Unterwegs mit Policy Fellow Regina Witter

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Regina Witter, stellvertretende Leiterin des Programms Agglomerationsverkehr im
Regina Witter, stellvertretende Leiterin des Programms Agglomerationsverkehr im Bundesamt für Raumentwicklung, als Policy Fellow an der ETH Zürich. (Bild: ETH Zürich / Michel Büchel)
Das Verständnis zwischen Wissenschaft und Verwaltung fördern - das ist das Ziel des neuen ETH Policy Fellowships. Regina Witter vom Bundesamt für Raumentwicklung hat als eine der Ersten daran teilgenommen.  

Batterie oder Wasserstoffantrieb? Welche Technologie setzt sich künftig bei Bussen und Lastwagen durch? Für Regina Witter ist diese Frage nicht nur graue Theorie. Denn als stellvertretende Leiterin des Programms Agglomerationsverkehr im Bundesamt für Raumentwicklung ARE entscheidet sie mit, welche Projekte der Bund mit 1,6 Milliarden Schweizer Franken unterstützt, um eine nachhaltige Verkehrsund Raumplanung zu fördern. «Kürzlich haben wir die Idee einer Agglomeration diskutiert, die den öffentlichen Busverkehr auf Wasserstoff umstellen will», erinnert sich Witter. Doch wie sinnvoll ist das aus technologischer Sicht? Das ist nur eine von vielen Fragen, die Witter beschäftigt, als sie im vergangenen Herbst an die ETH Zürich kommt.

Tobias Schmidt und Russell McKenna forschen dort zu verschiedenen Energiesystemen. Die beiden ETH-Professoren sind sich einig, dass Wasserstoffantriebe im Personenverkehr im Vergleich zu Batterien weniger Potenzial haben. «Wenn man die Gesamtkosten eines Fahrzeugs über die ganze Lebensdauer betrachtet, sind Batterien deutlich effizienter und günstiger», sagt Schmidt, der eine grosse Studie zum Thema veröffentlicht hat. Regina Witter trifft Schmidt und McKenna zu ausführlichen Einzelgesprächen, die bis zu drei Stunden dauern. «Ich war Überrascht, wie klar sich die beiden unabhängig voneinander gegen Wasserstoffantriebe im Personenverkehr ausgesprochen haben. Das ist in dieser Deutlichkeit in unserer Abteilung noch nicht angekommen und lässt Wasserstoffprojekte im öffentlichen Verkehr in einem anderen Licht erscheinen», sagt sie.

Möglich macht diesen intensiven Austausch zwischen Verwaltung und Wissenschaft ein neues Pilotprojekt der Zürcher Hochschule: das ETH Policy Fellowship. Von September bis November letzten Jahres verbringen drei Kaderleute der Schweizer Bundesverwaltung zehn Tage an der ETH Zürich. Eine von ihnen ist Regina Witter. Die promovierte Raumund Verkehrsplanerin besucht Workshops, hält einen Vortrag, tauscht sich mit Studierenden aus und trifft insgesamt dreizehn Expertinnen und Experten aus den Bereichen Raumplanung, Energie und Verkehr. Ihr Fazit: «Eine bereichernde Erfahrung, die ich den mittleren Kadern der Bundesverwaltung wärmstens empfehlen kann.»

Wechselseitiger Wissenstransfer

Als sich das Coronavirus SARS-CoV-2 Anfang 2020 auch in der Schweiz ausbreitet, richtet sich der Blick von Verwaltung und Politik rasch auf die Wissenschaft. Diese soll helfen, die komplexe Situation besser zu verstehen. Doch Forschende und Mitarbeitende der Verwaltung ziehen zunächst nicht am gleichen Strang. Man kennt sich kaum und versteht die Arbeitsweise und Bedürfnisse der anderen Seite zu wenig. Das soll sich in Zukunft nicht wiederholen: Eine Lehre aus der Coronapandemie ist, dass sich Verwaltung und Wissenschaft häufiger und kontinuierlicher austauschen sollten - und nicht erst, wenn die nächste Krise ausbricht.

Hier setzt das Policy Fellowship der ETH an: «Wir wollen ein Netzwerk zwischen Kaderleuten der Bundesverwaltung und Forschenden der ETH Zürich aufbauen, das auf gegenseitigem Verständnis und Vertrauen beruht», erklärt Benedikt Knüsel, der an der ETH Zürich die zentrale Ansprechperson für Vertreter:innen der Verwaltung ist.

Bei den Policy Fellowships gehe es um einen wechselseitigen Wissenstransfer zwischen Verwaltung und Wissenschaft. «Beide Seiten sollen davon profitieren», sagt Knüsel. Verwaltungsangehörige lernen relevante Forschungsergebnisse kennen und entwickeln im Austausch mit Forschenden neue Ideen. Im Bedarfsfall wissen sie, wer ihnen zu welchen Themen Auskunft geben kann. Gleichzeitig tragen sie durch ihre Erfahrung und ihr Wissen dazu bei, dass Forschende an der ETH besser verstehen, wie die Verwaltung funktioniert und welche Bedürfnisse sie hat.

Was die Bevölkerung erwartet

Während ihrer Zeit an der ETH Zürich ist Witter in der Forschungsgruppe von David Kaufmann eingebettet. Kaufmann ist Professor für Raumentwicklung und Stadtpolitik. Beide beschäftigen sich mit der Frage, wie und wo in der Schweiz die Siedlungsentwicklung nach innen vorangebracht werden soll. Beide sind davon Überzeugt, dass man die Raumund die Verkehrsplanung zusammendenken muss, um diese Frage zu beantworten.

Während Witters Aufgabe im Bundesamt für Raumentwicklung ARE unter anderem darin besteht, nachhaltige Verkehrsprojekte zu fördern, die auch zur Verdichtung beitragen, untersucht Kaufmann, welche Art von Verdichtung die Menschen in der Schweiz wollen. In einer gross angelegten Umfrage zeigen er und sein Team, dass die Schweizer Stadtbevölkerung durchaus bereit wäre, weitere Verdichtungsmassnahmen zu akzeptieren. «Wichtig ist den Menschen aber, dass dabei bezahlbarer Wohnraum und Grünflächen entstehen», sagt er.

Für Witter sind diese Ergebnisse unmittelbar relevant: «Wir können dadurch besser einschätzen, was sich die Bevölkerung von der künftigen Raumund Verkehrsplanung erwartet.»

Verkehrsdrehscheiben

Auch ein weiteres Forschungsprojekt von Kaufmann hat einen direkten Bezug zu Witters Aufgabengebiet: Es geht um den Ausbau von Bahnhöfen zu sogenannten Verkehrsdrehscheiben. «An diesen Orten sollen Menschen möglichst reibungslos zwischen Auto, Velo, Bahn und Bus umsteigen können», erklärt Witter in einem Vortrag vor Forschenden und Studierenden der ETH Zürich. Sie ist im ARE für dieses Programm verantwortlich. Bund, Kantone und Städte fördern den Ausbau von Verkehrsdrehscheiben, um Stadt und Land besser zu vernetzen und das Strassennetz zu entlasten.

Dank ihrer guten Erschliessung sind Verkehrsdrehscheiben auch attraktive Standorte für neue Wohnbauprojekte. «Aus raumplanerischer Sicht macht es Sinn, dort zu verdichten, wo die Verkehrsinfrastruktur bereits vorhanden ist», sagt Witter. Doch für Kaufmann greift das zu kurz: Seine umfangreichen Daten zeigen, dass diese Entwicklung auch negative Folgen haben kann: «Neue Wohnungen in diesen gut angebundenen Gebieten sind teuer. Personen mit eher tiefem Einkommen können sich das nicht leisten und werden von jüngeren, einkommensstärkeren Haushalten verdrängt», erklärt der ETH-Professor. Zudem erwarte sich die Schweizer Bevölkerung von Verkehrsdrehschreiben nicht nur, dass unterschiedliche Verkehrsmittel gut aufeinander abgestimmt sind und es Einkaufsmöglichkeiten gibt. «Bahnhöfe werden auch stark als öffentliche Räume wahrgenommen, die das Quartier prägen», so Kaufmann.

Für Regina Witter sind diese Ergebnisse eine wichtige Ergänzung zum Diskurs über Verkehrsdrehscheiben in der Verwaltung. «Wir müssen uns auch mit den Verdrängungseffekten der Verdichtung und dem Bedürfnis nach öffentlichem Raum beschäftigen», sagt sie. Konkret bedeutet das, dass sie bei der Begleitung von Projekten stärker darauf achtet, wie Bahnhöfe gestaltet werden. Gibt es zum Beispiel genügend ansprechende öffentliche Plätze, die man nutzen kann, ohne etwas konsumieren zu müssen?

Der Austausch zwischen Kaufmann und Witter ist aber keine Einbahnstrasse. Auch der ETH-Professor profitiert davon: Er kann sein Netzwerk im ARE deutlich ausbauen - vor allem im mittleren Kader, wo viele Programme konzipiert und umgesetzt werden. Zudem konnte er Witter für eine gemeinsame Lehrveranstaltung gewinnen: «Für unsere Studierenden ist es äusserst spannend, aus erster Hand zu erfahren, wie Raumund Verkehrsplanung in der Praxis funktioniert.»

Ein Blick in die Zukunft

Neben Fragen der Raumplanung geht es in vielen der dreizehn Einzelgesprächen, die Witter an der ETH Zürich führt, um Verkehrsplanung. So zeigt ihr der mittlerweile emeritierte ETH-Professor Kay Axhausen in einer Visualisierung, wie Zürichs Strassen aussehen könnten, wenn die Hälfte der Verkehrsfläche Velos und E-Bikes vorbehalten wäre. Mit ETH-Professor Emilio Frazzoli spricht Witter über selbstfahrende Autos und Busse. Geht es nach Frazzoli, wird sich diese Technologie in den nächsten zehn Jahren nicht flächendeckend durchsetzen, zu gross sind noch die Sicherheitsbedenken. Witter und Frazzoli stimmen aber darin Überein, dass autonome Fahrzeuge den öffentlichen Verkehr vor allem in Regionen ergänzen könnten, die weniger gut erschlossen sind. Und mit ETH-Professor Francesco Corman diskutiert Witter die Modellierung zukünftiger Verkehrsszenarien mittels sogenannter digitaler Zwillinge. Damit lassen sich zum Beispiel die Verkehrsflüsse einer Stadt analysieren und verschiedene Planungsoptionen simulieren. «Diese Gespräche waren für mich wie ein Blick in die verkehrspolitische Zukunft», erinnert sich Witter.

Ihr Aufenthalt an der ETH Zürich endet aber viel praktischer: In einem Workshop zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik in der Schweiz erklärt sie jungen Forschenden, wie sie sich in den politischen Prozess einbringen können und worauf sie im Austausch mit der Verwaltung achten müssen. Denn hier ist Witter die Expertin.


Die ETH Zürich und das Eidgenössischen Personalamt bieten das ETH Policy Fellowship auch in Zukunft gemeinsam für Mitarbeitende der Bundesverwaltung an.

Dieser Text ist in der Ausgabe 24/01 des ETH-Magazins Globe erschienen. vertical_align_bottom
Christoph Elhardt