Abwasser gelangt hierzulande in der Regel über die kilometerlangen, unterirdischen Rohre unserer Kanalisation zu zentralen Kläranlagen. Doch dieses System kämpft gelegentlich mit Problemen wie leckenden Rohren oder Kanalüberläufen bei Starkniederschlägen. Auch die Kosten für die Instandhaltung sind hoch. Deshalb stellt sich die Frage, ob sich Investitionen in das heutige Netzwerk nach wie vor lohnen oder ob gegebenenfalls andere Lösungen wirtschaftlicher wären - zum Beispiel das Abwasser direkt vor Ort zu klären.
Grosses Potential für dezentrale Anlagen
Solche dezentralen Abwasserreinigungsanlagen sind in der Schweiz noch rar: Gerade einmal drei Prozent der Bevölkerung nutzt dieses System. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Eawag um den Geographen Sven Eggimann - der inzwischen an der Universität Oxford forscht - haben nun versucht herauszufinden, wo sich welche Art der Abwasserklärung lohnen würde. Damit konnten sie den potentiellen Markt für dezentrale Installationen abschätzen.
Das Forscherteam benutzte ein Computermodell, das für jeden Schweizer Haushalt die jeweils kostengünstigste Abwasserinfrastruktur berechnet hat. Als Grundlage dienten etwa Instandhaltungskosten der Kanalisation, Überwachungssowie Transportkosten. Das Resultat: Dezentrale Abwasseranlagen würden sich bei rund 10 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer lohnen. «Besonders in ländlichen Regionen ist das Potential hoch», sagt Ulrike Feldmann, Umweltsozialwissenschaftlerin und Mitautorin der Studie. Dort lohne sich eine dezentrale Abwasserreinigungsanlage bei gut 30 Prozent der Einwohner. Diese Ergebnisse publizierten die Forschenden kürzlich im Fachmagazin «Land Use Policy».
Industrielle Herstellung möglich
Welche Abwasserreinigungsmethode die kostengünstigere ist, hängt unter anderem mit der Bevölkerungsdichte einer Region zusammen. Diese Erkenntnis machten sich die Forschenden zu Nutze, um das Marktpotential dezentraler Anlagen für ganz Europa abzuschätzen. Sie kamen zum Schluss, dass auf dem europäischen Markt jährlich rund 100’000 Anlagen verkauft werden könnten - eine Stückzahl, die eine industrielle Herstellung erlauben würde.
«Natürlich sind unsere Ergebnisse keine Vorhersage, wie viele dezentrale Anlagen bald gebaut werden», betont Ulrike Feldmann. Denn das Modell basiere auf stark vereinfachten Annahmen. Trotzdem: Es erlaubt, die Grössenordnung des potentiellen Markts für dezentrale Anlagen abzuschätzen. «Und diese Zahlen zeigen, dass es sich langfristig lohnt, in die Erforschung und Förderung von innovativen, dezentralen Systemen zu investieren», sagt Feldmann.
Eggimann, S.; Truffer, B.; Feldmann, U.; Maurer, M. (2018) Screening European market potentials for small modular wastewater treatment systems - an inroad to sustainability transitions in urban water management’, Land Use Policy , 78, 711-725 , doi: 10.1016/j.landusepol.2018.07.031 , Institutional Repository