Jeder Dritte ehemalige politische Häftling der DDR leidet auch heute noch unter Schlafstörungen, Alpträumen und unmotiviertem Erschrecken. Diese posttraumatischen Belastungsstörungen wurden in einer Studie nachgewiesen. Zum ersten Mal wurden dabei die posttraumatischen Folgen über 15 Jahre hinweg bei ehemaligen politischen Häftlingen untersucht.
Bisher fehlten in Deutschland zuverlässige Angaben über die psychischen Langzeitfolgen der politischen Inhaftierung in der DDR. Prof. Andreas Maercker, Leiter der Abteilung Psychopathologie und Klinische Intervention an der Universität Zürich, und Privatdozent Matthias Schützwohl, Arbeitsgruppenleiter an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der TU Dresden, hatten Mitte der 1990-er Jahre 146 ehemalige politische Inhaftierte befragt. 15 Jahre danach haben sie die Mehrzahl der Betroffenen, 78 Männer und 15 Frauen, noch einmal untersucht.
«Zu unserer Überraschung ist die posttraumatische Belastungsstörung immer noch bei einem Drittel der Untersuchten vorhanden», fasst Maercker die Resultate zusammen. «Einige sind im Vergleich zu vor 15 Jahren genesen, aber bei anderen hat sich die Belastungsstörung erst in den letzten Jahren manifestiert.» Insgesamt zeigt sich bei 15 Prozent eine solche verzögerte oder wiederauftretende posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Von Studien aus anderen Ländern, meistens allerdings mit Kriegsgefangenen oder anderen Gewaltopfern, weiss man, dass es diese verzögerten oder wiederaufgetretene PTBS gibt, allerdings in geringerem Ausmass. Die Studie von Maercker und Schützwohl ist die erste, die dies für ehemalige politische Häftlinge nachweist. Sie erscheint in der Zeitschrift «Nervenarzt», zusätzliche Auswertungen werden in der englischsprachigen Zeitschrift «Torture» publiziert.
Andere psychische Störungen, unter denen die ehemaligen DDR-Häftlinge litten, nahmen während der 15 Jahre ab. So waren spezifische Phobien wie die Klaustrophobie weniger häufig. Ebenso nahm die Anzahl der Alkoholoder Medikamentenabhängigen ab. Um das Vierfache angestiegen auf 41 Prozent der Untersuchten ist im letzten Jahr allerdings die Zahl der Personen mit akuten Depressionen. Unter Angststörungen wie die Panikstörung litten zu beiden Zeitpunkten etwa gleichviele Personen, im letzten Jahr waren es 24 Prozent.
«Wir fanden einen wichtigen Zusatzbefund: Die Betroffenen schätzen ihren eigenen psychischen Gesundheitszustand nach der Haftentlastung rückblickend eher zu schlecht ein, den aktuellen Zustand dagegen eher realistisch», sagt PD Schützwohl. Die Autoren folgern daraus, dass es keine Erinnerungsverzerrung z.B. im Sinne eines aktuellen Entschädigungswunsches gibt, sondern dass psychologische Faktoren für die tendenziell negative Lebensbilanzierung eine Rolle spielen.