ETH-Forscher konnten zeigen, wie schnell Stahl in unterschiedlichen porösen Materialien korrodiert. Ihre Erkenntnisse könnten neuen ökologischen Zementsorten zum Durchbruch verhelfen.
Wie schnell Stahl in Beton oder in einem anderen porösen Material korrodiert, ist zentral für eine Vielzahl an technischen Anwendungen, etwa bei Rohrleitungen im Erdreich oder bei Stahlbetonbrücken. Seit Jahrzehnten existieren verschiedene Hypothesen und Modelle, die aber die empirischen Befunde generell nicht abschliessend erklären können. Forschende rund um Ueli Angst, ETH-Professor für Dauerhaftigkeit von Werkstoffen, haben dieses Rätsel nun gelöst und ein neues, bestechend einfaches Modell entwickelt, das soeben in der Zeitschrift ’Nature Materials’ veröffentlicht wurde.
Gängige Hypothese widerlegt
’In den meisten Lehrbüchern wird die Korrosionsgeschwindigkeit in Abhängigkeit von der Feuchtigkeit als umgekehrte U-Kurve dargestellt’, sagt Angst. Ist der Beton demnach komplett nass, läuft die Korrosion langsam ab, weil der Sauerstoff nur schwer durch das Wasser diffundieren kann. Ist der Beton hingegen komplett trocken, gibt es ebenfalls kaum Korrosion, weil das Wasser fehlt. Am schnellsten läuft der Prozess nach diesen Vorstellungen also bei ’mittlerer’ Feuchtigkeit ab, wenn in den Poren des Betons sowohl Wasser als auch Sauerstoff vorhanden ist.
Diese ’Sauerstoff-Theorie’ ist aber für die Realität oft wenig zielführend. Angst gibt zu bedenken, dass die meisten Bauwerke zyklisch exponiert sind: ’Mal sind sie trocken, mal werden sie im Regen wieder nass. So füllen sich die Poren nur periodisch mit Wasser, und es gibt meist genügend Sauerstoff im System.’
Die Erkenntnis, dass die ’Sauerstoff-Theorie’ allein den Korrosionsprozess nicht zu beschreiben vermag, ist nicht neu. ’Bereits eine Publikation von 1957 weist darauf hin, dass es nebst dem Sauerstoff noch einen anderen Faktor geben muss’, sagt Angst. Für diese gross angelegte Studie wurden in den 1920er-Jahren in den ganzen USA Tausende Stahlproben im Erdreich vergraben und über Jahre wieder ausgegraben und untersucht. Dabei zeigte sich, dass in den nässesten Böden die Korrosion am schnellsten ablief. Darauf kennt die Sauerstoff-These aber keine Antwort.
Ein simpler Flächeneffekt
’Wir haben nun eine Erklärung, die im Grunde überraschend einfach ist’, sagt Angst. Sie basiert auf der Tatsache, dass sich das Metall in einem porösen Medium befindet. Das bedeutet, dass es bereichsweise mit Feststoffen wie Zementstein oder Sandkörnern und bereichsweise mit Hohlräumen in Kontakt steht. Dort, wo das Metall mit den Feststoffen in Kontakt ist, läuft keine Korrosion ab. ’Dort wo das Metall mit Poren in Kontakt ist, kann es hingegen zu Korrosion kommen, wenn die Poren mit Wasser gefüllt sind, nicht aber, wenn sie mit Luft gefüllt sind’, sagt Angst. ’Je feuchter also das Material ist, desto mehr Poren füllen sich mit Wasser, und das führt zu einer ausgeprägteren Korrosion.’ Nicht der Sauerstoff ist also entscheidend, sondern die Fläche, die mit Wasser in Kontakt ist.
Die Forschenden entwickelten ein theoretisches Modell, das diese Zusammenhänge quantifiziert. Damit kann aufgrund der Porenstruktur des Mediums und der Feuchtebedingungen die Korrosionsgeschwindigkeit vorhergesagt werden. ’Mit diesem Modell können wir nicht nur unsere eigenen Messungen, sondern auch experimentelle Daten aus den letzten 50 Jahren erklären’, wie Angst betont, ’und zwar unabhängig davon, ob das poröse Medium nun Beton, Erdboden, oder Holz ist’.
Neuen Zementsorten zum Durchbruch verhelfen
Diese Erklärung ist besonders wichtig im Hinblick auf den Einsatz von umweltfreundlicheren Zementsorten. Beton aus herkömmlichem Portlandzement weist eine hohe Alkalinität auf. Genau diese Eigenschaft ist es, die den Stahl im Beton vor Korrosion schützt und damit wesentlich zum Erfolg der Stahlbetonbauweise beigetragen hat. Allerdings setzt die Produktion von herkömmlichem Zement grosse Mengen an CO2 frei. Was das für das Klima bedeutet, kann man daran ermessen, dass Beton weltweit direkt nach Wasser der meistverwendete Stoff ist.
So arbeitet die Zementindustrie seit Jahren daran, alternative Rohstoffe für die Zementproduktion einzusetzen. In verschiedenen Ländern werden dabei ganz unterschiedliche Materialien eingesetzt, je nach vorhandenen Rohstoffen und Abfallprodukten aus anderen Industrien. Während diese Bestrebungen dazu geeignet sind, den CO2-Ausstoss zu reduzieren, haben die neuen Zementsorten einen gravierenden Nachteil: Sie verfügen über eine tiefere Alkalireserve. ’Dies bedeutet, dass die modernen klimafreundlichen Betone ihre korrosionsschützende Wirkung, also den hohen pH-Wert, rascher verlieren’, erklärt Angst.
Gemäss den heutigen Normen muss der Beton über die ganze Lebensdauer eines Bauwerks - in der Regel sind das 50 bis 100 Jahre - sicherstellen, dass der drin eingebettete Bewehrungsstahl nicht zu korrodieren beginnt. Diese Vorgabe kann man mit den neuen Zementsorten nur noch schwer erfüllen, beispielsweise indem man den Stahl mit einer dickeren Betonschicht umhüllt - was wiederum aber auch nicht ökologisch ist.
Sollen die neuen, in einer ganzheitlichen Betrachtung umweltfreundlicheren Baustoffe vermehrt eingesetzt werden, ist eine Abkehr von der heutigen Praxis notwendig. ’Korrosion muss nicht zwingend zu Schäden an einem Bauwerk führen, sofern sie langsam genug abläuft’, ist Angst überzeugt. Ein gewisses, geringes Mass an Bewehrungskorrosion kann also während der Lebensdauer eines Bauwerks in Kauf genommen werden. Dazu fehlte bis anhin jedoch die wissenschaftliche Grundlage. ’Mit unserem Modell können wir nun quantitative Aussagen dazu machen, wie die Korrosion in unterschiedlichen Betonsorten und Umgebungsbedingungen abläuft’, sagt Angst. Damit könnten diese Erkenntnisse zu nachhaltigeren Bauten führen.
Literaturhinweise
Stefanoni M, Angst UM, Elsener B: Kinetics of electrochemical dissolution of metals in porous media. Nature Materials. 2019. DOI: 10.1038/s41563-019-0439-8
Romanoff M (1957): ‘Underground corrosion’. Circular 579, National Bureau of Standards, Washington DC, U.S.