Die Studie einer Forscherin der Universität Bern liefert aussergewöhnliche Einblicke in die Netzwerke von islamistischen Mittäterinnen und Mittätern in den USA. Diese sind geprägt von gemeinsamen soziokulturellen Merkmalen, räumlicher Nähe und ideologischer Zugehörigkeit. Die Ergebnisse könnten insbesondere zur Bekämpfung von Terrornetzwerken auf lokaler Ebene beitragen.
Anina Schwarzenbach vom Institut für Strafrecht und Kriminologie (ISK) der Universität Bern hat einen neuen Datensatz von 494 islamistischen Straftätigen, die sich von 1993 bis 2020 in den USA radikalisiert haben, untersucht. Schwarzenbach ist Postdoktorandin am ISK und wendet ihren Hintergrund in Soziologie, Kriminologie und computergestützten Sozialwissenschaften an, um soziale Ungleichheiten, soziale Kohäsion und Resilienz zu untersuchen.
In Zusammenarbeit mit Michael Jensen (University of Maryland) entstand so eine neue Studie, die Daten aus fast drei Jahrzehnten umfasst und einen Blick in die Struktur des islamistischen Netzwerks in den USA gibt. Dabei analysierten die beiden Forschenden das hochgradig gewalttätige soziale Netzwerk und stellten fest: Gegenseitige Kontakte, gemeinsame soziokulturelle Merkmale, räumliche Nahe und ideologische Zugehörigkeit beeinflussen die Bildung von Beziehungen zwischen islamistischen Extremisten und Extremistinnen erheblich. Die wissenschaftliche Online- Fachzeitschrift PLOS One hat die Studie kürzlich publiziert.
Wie wichtig sind lokale Netzwerke für die Mittäterschaft?
Die Studie zeigt die Bedeutung lokaler Netzwerkstrukturen und vertrauensvoller Beziehungen für die Terrorismusprävention und -bekämpfung. Zur wirksamen Intervention in Terrornetzwerken müsste die digitale Terrorismusbekämpfung durch traditionelle Polizeiarbeit auf lokaler Ebene ergänzt werden, zeigen sich die Forschenden uberzeugt. ’Um Terrorismus wirksam zu bekämpfen, müssen wir die Mechanismen, die Mittäterschaft in terroristische Netzwerke bedingen, verstehen und angehen’, sagt Erstautorin Anina Schwarzenbach. In ihrer Studie legen die Forschenden eine weit gefasste Definition des Begriffs ’Mittäterschaft’ zugrunde, die sowohl Personen umfasst, die gemeinsam Straftaten begangen haben, als auch solche, die miteinander kommunizierten, aber getrennte Straftaten begingen.
Zwei wichtige Mechanismen erkannt
Im Mittelpunkt der Untersuchung von Schwarzenbach und Jensen stehen dabei zwei Schlüsselmechanismen. ’Erstens schafft der Mechanismus der sozialen Homophilie - die Neigung von Individuen, Beziehungen zu anderen zu knüpfen, die ahnliche Merkmale aufweisen - kollaborative Bindungen unter extremistischen Personen. Islamistinnen und Islamisten, die denselben soziokulturellen Hintergrund haben, der gleichen Terrorgruppe angehören und geografisch nahe beieinander wohnen, gehen mit grösserer Wahrscheinlichkeit eine Mittäterschaft ein’, so Schwarzenbach. Zweitens, so erklärt Schwarzenbach weiter, finden extremistische Personen durch den Mechanismus der Transitivität - der auf gegenseitigen Kontakten beruht - neue Kollaborierende, mit denen sie terroristische Straftaten planen und ausführen. Durch diese informelle Uberprüfungsprozesse bauen Extremistinnen und Extremisten vertrauensvolle Beziehungen auf, die ihnen dabei helfen, die Widerstandsfähigkeit ihrer Netzwerke zu stärken. Beide Mechanismen tragen gemäss den Forschenden im erheblichen Masse zur Struktur des Netzwerks bei und beeinflussen die Bildung von Mittäterschaft innerhalb des Netzwerks.
Andere Ergebnisse der Studie deuten auf eine stark gebündelte Struktur des islamistischen Extremistennetzwerks in den USA hin. Ahnlich wie bei anderen gewalttätigen sozialen Netzwerken, findet die gemeinsame Begehung von Straftaten in kleinen, aber eng miteinander verknüpften Gemeinschaften statt. Daraus folgt eine dezentralisierte und widerstandsfähige Organisationsstruktur, welche gruppeninterne Koordinierung erleichtert und die Netzwerke gleichzeitig resilienter gegenüber Störungen von aussen gestalten. ’Wir müssen individuelle als auch strukturelle Merkmale berücksichtigen, denn beide erklären die Bildung von Mittäterschaften im islamistischen Extremistennetzwerk’, sagt Schwarzenbach.
Wegweisende Erkenntnisse für die Gewaltprävention
Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung lokaler Verbindungen und persönlicher Interaktionen bei der Mobilisierung extremistischer Aktivitäten. Mittäterschaft setze in der Regel ein hohes Mass an Vertrauen voraus. Die Ergebnisse legen nahe, dass extremistische Personen durch gegenseitige Kontakte, ahnliche Wertevorstellungen und soziokultureller Erfahrungen solche Beziehungen eingehen.
Durch die Erforschung der Mechanismen, die Mittäterschaft in islamistischen Netzwerken in den USA bedingen, bietet die Untersuchung Erkenntnisse für die Entwicklung von Interventionsstrategien und Gewaltpräventionsinitiativen, die auf diese Art von Netzwerken abzielen. ’Die Terrorismusbekämpfung braucht einen vielschichtigen und lokalisierten Ansatz, der Bemühungen im digitalen Bereich mit traditioneller polizeilicher Arbeit auf lokaler Ebene kombiniert’, so Anina Schwarzenbach. Wichtig hierbei sei auch darauf hinzuweisen, dass die Strafverfolgungsbehörden bei der Untersuchung der Dynamik lokaler Netzwerke sehr darauf achten müssten, Mitglieder von Glaubensoder Diasporagruppen nicht zu stigmatisieren. ’Islamistischer Extremismus ist in den Vereinigten Staaten ein seltenes Phänomen, und die Beteiligung von Einzelpersonen an islamistisch motivierten Straftaten kann und sollte keinesfalls auf ganze Bevölkerungsgruppen oder Glaubensgemeinschaften verallgemeinert werden’, betont Schwarzenbach abschliessend.