Verfechter des öffentlichen Raums

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Günther Vogt in seinem Case Studio in Zürich. (Bild: Giuseppe Micciché)
Günther Vogt in seinem Case Studio in Zürich. (Bild: Giuseppe Micciché)
Günther Vogt ist einer der gefragtesten Landschaftsarchitekten unserer Zeit. Er hat eine ganze Generation von Architektinnen und Architekten für den öffentlichen Raum sensibilisiert. Nach 18 Jahren als ETH-Professor wurde er nun emeritiert.

Im Gehen daheim

Vogts Abschied von der ETH Zürich ist untypisch: Anstelle einer Abschiedsvorlesung lädt er zu einem Spaziergang, der von der Polyterrasse in Zürich die Limmat entlang bis zum Kloster Fahr führt. Von der Stadt aufs Land, vorbei an schönen Orten wie dem Stadtpark Josefwiese, aber auch an weniger einladenden Orten wie einer Autobahnbrücke. Beides gehört für Vogt zu dem, was er Stadtlandschaft nennt.

Solche Spaziergänge haben für den Landschaftsarchitekten eine besondere Bedeutung: «Gehen ist für mich ein Sammeln von Bildern, auf die ich beim Entwerfen zurückgreife.» Beim Gehen entsteht Vogts inneres Archiv. Und dieses reicht bis in seine Kindheit zurück.

Botanischer Rucksackträger

Vogt begeistert sich schon in jungen Jahren für Pflanzen aller Art. Als Neunjähriger darf er den erfahrenen Botaniker Heinrich Seitter auf unzähligen Streifzügen durch die Landschaft begleiten. «Ich war sein Rucksackträger und habe alles aufgesogen, was er über Pflanzen gesagt hat.»

Als Vogt mit 16 Jahren die Gartenbauschule in Oeschberg im Kanton Bern beginnt, kann er bereits auf ein beachtliches botanisches Wissen zurückgreifen, das er in den folgenden Jahren stetig erweitert. Sein inneres Archiv wächst und wächst.

Kienast und Vogt

Anschliessend studiert Vogt Landschaftsarchitektur am interkantonalen Technikum in Rapperswil, wo er in Professor Dieter Kienast einen Mentor und Weggefährten findet. 1995 gründen die beiden ein gemeinsames Büro. «Am Anfang hatten wir wenig zu tun und deshalb viel Zeit, intensiv über Landschaftsarchitektur zu diskutieren», erinnert sich Vogt.


Für den jungen Landschaftsarchitekten ist der Austausch mit dem älteren und erfahreneren Kienast prägend. So intensiv wird er nie wieder mit einem anderen Menschen zusammenarbeiten.

«Freiräume sind die wichtigste Ressource einer Stadt.»


Doch die Arbeitsgemeinschaft mit Kienast nimmt ein viel zu frühes und tragisches Ende. Dieter Kienast stirbt 1998 nach kurzer, aber intensiver Krankheit. «Dieters Tod war eine Zäsur. Mein wichtigster Gesprächspartner war plötzlich nicht mehr da. Ich musste mir alles neu aufbauen und meinen Gesprächskreis erweitern.»

Fokus auf grosse Massstäbe

Zwei Jahre nach Kienasts Tod gründet Vogt sein eigenes Büro. In seinen Projekten beschäftigt er sich von nun an vor allem mit öffentlichen Räumen. Dabei geht es ihm meist um grosse Massstäbe, die weit über einzelne Bauparzellen hinausgehen. Egal ob er einen Park oder einen ganzen Stadtteil entwirft, die zentrale Frage lautet immer: In welcher Beziehung steht ein Ort zur Stadt und ihrer Kultur im öffentlichen Raum? Das Verständnis des Kontextes ist für Vogt die Grundlage für jeden Entwurf.

So will er im Westen Londons das Dach einer riesigen Industrieanlage, in der Kies abgebaut wird, in einen öffentlichen Park verwandeln, der sich in den Grüngürtel um London herum einfügt. Und in Hamburg entwirft Vogt die Aussenbereiche für einen neuen Stadtteil auf der Halbinsel Grasbrook: Parks, Promenaden, Plätze, Strassenräume und Höfe bilden zusammen eine neue Stadtlandschaft zwischen Fluss und Hafen, die das Hafengebiet in das Stadtgefüge integriert.

Freiräume als wichtigste Ressource der Stadt

Bei solchen Grossprojekten agiert der Landschaftsarchitekt zunehmend als Stadtplaner, der soziale, ökonomische und ökologische Fragen des urbanen Zusammenlebens ebenso berücksichtigt wie die Vegetation und Topografie. Die Schwierigkeit, so Vogt, bestehe darin, die Bedürfnisse ganz unterschiedlicher Nutzer in Einklang zu bringen und gleichzeitig einen atmosphärischen Raum zu schaffen, in dem sich die Menschen auch in dreissig Jahren noch wohlfühlen.

Freiräume sind für den ETH-Professor die wichtigste Ressource einer Stadt. Die Tendenz, den öffentlichen Raum zu privatisieren, sieht Vogt daher kritisch: Stadtplanung dürfe nicht zum Management von Restflächen verkommen. Nur mit genügend Freiund Grünflächen können Städte dem Klimawandel standhalten und auch in Zukunft lebenswert bleiben. «In manche Metropolen», gibt er zu bedenken, «werden wir regelrechte Belüftungsschneisen schlagen müssen, um frische und kalte Luft in die Innenstädte zu leiten.»

Die Natur freilegen

Vogt gelingt es mit seinen Entwürfen immer wieder, die natürlichen Eigenschaften eines Ortes herauszuschälen und erfahrbar zu machen. So auch beim Novartis Campus Park in Basel, wo er aus freigelegten Flusssedimenten tief eingeschnittene Hohlwege schafft. Zwischen den oberen Parkteilen und dem Rhein entsteht eine künstliche Landschaft, die der «Natur» eine Bühne bietet.

In Vogts Landschaften und Parks kommt nicht nur sein Wissen über Pflanzen, Hydrologie und Geologie zur Geltung, sondern auch sein Sinn für den kulturellen Kontext. «Was man unter Landschaft versteht, ist von Land zu Land sehr unterschiedlich», sagt er. Als der Landschaftsarchitekt beispielsweise erfährt, dass bei der Europäischen Zentralbank in Frankfurt viele Britinnen und Briten arbeiten, schlägt er vor, in den Aussenanlagen keine Wege, sondern nur Rasen anzulegen. Die Mitarbeitenden sind begeistert. «Menschen aus Grossbritannien haben eben ein erotisches Verhältnis zum Rasen», erklärt der ETH-Professor die positiven Reaktionen auf den Entwurf.

Zusammenarbeit mit Künstlern

Für die gelungene Verbindung von Landschaftsarchitektur und Kunst erhält Günther Vogt 2012 den Prix Meret Oppenheim des Schweizer Bundesamtes für Kultur. In den Medien besonders gelobt werden eine Reihe von Ausstellungen und Interventionen mit dem isländisch-dänischen Künstler Olafur Eliasson.

Im Kunsthaus Bregenz bringen die beiden einfache Naturphänomene wie Nebel, Erde oder Wasser ins Museum. Im dänischen Ebeltoft lassen sie mittels runder Spiegel, die den Himmel reflektieren, den Schein einer verlorenen Gletscherlandschaft wieder auferstehen. Und in Basel fluten sie das Kunstmuseum Fondation Beyeler. Fast ein Dutzend Wasserpflanzenarten schweben sanft im leuchtend grünen Wasser. «Für Olafur und mich war all das Neuland», sagt Vogt. «Er ging als Künstler in die Landschaft und ich als Landschaftsarchitekt ins Museum.»

Verantwortung für den öffentlichen Raum Übernehmen

Als Vogt 2005 an die ETH Zürich kommt, ist er neben Christoph Girot erst der zweite Professor für Landschaftsarchitektur am Departement für Architektur. Gemeinsam setzen sie sich dafür ein, dass Architektur, Städtebau und Landschaftsarchitektur in der Lehre zusammengehören. Sie gründen das Institut für Landschaftsarchitektur und setzen nach jahrelangen Bemühungen durch, dass 2020 ein eigener Masterstudiengang für Landschaftsarchitektur eingeführt wird - der erste an einer Schweizer Universität.

Auch in der Lehre legt Vogt einen Schwerpunkt auf grosse Massstäbe und den öffentlichen Raum. Er hat eine ganze Generation von Architektinnen und Architekten an der ETH Zürich dafür sensibilisiert, Verantwortung für den öffentlichen Raum zu Übernehmen, über die einzelne Parzelle hinauszudenken und die grösseren Zusammenhänge eines Ortes zu verstehen.

Bei seinen Studierenden war Vogt für seine offene und neugierige Art und für gutes Essen bekannt. Um die Diskussion mit seinen Studierenden aufzulockern, versammelte der ETH-Professor sie regelmässig um den Esstisch in seinem Büro. «Das gemeinsame Kochen, Essen und Trinken schuf eine familiäre Atmosphäre und löste bei manchen Studierenden Unsicherheiten und Ängste», so Vogt.

Mit Günther Vogt verliert die ETH Zürich einen Pionier der Schweizer Landschaftsarchitektur. Langweilig wird ihm aber auch ohne Lehre bestimmt nicht. Denn Vogt hat mit seinen Büros in Zürich, London, Paris und Berlin weiterhin alle Hände voll zu tun. Seinen Studierenden und seiner Nachfolge will er bewusst keine guten Ratschläge hinterlassen. Denn jede Generation müsse ihren eigenen Weg gehen, so wie er das seit jungen Jahren getan habe.
Christoph Elhardt