Eine Saison im Herzen des GreenFjord-Projekts

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Julia Schmale an Bord des Adolf-Jensen-Schiffs am 5. August 2023. EERL / 2023 EP
Julia Schmale an Bord des Adolf-Jensen-Schiffs am 5. August 2023. EERL / 2023 EPFL

Das GreenFjord-Forschungsprogramm zielt darauf ab, die Auswirkungen des Klimawandels in Südgrönland zu verstehen. Nach einer intensiven ersten Feldsaison haben die Wissenschaftler enge Kontakte zur Bevölkerung geknüpft und sind nun mit der Auswertung von Millionen von Daten beschäftigt.

Julia Schmale arbeitet normalerweise in ebenso extremen wie einsamen Umgebungen. So hat die Forscherin die letzten zehn Jahre entweder auf einer unbewohnten Insel in der Antarktis verbracht, mit dem Polarmeer soweit das Auge reicht, oder an Bord von Eisbrechern, die in den Arktischen Ozean vorstoßen. Die Dinge änderten sich für sie im Jahr 2022 radikal. Nachdem sie ein Konsortium aus Expertinnen und Experten um ein Forschungsprogramm namens GreenFjord gebildet hatte, gewann sie in diesem Jahr einen Wettbewerb des Swiss Polar Institute (SPI), das ihren Vorschlag in ein vierjähriges Flaggschiff-Forschungsprogramm umwandelte. Das "GreenFjord Project" war geboren.

Holistischer Ansatz

Während Südgrönland dem Klimawandel stark ausgesetzt ist, gibt es noch viele Unbekannte in Bezug auf die Auswirkungen dieser Exposition auf seine Ökosysteme. Die Region ist komplex, da sie einen Gletscher, eine Bergkette und eine Reihe von Fjorden, die in den Ozean münden, in sich vereint. Ihre Bevölkerung, die hauptsächlich vom Fischfang, der Rentierzucht, der Landwirtschaft und dem Tourismus lebt, ist sehr anfällig für potenzielle Klimastörungen, die sich auf alle Aspekte des täglichen Lebens auswirken. Im Zentrum des Projekts stehen darüber hinaus zwei Fjordsysteme, eines, in dem das Eis auf das Wasser trifft, und eines, in dem sich das Eis so weit zurückgezogen hat, dass es auf dem Festland endet. Das letztgenannte Fjordsystem ist ein gutes Beispiel für die Zukunft.

Um die Herausforderungen dieser Region besser zu verstehen, hat die Assistenzprofessorin für Tenure Track an der EPFL ein ganzheitliches Forschungsprogramm ins Leben gerufen. Ihr Ziel? Die atmosphärischen Veränderungen, den lokalen Kohlenstoffkreislauf, die Dynamik der Fjorde, den Rückgang der Gletscher und die globale Biodiversität in Südgrönland zu messen. Eine menschliche Komponente, die auch Interviews mit der Bevölkerung umfasst, ergänzt diesen Ansatz.

Insgesamt umfasst das Programm sechs Forschungsgruppen, 50 Wissenschaftler und ein Dutzend Institutionen aus der Schweiz und dem Ausland (siehe Kasten). "Die Auswirkungen des Klimawandels sind in Grönland drei- bis viermal stärker ausgeprägt als anderswo auf der Welt", erinnert die Forscherin, deren Forschungslabor für extreme Umgebungen Mitglied des Forschungsschwerpunkts für alpine und extreme Umgebungen (ALPOLE) an der EPFL Valais Wallis ist. "Es ist von entscheidender Bedeutung, die Prozesse der Umweltveränderung zu verstehen und zu antizipieren, damit wir uns auf die Folgen vorbereiten können, die darin bestehen werden, uns anzupassen. Letztendlich betrifft das, was in diesem Teil der Welt geschieht, uns alle".

Im täglichen Leben

Von Mai bis September 2023 fand eine Kampagne statt, bei der Millionen von Daten gesammelt wurden. Insgesamt waren rund 50 Wissenschaftler vor Ort und haben eine sehr positive Bilanz gezogen. Julia Schmale machte die Narsaq International Research Station (NIRS), die sich in einem grönländischen 1300-Seelen-Dorf befindet, zum Drehkreuz des GreenFjord-Forschungsprogramms. Während ihrer Feldarbeit wohnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Station oder in für die Region typischen Häusern aus buntem Holz. Sie tauchten in den Alltag des Dorfes ein, der sich hauptsächlich um die Landwirtschaft, einen Schlachthof, die Fischerei, eine Schule, eine Feuerwache und verkehrsbezogene Gemeinschaftsdienste dreht. In dem Dorf kennt jeder jeden und grüßt sich auf der Straße. Ein völliger Stimmungswechsel für die Forscherin.

Ozean, Land und Eisberge

Mehrere Forschungsgruppen erkundeten die beiden Fjorde mithilfe grönländischer Forschungsschiffe, der Adolf Jensen und der RV Sanna. Die Wissenschaftler bewerteten die allgemeine Geländedynamik, Temperatur- und Nährstoffschwankungen, die Speicherung von Treibhausgasen im Wasser am Beispiel von Methan und die Artenvielfalt in den Fjorden. Eine andere Gruppe verlegte ein Glasfaserkabel auf dem Meeresboden, um den Meeresgletscher "belauschen" zu können, insbesondere um den Massenverlust zu dokumentieren, wenn ein Eisberg abbricht. Zu diesem Zweck installierte die Forschungsgruppe auch ein Radar, Seismographen und Time-Lapse-Kameras.

Dem Staub folgen

Mehrere Teams sammelten Boden-, Wasser- und Sedimentproben von Bächen, die von Gletschern gespeist werden, in Zusammenarbeit mit einer Gruppe, die ihrerseits detaillierte Messungen des Staubs vornahm, der sich durch den Rückzug der Gletscher ansammelt. Diese Messungen stehen im Zusammenhang mit dem Projekt Eco-Plains, einer interdisziplinären Forschungsarbeit, die an der Fakultät für natürliche, architektonische und gebaute Umwelt (ENAC) durchgeführt wird. Dieses Nebenprojekt wird von Julia Schmale in Zusammenarbeit mit Ianina Altshuler, Assistenzprofessorin mit Tenure Track, und Devis Tuia, assoziierter Professor an der ENAC-Fakultät, geleitet.

Die Wissenschaftler haben außerdem drei Wetterstationen eingerichtet, eine in der Nähe der Küste und zwei im Landesinneren. Diese Stationen sind mit Instrumenten ausgestattet, die Luftpartikel, einschließlich Staub, sammeln, um zu messen, wie Staub in der Luft aufsteigt. Julia Schmale erklärt: "Staub kann den Wolkenbildungsprozess beeinflussen und zu Veränderungen im Regenregime führen. Wenn Staubpartikel vom Boden in die Atmosphäre gelangen, können sie als Samen für die Bildung von Eiskristallen wirken und die Wolkenbildung beeinflussen."

Eine DNA-Sequenzierung wird nicht nur an den vom Boden gesammelten Proben, sondern auch an Proben aus Eis, Luft und Wasser durchgeführt, um den Zustand der Biodiversität in Bezug auf Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen zu bewerten und ein umfassendes Bild der Biodiversität der Region zu erhalten.

Über den Wolken und dem Nebel

Julia Schmale und ihr Team konnten sich den neugierigen Blicken der Einwohner nicht entziehen, als sie ihre Ausrüstung zur Messung der Luftzusammensetzung entfalteten: ein großer rot-weißer Ballon, der mit Seilen mit dem Boden verbunden war und stolz das Logo der EPFL trug. Der Ballon schwebte acht Wochen lang über dem Dorf und verwandelte seinen fast täglichen Flug in eine Theateraufführung. "Ein Mädchen aus dem Dorf begann spontan, jeden Morgen zu kommen und uns zu helfen, die Knoten zu lösen und die Seile vor dem Start abzuwickeln", erklärt die Forscherin. Das Instrument durchdringt die Wolken und fliegt über den Nebel, der in der Region aufgrund der Fjorde sehr verbreitet ist. Die mit dem Ballon beobachteten Aerosolpartikel sollen den Wissenschaftlern helfen, festzustellen, ob die Bildung der Wolken und des Nebels auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen ist oder ob sie durch natürliche Emissionen aus dem Fjord oder durch Eisstaub verursacht wird.


Begegnungen und Präsentation

In diesem Jahr beschloss das Wissenschaftsteam, ein Facebook-Konto im Namen des Projekts zu eröffnen, da das soziale Netzwerk vor Ort häufig genutzt wird. Über diese Seite luden sie die Bevölkerung ein, beim Aufbau des Ballons dabei zu sein und die Gründe für ihre Anwesenheit in ihrem Dorf darzulegen. "Menschen aller Generationen haben uns besucht, von Schülern der nahegelegenen Schule bis hin zu Rentnern", sagt Julia Schmale. "Diese Begegnungen haben uns geholfen, ihr Vertrauen zu gewinnen. Ich glaube, sie waren stolz darauf, dass ihr Dorf diese Forschung beherbergen konnte. Wir haben auch einen Wettbewerb zur Benennung unseres Ballons gestartet. Der Begriff Nattoralik hat gewonnen. Er bedeutet auf Grönländisch: großer weißer Seeadler!"

Aufgrund der kanadischen Waldbrände im Juli verdunkelte sich der Himmel über dem Dorf plötzlich. Auch hier konnten die Wissenschaftler der Bevölkerung über die Facebook-Seite des Projekts genaue Erklärungen zu den aktuellen Ereignissen und ihren Auswirkungen auf die Atmosphäre geben.

Landschaft und Identität


Im soziologischen Teil führte das Team, das die Bevölkerung von Narsaq interviewte, kommentierte Spaziergänge durch, bei denen die Bewohner ihre Wahrnehmung und die historische Bedeutung der Landschaftsmerkmale erläuterten. Die Wissenschaftler veranstalteten auch einen Fotowettbewerb, bei dem die Bevölkerung aufgefordert wurde, zu zeigen, was ihre Landschaft ausmacht, und sich auf den Wandel einzustellen: "Der Rückgang der Gletscher bedeutet, dass es in Zukunft wahrscheinlich nicht mehr viele Eisberge geben wird, was die Identität der Landschaft auf lokaler Ebene völlig verändern wird", sagt Julia Schmale.

Datenanalyse und Feedback

Das GreenFjord-Projekt war in diesem Sommer Gegenstand eines großen Artikels in den nationalen Medien Grönlands. Eine Form der Anerkennung für die vor Ort geleistete Feldarbeit, aber auch eine Erinnerung an die Verantwortung der Wissenschaftler gegenüber der grönländischen Bevölkerung. Das Team wird die nächsten Jahre des Projekts der Zusammenstellung und Analyse der zahlreichen Daten widmen, die es gesammelt hat und die es noch durch Laboranalysen erstellen muss. Danach werden Julia Schmale und die Leiter des GreenFjord-Projekts nach Narsaq zurückkehren, um die wichtigsten Ergebnisse ihrer Forschung zu präsentieren. "Dank unserer interdisziplinären Bemühungen werden wir in der Lage sein, die Auswirkungen des Temperaturanstiegs, des Gletscherrückgangs und der sich verändernden Dynamik der Fjorde auf die Lebensgrundlagen der Bevölkerung besser zu beurteilen. Diese Daten werden uns auch wichtige Hinweise auf die Entwicklung ähnlicher Fjordregionen in der Arktis, wie z.B. Spitzbergen, liefern, was wiederum bessere Szenarien nicht nur für die Entwicklung der Arktis, sondern auch für ihre Auswirkungen auf das globale Klima ermöglicht", schließt Julia Schmale.