Proteine in Aktion erwischen

Der Injektor injiziert winzige Proteinkristalle in den Röntgenpulsstrahl. Er ben
Der Injektor injiziert winzige Proteinkristalle in den Röntgenpulsstrahl. Er benötigt pro Experiment nur wenige Milligramm der kostbaren Kristalle. (Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic)

Einige der schnellsten Prozesse in unserem Körper laufen in Proteinen ab, die durch Licht angeregt werden. So sorgt das Protein Rhodopsin dafür, dass unsere Augen ihre sich laufend verändernde Umgebung schnell erfassen können. Freie-Elektronen-Röntgenlaser wie der SwissFEL am Paul Scherrer Institut PSI erlauben nun zum ersten Mal, solche Prozesse in flagranti zu erwischen. Freie-Elektronen-Röntgenlaser erzeugen extrem kurze und intensive Pulse aus Röntgenlicht. Weltweit sind derzeit erst zwei solcher Anlagen in Betrieb. Ein internationales Team unter der Leitung des PSI hat nun erfolgreich gezeigt, wie man die ultraschnellen Prozesse, mit denen Proteine ihre Arbeit machen, mit Freie-Elektronen-Röntgenlasern erforschen kann. Als Modellorganismus nutzten sie eine einfache Mikrobe, welche Licht in chemische Energie umwandeln kann. Die Forschenden stellen ihre Ergebnisse heute im Wissenschaftsmagazin Nature vor.

Im Café an der Strasse sitzen und die vorbeiflanierenden Menschen beobachten. Den wenigsten von uns ist bewusst, dass in unserem Körper permanent komplexe Prozesse ablaufen, die aus unserer Sicht simple Wahrnehmungen wie Sehen überhaupt erst möglich machen. Dass uns Sehen trotzdem als eine unmittelbare, direkt zu uns gehörende Erfahrung erscheint, hat einen Grund: Die darin involvierten Prozesse laufen derart schnell ab, dass wir sie einfach nicht mitbekommen. Einen Augenschlag können wir gerade noch bemerken. Biologische Prozesse können aber bis zu einer Milliarde Mal schneller sein, insbesondere, wenn Licht darin involviert ist.
Methoden am einfachen Modell testen
Weltweit nutzen Forschende für die Untersuchung solcher ultraschneller Prozesse das Protein Bacteriorhodopsin. Es hat eine Schlüsselfunktion in bestimmten einfachen Mikroben, allen voran aus der Gruppe der Halobakterien. Wird diesen Kleinstlebewesen der Sauerstoff zu knapp, nutzen sie Licht anstelle des Sauerstoffs zur Energiegewinnung. Das Bacteriorhodopsin ist ein Membranprotein, sitzt also in der Aussenhaut der Zelle. Fällt Licht darauf, verändert es seine Form und stösst den Prozess der Umwandlung in chemische Energie an.
Für die Forschenden ist das Protein ein wichtiges Modellprotein, können sie an ihm doch Methoden testen, die sich später auf komplexere Membranproteine anwenden lassen. Wie zum Beispiel auf den grossen Bruder des Bacteriorhodopsins, das Protein Rhodopsin, welches dafür sorgt, dass unsere Augen ihre sich laufend verändernde Umgebung schnell erfassen können.
Ultraschnelle biologische Prozesse erfassen
Seit Langem versuchen Forschende die ultraschnellen Prozesse, die tagein, tagaus in Proteinen ablaufen, im Detail zu verstehen. Mit Freie-Elektronen-Röntgenlasern wie dem SwissFEL, der gerade am Paul Scherrer Institut PSI fertiggestellt wird, wird das nun erstmals möglich: Diese Anlagen erzeugen eine schnelle Abfolge von extrem kurzen und intensiven Pulsen aus Röntgenlicht, mit denen man die einzelnen Schritte ultraschneller Prozesse ausleuchten und sie sozusagen als molekularen Film darstellen kann.
Um das Potenzial der Freie-Elektronen-Röntgenlaser optimal nutzen zu können, entwickeln Forschende des PSI neue Experimentiermethoden. Das zurzeit vielversprechendste Verfahren heisst serielle Kristallografie. Es wurde speziell für den Einsatz an Freie-Elektronen-Röntgenlasern entwickelt, kann aber auch an Anlagen wie der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS des PSI für die Untersuchung des Aufbaus von Biomolekülen genutzt werden.
Die Idee, wie man durch Licht aktivierbare Proteine wie das Bacteriorhodopsin mit der seriellen Kristallografie in Aktion erforschen kann, ist in der Theorie simpel. Man stellt viele identische Proben her, löst mit einem optischen Laser bei den Proben in präzise abgestimmten Zeitintervallen den gewünschten Prozess aus und injiziert die Proben einzeln in den Röntgenpulsstrahl des Röntgenlasers. Die Pulse durchleuchten dann die einzelnen Proben. Indem man aus dem dabei abgelenkten Licht auf den Zustand des Proteins bei einem bestimmten Prozessschritt zurückrechnet, erhält man Bild für Bild die einzelnen Prozessschritte. Diese lassen sich in Folge zu einem Film zusammensetzen.
Die Tücke steckt im Forschungsobjekt
So einleuchtend die Theorie ist – in der Praxis haben die Forschenden mit den Tücken ihrer Forschungsobjekte zu kämpfen. Damit in der Probe das auf sie treffende Röntgenlicht hinreichend stark abgelenkt werden kann, muss sie in Kristallform vorliegen. Und bisher war eine grosse Anzahl solcher Proteinkristalle notwendig, um ultraschnelle Prozesse darstellen zu können. Deren Herstellung ist aber sehr zeitaufwendig und kostenintensiv – insbesondere für die wichtige Gruppe der Membranproteine, zu denen auch der eingangs erwähnte Lichtsensor Rhodopsin gehört.
Wie man auch diese schwierigen Proteine ihrer Erforschung zugänglich machen kann, hat nun ein internationales Team unter der Leitung des PSI am kalifornischen Freie-Elektronen-Röntgenlaser LCLS in Stanford gezeigt. Unser Ziel war es, die Anzahl der benötigten Kristalle drastisch zu senken , sagt Przemyslaw Nogly, der am Projekt im Rahmen des schweizerisch-europäischen PSI-FELLOW-Programms federführend beteiligt war.
Die Forschenden injizierten Bacteriorhodopsin-Kristalle mit einem speziellen Injektor in den Röntgenstrahl. In diesem Injektor sind die nur ein paar Mikrometer kleinen Kristalle in eine Flüssigkeit eingebettet, die extrem zäh ist. Und zwar so zäh, dass der Injektor pro Minute weniger als zwei Mikroliter davon, also weniger als zwei millionstel Liter, in den Röntgenstrahl fliessen lässt. Dadurch konnten wir die Trefferquote der Röntgenpulse entscheidend erhöhen und verlieren weniger Kristalle als bei anderen Verfahren , freut sich Nogly. Brauchen bisherige Verfahren mehrere Gramm der kostbaren Proteinkristalle, reichen nun wenige Milligramm.
Dass sich die Experimente mit dem Verfahren in Raumtemperatur durchführen lassen, ist ein weiterer entscheidender Vorteil des Verfahrens. Man wird kaum einen guten Film machen können, wenn die Protagonisten eingefroren sind , lacht Standfuss, unter dessen Leitung das Experiment in Stanford durchgeführt wurde.
Erfahrungen für den SwissFEL sammeln
Den für ihr Experiment eingesetzten Injektor haben die Forschenden nach Stanford mitgebracht. Auf diese Weise konnten sie wichtige Erfahrungen sammeln. Denn der Injektor soll später am SwissFEL eingesetzt werden, an dem 2017 die ersten Pilotexperimente starten. Für uns ist es wichtig, die für den SwissFEL geplanten Methoden bereits im Vorfeld an anderen Röntgenlasern zu testen , sagt Christopher Milne. Er entwickelt für den SwissFEL jene Experimentierstation, an der die serielle Kristallografie nach seiner Inbetriebnahme zur Anwendung kommen soll, und war auch in Stanford dabei. So können wir die Experimentierstationen gleich in Richtung der State-of-the-Art-Methoden optimieren.
Das gilt umgekehrt auch für die Biologen. Sie wollen ihre Forschungen am SwissFEL mit den bestmöglichen Forschungswerkzeugen beginnen. Und sie können es kaum erwarten, auch einmal andere Proteine als ihr Modellprotein in Aktion zu sehen. Mit Freie-Elektronen-Röntgenlasern wie dem SwissFEL werden wir endlich einige der schnellsten biologischen Prozesse bis ins kleinste Detail verfolgen können , freut sich Standfuss.
Text: Paul Scherrer Institut/Martina Gröschl