Zum siebzehnten Mal hat das Bundesamt für Energie den Schweizer Energiepreis Watt d’Or verliehen. Zu den Gewinnern gehört die ETH Zürich. Sie erhält den Preis in Zusammenarbeit mit der AEW Energie AG in der Kategorie «Energietechnologien». Der Watt d’Or zeichnet seit 2007 wegweisende Projekte und Leistungen im Energiebereich aus.
Die Forschenden Lukas Ortmann und Saverio Bolognani aus der Gruppe von Florian Dörfler, Professor am ETH-Institut für Automatik, gewinnen den Watt d’Or, weil sie einen Algorithmus und eine zugehörige Software «Online Feedback Optimization» entwickelten, mit der sich ein Optimierungsproblem im Stromnetz lösen lässt. Am konkreten Beispiel des Stromnetzes der AEW Energie konnten sie den Algorithmus in einer realen Umgebung so implementieren, dass Photovoltaik-Anlagen nicht nur erneuerbaren Strom liefern, sondern gleichzeitig zur Blindleistungsoptimierung beitragen.
Optimierter, störungsfreier Netzbetrieb dank Echtzeitdaten
Die Zusammenarbeit der Forschenden mit der AEW Energie kam über den Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) Automation zustande. Laut Lukas Ortmann, der inzwischen als Professor für Regelungstechnik an der Ostschweizer Fachhochschule in Rapperswil tätig ist, testeten sie ihre Optimierungssoftware in einem Pilotprojekt an einer Solaranlage der AEW Energie. Mit den Echtzeit-Informationen der Software wird die sogenannte Blindleistung der Anlage optimal geregelt und somit versucht, mit dem Netz möglichst konforme Blindleistung auszutauschen, um zum Beispiel zu hohe Spannungen rasch zu senken.Blindleistung ist ein Stromfluss, der von den Konsument:innen nicht verbraucht wird und in einem Wechselstromnetz genutzt werden kann, um die Spannung zu regeln. Blindleistung im Stromnetz ist notwendig für einen sicheren Betrieb. Wechselrichter wandeln den Gleichstrom einer Anlage, zum Beispiel einer Photovoltaik-Anlage, in den Wechselstrom des Netzes um. Die Wechselrichter produzieren nun mit der Software der ETH spannungssenkende oder spannungsanhebende Blindleistung, mit der die im Netz vorhandene Blindleistung optimiert wird.
Die Innovation und der Vorteil des ETH-Algorithmus bestehen darin, dass er auf Echtzeitdaten aus dem AEW-Stromnetz beruht und die Blindleistung auf die vorherrschende Situation anpassen kann, um den Blindleistungsfluss lokal zu optimieren. Der Algorithmus lernt aus den Echtzeit-Messwerten von Spannung und Blindleistung, wie man das Netz in den optimalen Betriebszustand steuert.
Nachdem die Forschenden bereits im Labor gezeigt hatten, dass das Regelungskonzept theoretisch und in Simulationen funktioniert, wiesen sie zusammen mit der AEW Energie nach, dass der Algorithmus auch unter realen Bedingungen robust läuft: In der Testphase bei der AEW regelte er das Stromnetz störungsfrei. Nun ist der Algorithmus im Dauerbetrieb.
Stabile Stromversorgung mit erneuerbaren Energien
Die Ergebnisse des Pilotprojekts an der AEW-Solaranlage sind somit vielversprechend: «Im Prinzip haben wir am Beispiel einer einzelnen, bestehenden AEW-Solaranlage gezeigt, dass unsere Optimierungssoftware einen Beitrag zur Netzstabilität in der Schweiz leisten kann», sagt Lukas Ortmann.Der Algorithmus und die Software lassen sich nämlich nicht nur auf Solaranlagen anwenden, sondern sie eignen sich für alle Anlagen, die mit einem Wechselrichter Blindleistung erzeugen. Wechselrichter kommen nicht nur an Photovoltaik-Anlagen vor, sondern auch an modernen Wasserkraftwerken, Windkraftanlagen, Ladestationen für E-Autos oder Wärmepumpen.
Würde die Optimierungssoftware bei allen Anlagen eingesetzt, liesse sich die Netzkapazität, also die Strommenge, die durchs Netz geliefert werden kann, um rund zehn Prozent erhöhen, ohne dass die AEW als Netzbetreiberin zusätzliche Infrastruktur bauen müsste. Die Zunahme der Photovoltaik-Anlagen in den nächsten Jahren wird für die Schweizer Netzbetreiber:innen eine Herausforderung. Um die wachsende Strommenge im Netz zu transportieren, müsste es mit hohen Kosten ausgebaut werden. Mit dem Optimierungsalgorithmus und der Software lassen sich somit kurzbis mittelfristig auch Investitionskosten reduzieren - zugleich tragen sie zur Netzstabilität und damit zur Stromversorgungssicherheit bei, wenn in den nächsten Jahren die Solarenergie ausgebaut wird.
Das ist für die Schweiz entscheidend, da das Stromnetz eine für die landesweite Energieversorgung kritische Infrastruktur ist und hohe Aufmerksamkeit erfordert - zum Beispiel ist sie für Krankenhäuser oder Rechenzentren eminent wichtig. Entsprechend legten die Forschenden und die AEW auch ihr Augenmerk darauf, dass die Optimierungssoftware garantiert sicher und störungsfrei funktioniert.
Aus theoretischer Forschung wurde praktischer Nutzen
Weiter hat sich im Pilotprojekt gezeigt, dass die Software für regionale Stromversorger, die ein Verteilnetz im Niederspannungsbereich betreiben, technische, betriebliche und finanzielle Vorteile hat. Zum einen können sie - ohne teuren Ausbau ihrer Infrastruktur - ihren Netzbetrieb optimieren und damit gewährleisten, dass der Strom sicher in den Steckdosen der Haushalte ankommt. Die Optimierung des Blindleistungsflusses hat ebenfalls Auswirkungen auf die lokalen Spannungsverhältnisse und nicht zuletzt kann sich eine kostengünstigere Netzsteuerung auch positiv auf die Netznutzungstarife der Kund:innen auswirken.Der Schlüssel zum Erfolg war, dass die Forschenden mit der AEW Energie eine Partnerin fanden, die bereit war, den Algorithmus auszuprobieren. Dazu sagt Lukas Ortmann: «Die AEW Energie hat erkannt, dass die Energiewende andere Ansätze und Lösungen erfordert, und sie hatte den Mut, etwas Neues auszuprobieren.»
Alessandro Scozzafava, Teamleiter Netzentwicklung und Instandhaltungsplanung bei der AEW, sagt über das Projekt: «Die Zusammenarbeit mit der ETH Zürich hat uns ermöglicht, unserem Ziel einer noch nachhaltigeren und effizienteren Energieversorgung einen Schritt näher zu kommen. Durch die gemeinsame Arbeit am Pilotprojekt zur Blindleistungsregelung konnten wir eine innovative Technologie und Lösung in einer realen Umgebung testen, die uns helfen wird, Energie effizienter zu nutzen und gleichzeitig die Umweltbelastung zu reduzieren.»