Künstliche Intelligenz - KI - ist nicht bloss in allen Medien, sondern hält auch Einzug in unsere Arbeitswelten, von der Industrie bis hin zur Forschung. Doch wie können wir das Synergiepotenzial von Mensch und Maschine am besten nutzen und was gilt es zu bedenken? Einige Gedanken dazu von Pierangelo Gröning, bis vor kurzem Direktionsmitglied der Empa.
Computer und Internet sind zentrale technologische Pfeiler unserer zunehmend digitalisierten Gesellschaft, indem sie den Zugriff, die Verarbeitung und den Austausch von Daten in Geschwindigkeiten ermöglichen, die weitab menschlicher Möglichkeiten liegen. Bei physischen Arbeiten in der realen Welt haben Roboter industrielle Fertigungsprozesse revolutioniert, indem sie diese Arbeiten schneller, zuverlässiger, ausdauernder und mit grösserer Präzision durchführen als es dem Menschen möglich ist.
Mit der zunehmenden Verbreitung von Künstlicher Intelligenz (KI) dürften sich diese Technologien in nicht allzu ferner Zukunft vom blossen Hilfsmittel und «Erfüllungsgehilfen» zum (mehr oder weniger) gleichberechtigten Partner menschlichen Schaffens weiterentwickeln. Sie werden nicht nur wie bisher zugewiesene Aufgaben akkurat und höchst effizient ausführen, sie werden diese auch ausarbeiten, vorschlagen und gegebenenfalls selbstständig durchführen. Computer, Roboter und KI werden dadurch zu ArbeitskollegenInnen, der Begriff «Human-Machine Interaction» erhält so eine vollkommen neue Qualität.
Zusammenarbeit ist in der Regel dann besonders erfolgreich, wenn sowohl Stärken als auch Schwächen der beteiligten Partner bekannt sind, die Partner sich auf ihre Stärken fokussieren und diese zielführend einbringen. In der Zusammenarbeit mit «Kollege Roboter» oder «Kollegin KI» wird dies nicht anders sein; ja, es wird sogar essentiell sein. Ganz zentral dabei ist die richtige Platzierung der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, damit das Synergiepotential des «Teams» optimal - und vor allem zum Nutzen des Menschen! - zum Tragen kommt.
Erste allgemein bekannte Anwendungen sind Roboter in Pflege und Rehabilitation, Chatbots zur Kundenberatung oder der medial allgegenwärtige ChatGPT. Dieser ermöglicht nun allen den Zugang zu KI und liefert dank selbstlernenden Algorithmen auf Basis der im Internet verfügbaren Daten plausible Antworten auf (fast) jede X-beliebige Frage; er generiert gar mittels einiger Stichwörter ganze (je nach konkreter Problemstellung mehr oder weniger sinnstiftende) Texte, sei es als Zusammenfassung, in Prosa oder als Lyrik, um nur einige zu nennen.
In Wissenschaft und Forschung sind KI wie auch das zugrundeliegende «Machine Learning» längst alltägliche Hilfsmittel. Sei es, um mittels KI, ähnlich digitalen Routenplanern, die Reaktionsschritte komplexer (bio-)chemischer Synthesepfade von den Edukten zum Produkt zusammenzustellen, oder um Prozessparameter in komplexen Fertigungsprozessen wie dem 3D-Metalldruck zu optimieren, um nur zwei Anwendungsbereiche aus der Empa-Forschung zu nennen.
Für die Gesellschaft als Ganzes wird der Umgang mit KI und KI-basierten Systemen indes eine enorme Herausforderung, darin sind sich alle einig. Ein erster kleiner Vorgeschmack sind die sozialen Netzwerke und die dahinterliegenden Algorithmen, die ihrer eigenen Geschäftsoder «Like»-Logik folgen - mit all den bekannten Auswüchsen wie Fake News etc. Die Gefahr des Verlusts von Arbeitsplätzen ist eine weitere Thematik, der wir uns als Gesellschaft stellen müssen.
Im Bewusstsein dessen diskutieren Regierungen, NGOs und weitere Stakeholder derzeit über Massnahmen und Regulatorien wie KI, salopp ausgedrückt, gesellschaftsverträglich gestaltet werden kann. Auf der anderen Seite beteuern und versprechen die grossen US Tech-Konzerne, die KI anbieten, verbreiten und zu ihrem eigenen Geschäftserfolg einsetzen, einen verantwortungsvollen Umgang mit KI. Ob das reicht?
Um ein harmonisches Miteinander zwischen Mensch und KI zu etablieren, wird es wichtig sein, über die Werte und die Rolle des Menschen in einer Welt mit KI nachzudenken. Die Auseinandersetzung mit ganz grundsätzlichen Fragen wie: «Kann ein KI-generiertes Gemälde Kunst sein - oder ist es einfach nur eine Komposition von Farben auf einer Leinwand?» oder «Ist ein von KI verfasster Roman Literatur?» - sprich: Was ist eigentlich Kreativität? - werden vielleicht helfen, KI sinnvoll und zum Wohle des Menschen einzusetzen.
Was die industrielle Fertigung betrifft, so hat die EU-Kommission bereits 2020 die Vision « Industry 5.0 - Towards a Sustainable, Human-centric and Resilient Industry » entwickelt und wie folgt beschrieben : «Industrie 5.0 zielt darauf ab, die menschlichen Aufgaben in der Fertigung grundlegend umzustrukturieren, so dass die ArbeitnehmerInnen davon profitieren. Sie werden dazu befähigt, anstatt manuelle kognitive Arbeiten sowie Aufgaben mit Mehrwert in der Produktion zu Übernehmen und unbesorgt an der Seite ihrer autonomen «KollegInnen» zu arbeiten.»
KI und KI-gestützte Systeme werden aber auch die Forschungund Entwicklungslandschaft massiv verändern. Und zwar in mehrerlei Hinsicht: Zum einen werden durch KI die Entwicklungszyklen noch einmal erheblich verkürzt und - dadurch bedingt - angewandte Forschung und Entwicklung noch näher zusammenrücken bis hin zur Verschmelzung in gewissen Bereichen. Im Extremfall könnte angewandte Forschung gar obsolet werden, denn eine problemlösungsoptimierte KI liefert auf jede klar umrissene Fragestellung eine passende Antwort - sprich: ein Produkt. Der kommerzielle Erfolg dürfte also zu einem zentralen Indikator werden, um die Qualität dieser Art von «Forschung» zu bewerten.
Zum anderen kommt dem Primärprodukt von Forschung - Daten - eine herausragende Bedeutung zu. Denn wir lernt KI? Wie entwickelt sie sich weiter? Indem sie permanent mit neuen - und vor allem verlässlichen - Daten gefüttert wird. Wohl gemerkt: nicht-KI-generierte Daten, sie braucht also Input von aussen! Dies dürfte der «Open Data» Politik, dem freien Zugang zu Forschungsdaten, zusätzlichen Schub verleihen. Erfolgt dies nicht, oder nicht in ausreichendem Mass bzw. nur mit «qualitativ minderwertigen» Daten, dann liefert KI nur immer wieder das Gleiche oder - noch schlimmer - vermutlich bald nur noch Nonsense.
Und schliesslich braucht es, um echten Fortschritt zu erzielen, nach wie vor neue bahnbrechende wissenschaftliche Erkenntnisse. Trotz der immensen Möglichkeiten, die KI der Forschung eröffnet, wird die Grundlage, um wissenschaftliche Quantensprünge zu erzielen oder neue wissenschaftliche Horizonte zu eröffnen, weiterhin Neugier, Beharrlichkeit und Intuition sein. Und vor allem eine ausgeprägte Fehlerkultur, denn nur aus Fehlschlägen lernt man etwas - wohingegen KI primär dazu dient, Fehler zu vermieden. Diese Tugenden gilt es unbedingt zu erhalten, sie dürfen der Verlockung des durch KI ermöglichten schnellen Erfolgs keinesfalls zum Opfer fallen.
KI: Vom Hilfsmittel zum Partner auf Augenhöhe?
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