Dies ist das erste Mal, dass diese Auszeichnung an eine Arbeit aus der Schweiz verliehen wurde.
Silvan Strub, Schulsozialarbeiter und Absolvent des MAS-Programms Systemisch-lösungsorientierte Kurzzeitberatung, hat mit seiner MAS-Thesis den renommierten Systemischen Forschungspreis 2024 der Systemischen Gesellschaft (SG) und der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) gewonnen. Seine Arbeit, die eine praxisbezogene Adaption des synergetischen Prozessmanagements auf Schulklasseninterventionen untersucht, Überzeugte die Jury mit ihrer Relevanz und wissenschaftlichen Tiefe.
Ein fundierter Ansatz für Schulsozialarbeitende
Strubs MAS-Thesis mit dem Titel «Komplex - dynamisch - systemisch’! Das synergetische Prozessmanagement und die generischen Prinzipien als Rahmenmodell für Klasseninterventionen in der Schulsozialarbeit» bietet Schulsozialarbeitenden einen fundierten Ansatz zur Planung und Evaluation von Interventionen in komplexen Klassensituationen. Seine Arbeit zeigt, dass das synergetische Prozessmanagement, ursprünglich aus der Psychotherapieforschung, auch in der Schulsozialarbeit effektiv angewendet werden kann. Er beschreibt, wie die sogenannten generischen Prinzipien helfen, Schulsozialarbeitende in schwierigen Klassensituationen zu orientieren und gezielte Methoden zur Selbstorganisation der Klassen auszuwählen.Passende Methoden für komplexe Klassensituationen
Strub erklärt, dass er als Schulsozialarbeiter immer wieder vor der Herausforderung stand, in dynamischen und komplexen Klassensituationen situativ passende Methoden auszuwählen. Im Rahmen seiner Weiterbildung wurde er auf die generischen Prinzipien der Synergetik aufmerksam, die sich mit Selbstorganisation und Systemdynamik befassen. «Das weckte meine Neugier», sagt er. Diese Prinzipien boten ihm die Möglichkeit, seine offenen Fragen aus der Praxis systematisch zu untersuchen und weiterzuentwick«Auch unser Gehirn funktioniert selbstorganisiert, es gibt keine zentrale Steuerungseinheit.»
Silvan Strub Die acht generischen Prinzipien von Günther Schiepek (Haken und Schiepek, 2010) beschreiben Bedingungen, die selbstorganisierte Entwicklungsprozesse fördern, erklärt Strub. Selbstorganisation ist in diesem Kontext so zu verstehen, dass es keine zentrale Steuerung gibt, sondern die Systeme ihre eigenen Muster und Regeln in einem selbstorganisierten Prozess erzeugen. Diese Prinzipien helfen Schulsozialarbeitenden dabei, in komplexen Systemen wie Schulklassen nicht einfach von aussen zu intervenieren, sondern den Rahmen für selbstorganisierte Veränderungen zu schaffen. Beim ersten generischen Prinzip geht es zum Beispiel darum, Stabilitätsbedingungen zu fördern und Unsicherheit zu minimieren, etwa indem klare Strukturen und Ziele für die Schüler*innen geschaffen werden.
Ein Beispiel aus der Praxis
Strub berichtet von einem konkreten Fall, in dem er zunächst auf die Stabilität des Klassen-Settings achten musste, bevor er intervenierte. Bei Problemen in der Klasse könne eine unklare Unterrichtsstruktur zur Instabilität beitragen. In solchen Fällen unterstützt er nicht nur die Schüler, sondern auch die Lehrkräfte, beispielsweise durch Coaching oder Beratung. «Es ist für die Schule nicht immer leicht zu verstehen, wenn der/die Schulsozialarbeiter*in zuerst auf die Bremse tritt oder gar Bedingungen für eine Intervention stellt», sagt er. Die generischen Prinzipien böten hier eine theoretische Grundlage, um diese Herangehensweise zu erklären.Vorteile und Herausforderungen im Schulalltag
Den grössten Vorteil des synergetischen Prozessmanagements sieht er darin, dass es Schulsozialarbeitenden eine Struktur für ihre Arbeit bietet, ohne sie auf bestimmte Methoden festzulegen. «Es zielt auf die Orientierung im Prozess, lässt aber grosse Freiheiten in der Methodenwahl», erklärt er. Das Modell sei besonders wertvoll, um komplexe Dynamiken zu verstehen und die richtigen kontextuellen Bedingungen für Veränderungen zu schaffen.Die grösste Herausforderung, lag in der Adaption der theoretischen Grundlagen der Synergetik auf die Schulsozialarbeit. Hier sei es notwendig gewesen, die Theorie praxisorientiert darzustellen und bei der Adaption auf den Kontext der Schulsozialarbeit den mathematischen Formalismus auszuklammern, der in der Schulsozialarbeit wenig Anwendung findet. Der Fokus seiner Arbeit lag darauf, praxisnahe Erkenntnisse zu gewinnen und sie verständlich zu machen.
Praktische Erkenntnisse und Empfehlungen
Den grössten praktischen Nutzen seiner Arbeit sieht Strub darin, dass Schulsozialarbeitende durch das synergetische Prozessmanagement ihre Rolle als Prozessgestalter*in im Klassenzimmer besser wahrnehmen können. Besonders die enge Verzahnung von Diagnose und Intervention sei für ihn ein entscheidender Aspekt. «Die Situationsanalyse hat immer einen intervenierenden Charakter», erklärt Strub, und betont, wie wichtig es sei, diese Analyse lösungsorientiert zu gestalten, um den Beteiligten neue Perspektiven und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen.Das MAS-Programm: Systemisch-lösungsorientierte Kurzzeitberatung
Silvan Strub absolvierte das berufsbegleitende MAS-Programm Systemisch-lösungsorientierte Kurzzeitberatung. Das Programm, das in Kooperation mit dem Norddeutschen Institut für Kurzzeittherapie Bremen durchgeführt wird, befähigt Fachpersonen aus der psychosozialen Arbeit, systemisch-lösungsorientierte Methoden in der Beratung und Intervention anzuwenden. Der Transfer der erworbenen Kenntnisse in die Praxis erfolgt durch gezielte Supervision und das Einüben realer Fälle. Das Programm richtet sich insbesondere an Personen, die ihre Qualifikationen in der psychosozialen Beratung weiterentwickeln möchten, und umfasst mehrere thematische Module. Absolvent*innen werden dazu befähigt, mit Einzelpersonen, Familien und Gruppen in verschiedenen sozialen Kontexten lösungsorientiert zu arbeiten und können zudem einen Schwerpunkt in systemisch-lösungsorientierter Supervision wählen.MAS Systemisch-lösungsorientierte Kurzzeitberatung