Steuersystem: «Revision tut Not»

Andrea Opel,   für Steuerrecht. (Bild: Philipp Schmidli)
Andrea Opel, für Steuerrecht. (Bild: Philipp Schmidli)
Ihr Einsatz für ein gerechteres Steuersystem hat sie schweizweit bekannt gemacht. Inzwischen im 14.Jahr an der Universität Luzern, setzt Steuerrechtsprofessorin Andrea Opel ihr Engagement und ihre Forschung fort.

Andrea Opel kennt es. Dieses erschöpfte Raunen, das reflexartig ausgestossen wird, sobald jemand über Steuern sprechen will. Und sie kennt diesen leicht ungläubigen Blick als Reaktion auf ihre Behauptung, dass Steuerrechtsfragen für sie nicht bloss Beruf, sondern auch Passion sind. «Ich verstehe es ja auch. Das Thema hat einen gewissen Abschreckungs-Faktor», gesteht die Professorin für Steuerrecht mit einem Lächeln.

Mannigfaltige Auswirkungen

Andrea Opel kennt die ganzen Klischees und Sprüche, aber sie kann auch dagegenhalten: «Tatsache ist, dass Steuerrechtsfragen bis in die kleinsten Fasern unserer Gesellschaft dringen. Unser Steuerrecht hat enorme gesellschaftspolitische, soziale und ökonomische Auswirkungen. Genauer hinschauen lohnt sich also.» Und für genau diesen scharfen und kritischen Blick auf unser Steuersystem ist Andrea Opel mittlerweile schweizweit bekannt und gefragt: ob als Expertin in Fachgremien, Chefredaktorin der Fachzeitschrift «Steuer Revue», als Präsidentin der Trägerorganisation für die Steuerexpertenprüfung oder als Mitglied verschiedener Stiftungsräte. Und natürlich auch im Rahmen ihrer eigenen Forschung. Aktuell beispielsweise befasst sie sich mit der Individualbesteuerung, mit der Frage, ob Reichensteuern zulässig sind, mit Steuerfragen rund um das Thema Teilzeitarbeit sowie mit der Besteuerung von Non-Profit-Organisationen.

Aber woher rührt dieser Enthusiasmus für die vermeintlich trockene Materie? «Dieses Interesse wurde an der Uni Basel geweckt», sagt Opel rückblickend. Mitte der Nullerjahre begann die damalige Jusstudentin aus dem baselländischen Wenslingen sich tiefer und tiefer in das Thema einzuarbeiten. «Im Gegensatz zu anderen Rechtsgebieten tangieren Steuerfragen uns alle direkt. Ein Beispiel: Wenn nichts schiefläuft, haben wir kaum je etwas mit dem Strafrecht zu tun. Um die Steuern - und damit um das geltende Steuerrecht - kommen wir aber nicht herum.»

Bereits früh einen Namen gemacht

Auf das Studium folgte das Doktorat - eine akademische Laufbahn war aber nicht von Beginn weg vorprogrammiert. «Ehrlich gesagt habe ich mir das zunächst gar nicht zugetraut. Mein Doktorvater, Urs Behnisch, hat mich diesbezüglich aber ermutigt, weshalb dieser Weg nach der Dissertation mehr und mehr zur Option wurde. Dies nicht zuletzt dank dem Vertrauen der Uni Luzern.» 2010 wurde sie Assistenzprofessorin für Steuerrecht in Luzern, mit gerade einmal 31 Jahren die jüngste Jus-Professorin des Landes.

Opels früher Einstieg sorgte damals für Schlagzeilen und wird heute noch gerne zitiert. Die Aufmerksamkeit konnte sie nutzen, um relevanten Steuerthemen eine Plattform zu geben. Mit 44 Jahren ist Andrea Opel heute immer noch jung, der frühere «Exotik-Bonus» ist aber schon längst nicht mehr vonnöten. Ihre Expertise im nationalen und internationalen Steuerrecht ist unbestritten. «Mir war wichtig, dass ich den akademischen Weg korrekt gehe - ohne irgendwelche Abkürzungen. Die Habilitation 2014 war für mich ganz klar auch eine Frage der Daseinsberechtigung», sagt Andrea Opel.

Stichwort: «Heiratsstrafe»

Apropos Daseinsberechtigung: Einem Aspekt des schweizerischen Steuersystems, dem Andrea Opel die Daseinsberechtigung klar abspricht, ist die gemeinsame Besteuerung von Ehepaaren. Opel setzt sich für einen Systemwechsel hin zur Individualbesteuerung ein. Das heutige System hat für die Steuerrechtsprofessorin zwei entscheidende negative Effekte: «Zum einen die sogenannte Heiratsstrafe, weil die Einkommen und Vermögen summiert werden. Die Folge davon ist eine höhere Steuerprogression für verheiratete Paare, als sie es bei der Individualbesteuerung hätten.» Dies halte viele vom Heiraten ab.

Arbeit muss sich lohnen - im geltenden System ist dies für Zweitverdienende aber oftmals nicht der Fall.


Den zweiten Schwachpunkt sieht Opel in einer steuerlichen Benachteiligung für Zweitverdienende. Wer in einer Ehe weniger verdient, wird heute auf dem gleichen Niveau belastet wie der hauptverdienende Ehepartner. «Dieser Umstand hält insbesondere Frauen davon ab, berufstätig zu sein oder ein grösseres Pensum zu wählen», erklärt Andrea Opel. Sie fügt an: «Arbeit muss sich lohnen - im geltenden System ist dies für Zweitverdienende aber oftmals nicht der Fall.»

Auf Bundesebene ist aktuell eine Vorlage zur Einführung der Individualbesteuerung in der Pipeline. Für Opel ist klar, dass eine Systemveränderung hin zur Individualbesteuerung einen gewaltigen Umbruch bedeutete: «Es wäre die grösste Änderung im Steuerbereich der letzten hundert Jahre.» Die Debatte ist kontrovers, wie die Vernehmlassung zum neuen Gesetz in diesem Frühling zeigte. «Bei dieser Frage prallen effektiv Weltbilder aufeinander. Für mich aber ist klar, dass das heutige Steuersystem teilweise komplett aus der Zeit gefallen ist und dass eine Revision not tut», betont Opel. «Dies nicht zuletzt deshalb, weil heute die meisten Ehepaare Doppelverdiener sind, anders als noch Ende des letzten Jahrtausends.» Würde man bei null anfangen, käme wohl niemand auf die Idee, Ehepaare gemeinsam zu besteuern, so Opel.

Es gibt mehr als nur Steuern

Die Diskussionen um die Heiratsstrafe zeigen deutlich auf, wie tief unser Steuerrecht mit diversen Gesellschaftsfragen verbunden ist. Genau diese Interdisziplinarität fasziniert Andrea Opel aus akademischer Sicht bis heute. Die zweifache Mutter pendelt deshalb auch zwischen ihrem Wohnort in Sissach (BL) und Luzern, um an der Uni Luzern ihr Wissen und ihre Erfahrungen und Erkenntnisse an die nächste Generation weiterzugeben - dies auch im Rahmen des Programms «primius» der Rechtswissenschaftlichen Fakultät.

Das studienergänzende Angebot wendet sich an talentierte, interessierte, begabte Studierende und Doktorierende. «Es geht dort vor allem darum, den Studierenden eine Horizonterweiterung zu ermöglichen», erklärt Opel. «Beispielsweise durch Rhetorikkurse, Kanzleibesuche oder Workshops.»

Und ja, es gibt für Andrea Opel ein Leben neben den Steuern: Dort stehen das Familienleben, Freunde, Skifahren und Konzertbesuche im Zentrum. Wobei: Auf Konzerttickets zahlt man auch wieder Steuern... Am Thema führt wirklich kein Weg vorbei.

unilu.ch/andrea-opel