Anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens verlieh die Stiftung Max Cloëtta ihren einmalig ausgerichteten Jubiläumspreis an die beiden ETH-Professorinnen Tanja Stadler und Barbara Treutlein für ihre herausragenden Leistungen und ihre Forschung im Bereich der Biomedizin. Die Preisträgerinnen sind beide am Departement für Biosysteme der ETH Zürich in Basel tätig. Sie werden sich den Preis von 250’000 Franken teilen und ihn dazu verwenden, weitere Forschung zu finanzieren.
Prognosen für Krankheitserreger
Als Professorin für Computational Biology hat sich Tanja Stadler zu einer führenden Wissenschaftlerin für Biomedizin entwickelt, sowohl in der Schweiz als auch weltweit. Ihre Forschung auf dem Gebiet der genetischen Stammbaumanalysen ist für Studien zur Ausbreitung und Entwicklung von Krankheitserregern von zentraler Bedeutung. Stadler arbeitet an der Schnittstelle von Mathematik, Informatik und Evolutionsbiologie und hat mit ihrer Arbeit wichtige Beiträge geleistet über die Ausbreitung und Entwicklung von Infektionskrankheiten, darunter HIV/Aids, Ebola, Covid-19 und Affenpocken. In ihrer Arbeit entwickelt sie grundlegende Theorien und computergestützte Tools zur Beantwortung von Kernfragen der Evolution, die die Biowissenschaften nicht nur in der Molekularbiologie, Virologie, Epidemiologie, Immunologie und Ökologie voranbringen, sondern auch in der Entwicklungsbiologie und der evolutionären Entwicklung von biologischen Arten. Während der Corona-Pandemie trug Stadler wesentlich zur Pandemiebekämpfung in der Schweiz bei und leitete die Swiss National Covid-19 Science Task Force.Tanja Stadlers Vision für die Zukunft ist eine Welt, in der sowohl Behörden als auch einzelne Bürger:innen Zugang haben zu einer Prognose-App, die ihnen den Verlauf von Epidemien anzeigt und ihnen hilft, Entscheidungen zu fällen. So wie uns eine Wettervorhersage hilft, zu entscheiden, ob wir einen Regenschirm auf unseren Weg zur Arbeit mitnehmen sollen, könnte uns eine Epidemie-Vorhersage dabei unterstützen, zu beurteilen, wie wichtig es zum Beispiel ist, vorübergehend eine Schutzmaske zu tragen. Stadler will ihren Anteil am Preis dazu nutzen, um die Echtzeitanalyse riesiger genetischer Datensätze von Krankheitserregern weiterzubringen. Solche Analysen sind eine Voraussetzung für eine umfassende epidemiologische Prognose.
Zum Cloëtta-Jubiläumspreis sagt Stadler: «Es ist mir eine grosse Ehre, diese bedeutende Anerkennung für meine Arbeit zu erhalten. Die Tatsache, dass ich diesen Preis gemeinsam mit Barbara Treutlein erhalte, zeugt vom hervorragenden wissenschaftlichen Umfeld am Standort Basel der ETH Zürich - der wissenschaftlichen Heimat von uns beiden.»
Jede Zelle erzählt eine Geschichte
Als Professorin für Quantitative Entwicklungsbiologie ist Barbara Treutlein eine international führende Wissenschaftlerin und Vorreiterin auf dem Gebiet der Einzelzell-Genomik. Sie ist fasziniert von den komplexen Prozessen, mit denen sich aus einer einzelnen Zelle ein ganzer Organismus bildet, der aus Hunderten Millionen von Zellen besteht. Tausende Gene des Erbguts steuern diese Entwicklungsprozesse. Treutleins Gruppe hat ausgefeilte experimentelle und computergestützte Tools entwickelt, um diese Gen-Aktivität in Tausenden von Zellen gleichzeitig zu messen und zu analysieren. Sie nutzt diese Technologien zum Beispiel, um die komplexen Prozesse zu erforschen, die der Entwicklung des menschlichen Gehirns zugrunde liegen. Dazu modelliert sie die Entwicklung des Gehirns im Labor mit Mikrogewebe, sogenannten Organoiden, die aus menschlichen Stammzellen gebildet werden. Laboranalysen solcher Hirn-Organoide auf Einzelzellebene beleuchten die grundlegenden Prozesse der Gehirnentwicklung und liefern neue Erkenntnisse zu Hirnerkrankungen wie Autismus.Darüber hinaus hat Treutleins Gruppe auch wichtige Erkenntnisse auf dem Gebiet der Organ-Regeneration gewonnen. Bei Lurchen wie dem Axolotl können nach ernsthaften Verletzungen ganze Gliedmassen oder sogar Teile des Gehirns wieder nachwachsen. Treutleins Gruppe lieferte zum ersten Mal eine detaillierte molekulare Beschreibung der Zellen, aus denen sich nach einer Amputation beim Axolotl wieder ganze Gliedmassen entwickeln, und wie nach einer massiven Hirnverletzung neue Neuronen bilden.
«Ich möchte allen aktuellen und ehemaligen Mitgliedern meines Teams für ihre hervorragende Arbeit und ihren Einsatz für die Projekte danken. Der Cloëtta-Jubiläumspreis ist eine tolle Auszeichnung für unsere Forschung, und ich fühle mich sehr geehrt, ihn zu erhalten», sagt ETH-Professorin Treutlein. Sie plant, mit ihrem Anteil am Cloëtta-Preis zu erforschen, wie spezifische Neuronentypen während der Entwicklung des menschlichen Gehirns entstehen, und wie man daraus abgeleitet menschliche Neuronen im Labor herstellen kann.