Hedingen, auf dem Bauernhof der Familie Rigling. Wo der Blick auch hinfällt: Wiesen und Wald. Es ist früh am Morgen, als Hasler und Rigling zu arbeiten beginnen. Ihr Ziel: die passende Auflagefläche für den Lenker zu finden. Mit dem weichen Thermoplast, den Hasler an Riglings Hände anpasst, definiert er zunächst die Länge und Breite der Griffschale. Anschliessend trägt er das Knetsilikon auf und befestigt die Teile mittels Testlenker auf Riglings Rennvelo. Auf dem Velo sitzend, kann die Parasportlerin nun ihre Hände in das Silikon drücken. Dadurch wird deren Form während des Velofahrens abgebildet. Der erste Prototyp entsteht. Es wird nicht der letzte an diesem Tag sein.
Bis spät in die Nacht experimentieren die beiden mit unterschiedlichen Varianten, bis sie sich in kleinen Schritten einer Auflagefläche annähern, mit der sich Rigling wohlfühlt. Rapid Prototytping heisst diese Methode. Rigling ist beeindruckt davon, wie systematisch Hasler vorging: «Luca war ein Glücksfall für mich. Nach diesem Tag war ich mir sicher, dass wir gut zusammenarbeiten werden», erinnert sie sich.
Doch wie schafft es Hasler, diese einzigartige Form zu produzieren? Zurück an der ETH digitalisiert er die beiden Griffformen mit einem 3D-Scanner. Nur am Bildschirm kann der Maschinenbaustudent sie für die Produktion aufbereiten und mittels Simulationen auf unterschiedliche Belastungen testen. Zudem entwickelt er eine Konstruktion, mit der er die neu entwickelten Auflageflächen am alten Lenker von Rigling befestigt. «So konnte Flurina die neuen Teile auch beim Fahren testen, ohne dass wir gleich den ganzen Lenker teuer produzieren mussten.»
Rigling und Hasler tauschen sich zwischen Juli und Dezember regelmässig aus, um die Auflagefläche zu optimieren und sie so am Lenker zu befestigen, dass die Paraathletin möglichst aerodynamisch auf ihrem Velo sitzt. Nur wenn sie die neue Auflagefläche in möglichst vielen Situationen testet und dem ETH-Student immer wieder Feedback gibt, kann er den Lenker optimal auf ihre Bedürfnisse ausrichten. Dies erfordert Zeit und eine ganze Menge Geduld. «Dass wir uns auch privat gut verstanden haben, hat dieses ständige Hin und Her zwischen Feedback und Anpassung extrem erleichtert», sagt Hasler.
Paralympics im Visier
Ob sich all die Mühen gelohnt haben, zeigt sich letztlich auf der Rennbahn. Nach einer guten Stunde im Velodrome Grenchen mit dem neuen Lenker am Velo rollt Flurina Rigling erschöpft über die Ziellinie. Sie legt die Strecke um 6 Prozent schneller zurück, und das bei gleichem Kraftaufwand wie bei der Testfahrt mit dem alten Lenker. «Das sind Welten im Radsport und wahrscheinlich durch die kompaktere Position am Velo zu erklären», so die Paraathletin. Doch damit nicht genug: Auch der Druck auf ihre Hände ist nun besser verteilt, was die Steuerung ihres Velos komfortabler und sicherer machen sollte.Luca Hasler strahlt über beide Ohren als er das Ergebnis am Bildschirm sieht: «Schön zu sehen, dass sich all die Arbeit ausgezahlt hat.» Er und Rigling sind in den letzten Monaten Freunde geworden. Sie wollen auch in Zukunft zusammenarbeiten, um den Lenker für Riglings Zeitfahrvelo anzupassen und ein neues Trinksystem zu entwickeln. Riglings grosses Ziel ist die Qualifikation für die Paralympics 2024 in Paris. «Wenn ich mich qualifiziere, begleitet mich Luca als technischer Helfer.»