule Luzern plant zurzeit ein umsetzungsorientiertes Forschungsprojekt zur Förderung der integrierten Versorgung in der Zentralschweiz und berät Sie gerne zu diesen Themen.