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Die Malerei gilt als Inbegriff der Kunst. Wandteppiche und andere textile Kunstwerke werden dagegen als zweitrangig wahrgenommen und wenig erforscht. Der Kunsthistoriker Tristan Weddigen will das ändern. Roger Nickl Es war Liebe auf den ersten Blick. Als Tristan Weddigen vor Jahren in Rom die prachtvollen zehn Wandteppiche sah, die der berühmte Renaissance- maler Raffael für die Sixtinische Kapelle schuf, war er fasziniert. Dem Studenten der Kunstgeschichte wurde damals klar, dass er sich fortan intensiv mit Tapisserien und textiler Kunst auseinandersetzen wollte. Er beschloss, seine Magisterarbeit und später die Dissertation über dieses Medium zu schreiben. Beide Male wurde ihm aber davon abgeraten. «Sie ruinieren sich damit die Karriere», hiess es, «Tapisserie ist Kunsthandwerk» – und des Kunsthistorikers unwürdig, müsste man ergänzen. So wendete sich Weddigen anderen Themen zu und verfasste auch seine Habilitationsschrift – fernab von seinem Leibthema – zur Sammlungs-geschichte der Dresdner Gemäldegalerie im 18. und 19. Jahrhundert. «Danach wollte ich aber nur noch selber entscheiden, über welche Themen ich arbeite, und mehr Risiken eingehen», sagt der 39-jährige Weddigen, der seit diesem März eine ordentliche Professur an der Universität Zürich innehat. In einem gross angelegten Forschungsprojekt hat er sich nun das Ziel gesetzt, eine die Jahrhunderte überblickende Theorie der textilen Kunst zu erarbeiten. Die Grundlage dafür bietet ihm der mit 700 000 Euro dotierte ERC Starting Grant, den ihm der Europäische Forschungsrat vor kurzem zugesprochen hat. Weben, Wirken, Sticken Das Wirken von Textilien ist eine der ältesten Kulturtechniken der Menschheit. Entsprechend stammen die ersten textilen Kunstwerke aus der Antike. Aber auch in der zeitgenössischen Kunst ist das Arbeiten mit Stoffen und Texturen en vogue. «Das Textile liegt momentan im Trend», sagt Weddigen und verweist auf die letzte «documenta» Kassel 2007, wo das Medium allgegenwärtig war und sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung spann. Ein Beispiel für den textilkünstlerischen Boom ist auch die etwas ältere Arbeit «Spider» von Louise Bourgeois aus dem Jahr 1997. Die Rauminstallation besteht aus einem teilweise mit Tapisseriefragmenten ausgekleideten Maschendraht-Kokon, der von einer überdimensioniert grossen Spinne gesponnen und gleichzeitig bedrohlich umfangen wird. In dieser Arbeit reflektiert die Künstlerin – deren Eltern selbst Tapisserie-Restauratoren waren – nicht nur ihre eigene Biografie, sondern sie stellt auch einen Bezug zur mythischen Weberin Arachne her, einer der Urahninnen der textilen Kunst. Reflexive Kunst Dass sich Bourgeois als Künstlerin gerade mit dieser mythischen Figur auseinandersetzt, ist kein Zufall: Denn seit den mythischen Ursprüngen gilt das Weben, Sticken und Wirken als Frauensache. «Die Auseinandersetzung mit Textilien ist deshalb vor allem bei Künstlerinnen ein beliebter Gegenstand, um über das Verhältnis von Kunstproduktion und Geschlecht zu reflektieren», sagt Tristan Weddigen. Wie sich Geschlechtervorstellungen in textilen Kunstwerken spiegeln, ist denn auch eine der Fragen, mit denen sich der Kunsthistoriker und sein fünfköpfiges Team beschäftigen. Zudem ist der Forscher davon überzeugt, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Textilkunst das Auge für den Blick zurück in die Vergangenheit schärft. «Die aktuelle Kunst ist hoch reflexiv», sagt Weddigen, «sie gibt uns neue Ideen für die Betrachtung der älteren Kunstgeschichte.» Im Schatten der Künstlergenies Als Blütezeit der textilen Kunst gelten das Mittelalter und die Frühe Neuzeit. In keinem Haus, das etwas auf sich hielt, und in keinem repräsentativen öffentlichen Raum durften damals edle Wandteppiche und seidene Wandbehänge fehlen. Die Fresken, die die Kunsthistoriker heute so bewundern, galten dagegen als billiger Ersatz für die teure und aufwändig gemachte Tapisserie. Trotz dieser Beliebtheit gibt es seit der Renaissance keine Theorie, die sich mit dem textilen Kunstschaffen auseinandersetzt. Im Gegenteil: Im 16. Jahrhundert wurde ein Kunstbegriff etabliert, der zur nachhaltigen Geringschätzung der Textilkunst führte. «Das Bild des Künstlers wurde von damaligen Kunstschriftstellern intellektualisiert», sagt Tristan Weddigen, «der Geist von der Hand geschieden.» Ins Zentrum gerückt wurde die künstlerische Erfindungsgabe und Einbildungskraft. Die Malerei wurde zum Leitmedium der Kunst erklärt. Alles Handwerkliche wird seither dagegen als zweitrangig eingestuft. Geschätzt werden allenfalls die von berühmten Künstlern in Originalgrösse gemalten Kartonvorlagen für die Tapisserien, nicht aber die Wandteppiche selbst, die anonyme Wirker in den Werkstätten schufen. Gegen Vorurteile anforschen Die Vorstellung des malenden und gestaltenden Künstlergenies hat sich bis heute hartnäckig in den Köpfen vieler Kunsthistoriker gehalten. Entsprechend zäh sind auch die Vorurteile gegenüber der als minderwertig betrachteten Textilkunst. Gegen diese Wahrnehmung will Tristan Weddigen mit seinem Projekt nun anforschen: «Wir versuchen die textile Kunst zu nobilitieren und ihr mit Blick auf Geschichte und Gegenwart eine Identität, einen eigenen Diskurs zu geben», betont er. Der Kunsthistoriker hofft, dass das Thema dadurch auch in der akademischen Forschung eine neue Wertschätzung erfährt und nicht nur – wie bisher – in Museen und Sammlungen untersucht wird. Um die wissenschaftliche Diskussion an den Hochschulen anzuschieben, hat er nun auch eine neue Buchreihe, die «Textile Studies», ins Leben gerufen, und er hat sein Projekt an den Nationalen Forschungsschwerpunkt «Mediality» angedockt. Roger Nickl ist Redaktor des unimagazins. |
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Kunstgeschichte Verschmähte Pracht
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