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Das moderne Finanzwesen hat sich von religiösen und moralischen Grundsätzen gelöst. Nicht so das «Islamic Banking». Die Scharia verbietet viele Finanzgeschäfte, die der Wirtschaft in der aktuellen Finanzkrise zum Verhängnis wurden. Das erweist sich jetzt als Vorteil: Die Verbote führen zu einem effektiven Risikomanagement. Marc Chesney und Christoph Weber-Berg Die islamische Rechtstradition der Scharia umfasst nicht nur eine Fülle von Geboten und Verboten für individuelles Verhalten, sie enthält auch Weisungen, die sich in den Augen muslimischer Gelehrter zu einer islamischen politischen Ökonomie zusammenfügen lassen. Im Kontext der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise (siehe den Artikel des Ethnologen Stefan Leins ) rücken besonders die Prinzipien der islamischen Finanzwirtschaft in den Blick, die nicht nur vor individuellen Verlusten schützen, sondern auch zur Stabilität des Finanzsystems beitragen könnten. Grosse Risiken verbotenVor individuellen Verlusten schützte in der Finanzkrise zum Beispiel das Verbot, in konventionelle Bankaktien zu investieren, weil Banken einen grossen Teil ihrer Einkünfte mit dem verbotenen Zinsgeschäft (Riba) erzielen. Die Scharia sieht aber nicht nur ein Zinsverbot vor. Sie verbietet auch Geschäfte, die mit grossen Risiken und Unsicherheiten verbunden sind (Gharar). Ebenso wenig erlaubt sind Glücksspiele sowie Absicherungs- und Derivatgeschäfte, die den Charakter einer Wette auf Marktentwicklungen haben (Maisir/Qimar). Auch verbriefte Schuldpapiere fallen unter das Verbot. Sie waren für islamische Investoren auch dann keine Option, als sich damit trefflich Geld verdienen liess. Finanzgeschäfte, die auf fallende Immobilienmärkte und fallende Preise für verbriefte Schuldpapiere wetten, tragen in der Perspektive der Scharia Glücksspielcharakter und sind untersagt. Die meisten Arten von Finanzgeschäften, welche das globale Finanzsystems beinah zum Kollaps gebracht hätten, dürfen nach den Regeln der Scharia gar nicht vorgenommen werden. Im konventionellen Finanzwesen hätte dies in «guten Zeiten» den Verzicht auf mögliche Gewinne bedeutet. Es hätte sich dadurch ausbezahlt, dass die Krise verhindert worden wäre oder zumindest geringere Ausmasse angenommen hätte. «Der Ertrag des Geldes ist der Seele Tod»Religiös und moralisch begründete Verbote des Islam haben im Ergebnis zu einem Risikomanagement geführt, das sich als effektiver erwiesen hat als die Risikomodelle grosser Finanzhäuser. Welche Lehren sind daraus zu ziehen? Zinsverbot und Verurteilung von Spekulation haben auch in der europäischen Geschichte eine lange Tradition. Aristoteles bezeichnete Zins als «nicht naturgemäss». «Der Ertrag des Geldes ist der Seele Tod», meinte im 5. Jahrhundert Papst Leo der Grosse, und Reformator Huldrych Zwingli bezeichnete in seinen Schriften zinspflichtige Darlehen als «gottwidrig». Weder der Prophet Mohammed, Aristoteles, die Kirchenväter noch Zwingli hatten Kenntnis von modernen Finanzmarkttheorien. Ihre moralische und religiöse Intuition sagte ihnen jedoch, dass da, wo sich Verdienstmöglichkeiten von der realwirtschaftlichen Übernahme von Risiken abkoppeln, die Spekulation schädlich wird. Diese Intuition ist weitgehend verloren gegangen – mit dem Effekt, dass wir uns heute über die Kollateralschäden «giftiger Finanzprodukte» wundern. Unmoralische GiftprodukteInteressant ist die Feststellung, dass viele dieser Produkte nicht nur wirtschaftlich, sondern auch moralisch gesehen «giftig» sind. So zum Beispiel die «Collaterized Debt Obligations» (CDO), die grossteils aus zweifelhaften Schulden bestehen. Statt vor der Gewährung eines Darlehens eine Risikoanalyse durchzuführen, haben die auf dem Subprime-Markt tätigen Banken sogar versucht, die insolventesten Kunden anzulocken, um dann deren Schulden zu verkaufen und das Bankrottrisiko auf andere abzuschieben. Wirtschaftlich gesehen entstand ein Systemrisiko, das in eine umfassende Finanzkrise mündete. Es stellt eine wissentlich begangene, unmoralische Handlung dar, wenn erstens Personen, bei denen ein hohes Risiko der Zahlungsunfähigkeit besteht, zur Kreditaufnahme bewegt werden, und zweitens diese zweifelhaften Forderungen an Kunden verkauft werden, die entweder naiv sind oder selbst versuchen, die Forderungen gegen Provision weiterzuverkaufen. Des Weiteren geht es um die «Credit Default Swaps» (CDS), die ursprünglich als Instrument zur Deckung des Ausfallrisikos dargestellt und zu Wetten auf den Bankrott von Firmen wurden. Wenn in einer Firma das Risiko eines Bankrotts zunimmt, ist es legitim, dass von Banken Finanzinstrumente eingesetzt werden, die eine Absicherung gegen dieses Risiko bieten. Wenn jedoch das Konkursrisiko wissentlich erhöht wird, dann verwandeln sich Instrumente zur Risikoabdeckung in Wetten auf den Konkurs. Genau dies geschah im Rahmen der Krise. Die CDS, die im Umlauf sind, sollen gemäss Schätzungen etwa 60’000 Milliarden Dollar versichern: das Zwölffache dessen, was versichert sein sollte, nämlich die effektiv ausstehenden Anleihen. Dass eine Bank Anreize hat, auf den Bankrott anderer Unternehmen, welche eventuell ihre Kunden sind, zu setzen, impliziert nicht nur wirtschaftliche, sondern auch schwerwiegende moralische Probleme. Mythos der Effizienz von MärktenDie vorherrschende Finanztheorie bewertet ein Risiko als homogenes Ganzes. Spekulation wird generell positiv gesehen, da sie den Märkten Liquidität, mehr Effizienz und Transparenz verleiht und zur allgemeinen Steigerung des Wohlstandes beitragen soll. Die Theorie unterscheidet nicht zwischen dem Risiko, das mit den Schwankungen von Angebot und Nachfrage einhergeht, und demjenigen, das durch übermässige Spekulation hervorgerufen wird. Eine solche Unterscheidung wäre jedoch nützlich: Die aktuelle Finanzkrise zeigt, dass Spekulation und das damit verbundene erhöhte Risiko oft nicht zu Effizienz, Transparenz und Wohlstand führen, sondern genau das Gegenteil bewirken können: Konfusion, Intransparenz und Wertvernichtung. Moral in die Finanztheorie übersetzenEs ist illusorisch, zu glauben, dass Wetten auf Bankrotte von Firmen, auf die Naivität der CDO-Käufer oder auf die Pflicht des Staates, systemrelevante Unternehmen vor dem Untergang zu retten, insgesamt positive Effekte haben könnten. In unserer modernen, westlichen Welt hat sich das Finanzwesen von religiösen und moralischen Grundsätzen gelöst. Der die Intuition steuernde moralische Kompass scheint zugunsten des Mythos der Effizienz von Märkten geopfert worden zu sein. Es soll nun weder Scharia-konformes Investment zur verbindlichen Norm erklärt, noch das Rad der Geschichte zurückgedreht werden. Eine Auseinandersetzung mit der Frage nach guten und schlechten Risiken, nach nützlicher und schädlicher Spekulation, tut allerdings Not. Religiös und moralisch motivierte Intuitionen sind in neuen Perspektiven zu reflektieren und in die Finanztheorie zu übersetzen. Die Vorteile davon sind nicht nur moralischer, sondern durchaus auch wirtschaftlicher Natur. Marc Chesney ist Professor für Finanzwirtschaft und Vizepräsident des Instituts für Schweizerisches Bankwesen (ISB) an der Universität Zürich. Christoph Weber-Berg ist promovierter Theologe und Leiter des Center for Corporate Social Responsibility an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ). HinweisDer ungekürzte Text erschien in der Ausgabe 2/2009 von «facultativ», der Zeitschrift der Theologischen Fakultät der UZH. Mit der Praxis und Entwicklung des «Islamic Banking» beschäftigt sich der Artikel des Ethnologen Stefan Leins. Zeitschrift «facultativ» «Muhammad als formidabler Risikomanager», UZH News, 8.1.2010LinksProfessor Marc Chesney Center for Corporate Social Responsibility (HWZ)TagsForschung | Wirtschaftswissenschaften und Informatik | Theologie und Religionswissenschaften Kommentar schreibenArtikel kommentieren |
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Banken ohne moralischen Kompass
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