Kriminalität in der Schweiz sinkt, während die Sorge davor steigt

Die Kriminalität in der Schweiz geht zurück: Im Vergleich zu 2012 - dem Jahr mit der bisher höchsten Rate - ging die Anzahl an Opfern von Straftaten um 100’000 zurück. Trotzdem ist nur jeder siebte Erwachsene in der Schweiz der Meinung, dass die Kriminalität zurückgegangen sei, wie eine neue Studie der ZHAW zeigt.

In einer von der ZHAW durchgeführten Befragung berichteten 2,1 Prozent der erwachsenen Männer und Frauen, in den zurückliegenden zwölf Monaten körperlich verletzt worden zu sein. Nur 0,4 Prozent berichteten, dass sie beraubt wurden und 0,2 Prozent berichteten von einer Vergewaltigung. «Dies zeigt, dass wenige Menschen in der Schweiz effektiv Opfer einer schweren Gewalthandlung wurden», sagt ZHAW-Forscher und Studienleiter Dirk Baier. Delikte, die weniger schwerwiegende Opfererfahrungen mit sich bringen, kommen häufiger vor: So bestätigen 10,4 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer, eine Sachbeschädigung erlebt zu haben und 6 Prozent einen Diebstahl von Gegenständen oder Geld. Am häufigsten berichteten die befragten Personen von Erfahrungen mit Cyberkriminalität (11,5 Prozent), dabei wurden vor allem Datenverlust durch Viren oder Datenmissbrauch genannt. Gesamthaft gesehen geht damit die Anzahl von Straftaten in den letzten Jahren zurück. Dieser Umstand steht in einem Missverhältnis zum Empfinden der Befragten: Über die Hälfte ist der Meinung, dass die Straftaten in der Schweiz zugenommen haben.

Für die ZHAW-Studie wurde im Frühling 2018 schweizweit über 10’000 zufällig ausgewählten erwachsenen Frauen und Männern per Post ein Fragebogen zugestellt. Ziel, des vom ZHAW-Institut für Delinquenz und Kriminalprävention erarbeiteten Dokuments, war einerseits herauszufinden, wie häufig die Befragten tatsächlich Opfer von Kriminalität geworden sind. «Andererseits lag für uns ein Schwerpunkt darin, zu ermitteln, wie die Schweizerinnen und Schweizer die Kriminalität und deren Entwicklung persönlich wahrnehmen», sagt Baier. Insgesamt 2’111 Personen beteiligten sich an der Befragung, was einer für derartige Studien durchschnittlichen Rücklaufquote von 20,1 Prozent entspricht.

Etwa die Hälfte der befragten Männer und Frauen machen sich grosse Sorgen in Bezug auf Kriminalität. Über die Hälfte der Befragten ist ausserdem der Meinung, dass die Straftaten in der Schweiz zugenommen haben. In Bezug auf einzelne Delikte, wie beispielsweise Cyberkriminalität, oder in Bezug auf Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel durch Ausländerinnen und Ausländer begangene Straftaten, sind die Einschätzungen teilweise noch negativer. Jeder fünfte Befragte befürchtet zudem, einmal Opfer eines Diebstahls oder eines Wohnungseinbruchs zu werden. Dies führt dazu, dass jeder sechste Befragte Pfefferspray oder andere Verteidigungsmittel mit sich führt. Ein Unsicherheitsgefühl besteht bei jedem dritten Befragten insbesondere dann, wenn er oder sie abends oder nachts öffentliche Verkehrsmittel benutzt. Bei jedem sechsten Befragte dann, wenn er oder sie abends oder nachts allein unterwegs ist. Diese Ängste machen sich in den Einstellungen der Befragten bemerkbar. «Mehr als zwei von drei der Befragten befürworten Forderungen nach härteren Strafen», sagt Baier.

Die Auswertungen der ZHAW-Forschenden zeigen, dass die Sorge vor Kriminalität kaum von eigenen Erfahrungen geprägt ist: Zwar gilt, dass das Erleben einer Straftat in den vorangegangenen zwölf Monaten die Sorgen verstärkt. Daneben gibt es aber bedeutende Einflussfaktoren aus zwei anderen Bereichen. Einerseits schlägt sich der Medienkonsum in den Wahrnehmungen und Einstellungen der Schweizerinnen und Schweizer nieder. Häufiger Konsum privater Fernsehsender verstärkt die Sorgen, der Konsum von überregionalen Tageszeitungen reduziert sie. Zweitens ist die politische Orientierung von hoher Bedeutung: «Je weiter rechts sich Befragte verorten, umso eher sind sie der Meinung, dass Kriminalität ein Problem ist und umso eher werden höhere Strafen gefordert», sagt Baier.



«Je weiter rechts sich Befragte verorten, umso eher sind sie der Meinung, dass Kriminalität ein Problem ist und umso eher werden höhere Strafen gefordert»



ZHAW-Forscher und Studienleiter Dirk Baier

Die ZHAW-Forschenden nutzten die Befragung auch, um den Wissensstand zu aktuellen kriminalitätsbezogenen Themen zu erweitern. Sie kamen zum Schluss, dass 4,3 Prozent der Befragten in den letzten zwölf Monaten gestalkt wurden - ein Verhalten, das bislang in der Schweiz nicht unter Strafe steht. Hinsichtlich der Folgen auf die Lebenszufriedenheit stehen solche Opfererfahrungen aber beispielsweise Körperverletzungen in nichts nach. Befragt wurden die Umfrageteilnehmenden auch zu Gewalt in der Partnerschaft, 13,7 Prozent gaben an, dass sie in den letzten zwölf Monaten psychische Gewalt durch den Lebenspartner erlebt haben. Dazu zählen etwa lächerlich machen oder demütigen. 2,9 Prozent erlebten in derselben Situation physische Gewalt - weibliche und männliche Befragte gaben dies etwa gleichhäufig an.

Von den erwerbstätigen Befragten berichtete jeweils jeder zehnte von Mobbing durch Kolleginnen und Kollegen oder durch Vorgesetzte, während 1,4 Prozent der Befragten physische Übergriffe rapportieren. Fast jeder dritte Befragte gibt an, dass Vereinbarungen am Arbeitsplatz nicht eingehalten worden seien, beispielsweise das Leisten von nicht vereinbarten Überstunden. Bei einigen Befragten wurde der Lohn verspätet oder gar nicht ausgezahlt. Daneben sind menschenfeindliche Vorurteile unter den Befragten sehr verbreitet: So bestätigten 51,9 Prozent der Befragten, dass zu viele Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz leben würden. 27,9 Prozent waren der Meinung, dass Musliminnen und Muslimen die Zuwanderung in die Schweiz untersagt werden sollte. Zudem vertraten 12 Prozent der Befragten homophobe Einstellungen.

Gefragt wurde auch danach, ob bestimmte Verhaltensweisen verboten oder erlaubt werden sollten. Acht von zehn Schweizerinnen und Schweizer sind der Meinung, dass erzwungener Geschlechtsverkehr in der Ehe, schnelles Autofahren, Betrug bei der Steuererklärung, Ladendiebstahl, Fahren unter Alkoholeinfluss und Schwarzfahren verbotene Verhaltensweisen darstellen. Schwangerschaftsabbruch und häufiger Alkoholkonsum gehören für die gleiche Anzahl Befragten zu Verhaltensweisen, die erlaubt sein sollten. Bei anderen Verhaltensweisen gehen die Meinungen stärker auseinander: 64,1 Prozent gaben an, dass der Konsum von Haschisch und 23,8 Prozent, dass der Konsum von Kokain ein legales Verhalten darstellt.