Lokal produzieren oder importieren? Das ist auch für simple Lebensformen keine ganz einfache Entscheidung. Die Kraftwerke der Zellen, die sogenannten Mitochondrien, betreiben eigene kleine Proteinfabriken, obwohl sie eigentlich alle Proteine von der Zelle geliefert bekommen könnten. Eine besondere Spezies von Einzellern lässt sich für die Produktion sogar die Transfer-RNA liefern. Berner Forscher haben nun im Detail untersucht, wie dieser ungewöhnliche Molekülimport vonstatten geht.
Trypanosomen, kleine Einzeller, sind für Forschende aus zweierlei Gründen interessant. Einmal weil einige Vertreter der Spezies die Schlafkrankheit auslösen, für die nach wie vor keine zufriedenstellende Therapie bekannt ist. Fast noch interessanter macht die kleinen Lebewesen aber, dass sie einige molekularbiologische Besonderheiten aufweisen, die ebenso rätselhaft wie aufschlussreich sein können - auch für die menschliche Biologie. Denn versteht man, inwiefern die Zellmaschinerie in manchen Organismen ganz anders funktioniert, ergeben sich daraus manchmal überraschende Einblicke in das Funktionieren unserer eigenen Zellen.
Das Rätsel, das die Forschungsgruppe von André Schneider am Departement für Chemie und Biochemie der Universität Bern besonders interessiert, hat mit den Mitochondrien zu tun, den Kraftwerken der Zelle. Man geht davon aus, das diese Organellen zu Urzeiten der Evolution eigenständige Mikroben waren und irgendwann von anderen Zellen 'gekidnappt' wurden. Jedenfalls verfügen sie noch über eigenes Erbmaterial und auch über die Maschinerie, um dieses auszulesen - sie können selber Proteine herstellen. Mitochondrien hätten insofern eine gewisse Autonomie, was ihre Funktion angeht, doch nutzen sie diese kaum: Beim Menschen kontrollieren mitochondriale Gene die Synthese von nur gerade mal 13 Proteinen, während rund 1500 weitere Proteine vom normalen Zellapparat hergestellt und dann ins Mitochondrium importiert werden. Warum also der Aufwand, eine eigene - und ziemlich komplexe - Proteinfabrik zu betreiben, wenn man die Proteine doch einfach von aussen beziehen kann? Was schon die Humanbiologen rätseln lässt, ist im Fall der Trypanosomen noch eigenartiger. Nach Lehrmeinung funktioniert der Import nämlich nur für fertige Proteine: die tRNAs, die für die Herstellung mitochondrialer Proteine notwendig sind, muss das Mitochondrium demnach selber fertigen. Doch dafür fehlen in den Trypanosomen-Mitochondrien sämtliche Gene - offensichtlich muss die Fabrik hier also auch laufend mit diesen Bestandteilen versorgt werden.
Gängige Theorie widerlegt
Diese Beobachtung faszinierte die Berner Gruppe und weitere Forschende von den Universitäten Freiburg und Bremen. Sie wollten herausfinden, auf welche Weise diese tRNA in die Mitochondrien gelangt. «Im Lehrbuch steht, dass die molekularbiologischen Prozesse des Mitochondriums im wesentlichen bei allen Eukaryonten gleich ablaufen - doch in diesem Fall gibt es offensichtliche Unterschiede», sagt André Schneider. Das sei auch aus evolutionsbiologischer Sicht spannend, denn verstehe man diese feinen Unterschiede, dann lasse sich auch die Entwicklung des Lebens detailliert nachzeichnen. Nun legt die Gruppe in einem eben im Journal PNAS erschienenen Artikel dar, dass der Proteintransport-Kanal in der Membran des Mitochondriums auch zum Import der tRNA genutzt wird. Ähnliches war schon vermutet worden, doch war die gängige Hypothese eine Art «blinder Passagier»-Mechanismus - die tRNA wäre huckepack mit einem Protein ins Mitochondrium geschmuggelt worden. Diesen Mechanismus konnten die Forscher mit diversen Experimenten ausschliessen: Offenbar ist der tRNA-Import unabhängig von Proteinen, die selber importiert werden. Wie der Importkanal diese zusätzliche Aufgabe genau erfüllt, soll in weiteren Experimenten geklärt werden.
Die Erkenntnis zeigt womöglich neue Wege für die Pharmaforschung auf. Denn die prinzipielle Schwierigkeit bei der Therapie der Schlafkrankheit besteht darin, dass Trypanosomen nicht zu den Bakterien, sondern, wie wir Menschen, zu den Eukaryonten gehören. Deshalb sind sie in ihren grundlegenden biochemischen Funktionen dem Menschen sehr viel ähnlicher als Bakterien. Das macht es entsprechend schwer, Substanzen zu finden, die den Parasiten schädigen, ohne beim Menschen schwere Nebenwirkungen auszulösen. Die Blockade der neu entdeckten Importfunktion könnte hier ein interessanter Ansatzpunkt sein. Umgekehrt könnte sich André Schneider auch vorstellen, dass die Funktion auch beim Menschen dereinst mit experimentellen Tricks «freigeschaltet» werden könnte. Dies würde es erlauben bei mitochondrialen Krankheiten die gentherapeutischen Werkzeuge (häufig handelt es sich dabei um RNA) in die Mitochondrien hinein zuschleusen. Das ist mit den heute zur Verfügung stehenden gentherapeutischen Methoden noch nicht möglich.
«RNA & Disease - Die Rolle von RNS in Krankheitsmechanismen»
Der Nationale Forschungsschwerpunkt «RNA & Disease - Die Rolle von RNS in Krankheitsmechanismen» widmet sich der Untersuchung der RNS (Ribonukleinsäure), die zentraler Drehpunkt vieler Lebensvorgänge ist und weit vielfältiger als ursprünglich angenommen. Sie definiert beispielsweise, wann und in welchen Zellen welche Gene aktiv oder inaktiv sind. Läuft bei dieser genetischen Regulation nicht alles rund, entstehen Krankheiten - etwa Herzerkrankungen, Krebs, Hirnund Stoffwechselkrankheiten. Der NFS vereint Schweizer Forschungsgruppen, die sich mit verschiedenen Aspekten der RNS-Biologie in unterschiedlichen Organismen befassen. Heiminstitutionen sind die Universität Bern und die ETH Zürich.