Wilde Wetter

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Wilde Wetter

Dramatische Temperatur-schwankungen in der Stratosphäre können auf der Erde zu Wetterkapriolen führen. Das Phänomen gilt in der Klimaforschung als mysteriös.

Man hat ja gelernt vorsichtig zu sein, wenn man vom Klima und den damit verbundenen Unsicherheitsfaktoren redet. Die Skeptiker warten nur darauf, aus jeder kleinen Ungewissheit ein generelles Fragezeichen zu machen. Aber Wissenschaft wird halt vor allem da spannend, wo sie sich auf unbekanntes Terrain begibt. Und davon gibt es auch beim Klima noch genug.

Die Atmosphäre: ein Buch mit sieben Siegeln. Der Berner Atmosphärenphysiker Niklaus Kämpfer interessiert sich für einen dieser noch wenig verstandenen Mechanismen, nämlich die Wechselwirkung von Wasserdampf und Ozon in den oberen Luftschichten. «Vor zwanzig Jahren dachte man noch, die Ozonproblematik und der Treibhauseffekt seien zwei unabhängige Systeme. Tatsächlich sind die beiden Systeme aber verknüpft.» Das eine ohne das andere zu betrachten ergibt also wenig Sinn.

Kämpfers Forschungsgruppe hat eine weltweit beachtete Expertise bei der Messung von Wasserdampf erarbeitet. Vor allem für die Vorgänge in den oberen Atmosphärenschichten ist das Wissen noch sehr lückenhaft. Man kann Messballone steigen lassen, doch die teuren Sensoren gehen dabei meist verloren – die Methode taugt deshalb nicht für breite Messreihen. Kämpfers Team arbeitet mit der Mikrowellentechnologie, die, anders als beispielsweise Lidar-Messungen, bis in grosse Höhen funktioniert. Die hochsensible passive Methode registriert die Strahlung der Moleküle in der Atmosphäre und wertet sie sowohl nach Menge wie nach Höhe aus. Die mit den Geräten gewonnenen Daten scannen die Atmosphäre allerdings nur über dem Standort des Messgeräts.


Verrückte Konsequenzen
Doch auch mit solchen «Stichproben» kann man interessante Erkenntnisse gewinnen. Über der Berner Messstation haben die Forscher in den letzten Jahren zweimal gewissermassen live ein mysteriöses und unter Atmosphärenphysikern heiss diskutiertes Phänomen beobachten können, eine gigantische, regelmässig auftretende Turbulenz in der Stratosphäre. Bei den sogenannten Sudden Stratospheric Warmings (SSW) kommt es von einem Tag auf den anderen zu grossflächigen Umwälzungen in den oberen Luftschichten. Sie gehen mit Temperaturänderungen von bis zu 60 Grad einher.
Ursache sind plötzliche Störungen eines Wirbels über der Arktis, wobei dieser regelrecht auseinandergerissen wird; die ganze Strömungsdynamik bis hinab in unsere Breitengrade gerät durcheinander. «Das hat verrückte Konsequenzen», sagt Kämpfer: Luft von den Tropen wird in die Arktis verfrachtet und umgekehrt. Dabei kommt es zu grossen Veränderungen im Wasserdampf- und Ozonhaushalt – sei
es durch das Umschichten der Luftmassen, sei es durch chemische Prozesse, die durch den Temperaturanstieg viel rascher verlaufen und den Ozonabbau so kurzfristig dramatisch steigern.

Kämpfers Anstrengungen, die Dynamik der oberen Atmosphäre zu verstehen, sind Grundlagenforschung – mit Klimawissenschaft haben sie nicht direkt zu tun. Aber sie können den Klimawissenschaftlern helfen, bessere Modelle zu erstellen.Beispielsweise um den für den Laien paradoxen Effekt zu verstehen, dass mehr CO2 für eine Abkühlung in der Stratosphäre sorgt. Nimmt gleichzeitig der Gehalt an Wasserdampf – dem bedeutendsten natürlichen Treibhausgas – zu, können sich mehr Eiswolken bilden, die wiederum in die Ozonchemie eingreifen. Ein komplexes Wechselspiel.

Turbulenzen weit oben können hienieden ganz konkrete Effekte haben. SSW führen vermutlich direkt zu Wetterkapriolen. So kam es im Nachgang zum SSW 2009 zu heftigen Schneestürmen in den USA, London und Paris.

Roland Fischer

Dieser Artikel ist im Schweizer Forschungsmagazin "Horizonte" Nr. 87 erschienen, das vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) herausgegeben wird.