Seit über 15 Jahren betreibt die EPFL Forschung mit dem Ziel, die Ausbildung von Lehrlingen zu verbessern. Vor kurzem wurden ein Buch und eine Website für Lehrkräfte veröffentlicht, und die Entwicklung digitaler Tools für die Berufsausbildung wird fortgesetzt.
Auf der Speisekarte der Schweizer Spezialitäten - zwischen Fondue, pünktlichen Zügen und Uhrmacherkunst - findet sich auch die "berufliche Grundbildung". Dabei handelt es sich um ein drei- oder vierjähriges Lehrsystem, das es den Absolventen der Pflichtschule ermöglicht, einen Beruf in einem Unternehmen zu erlernen und gleichzeitig eine Berufsschule zu besuchen. Pierre Dillenbourg, Professor an der EPFL und 15 Jahre lang Leiter des Leading House Dual-T, stellt in seinem kürzlich erschienenen Buch Educational Technologies for Vocational Training: Experiences as Digital Clay humorvoll fest: "Im offiziellen Diskurs der Schweiz ist das Lehrlingssystem nicht weit von Roger Federer entfernt".
Ein Buch, das eine Bilanz von 15 Jahren Forschung über die Entwicklung digitaler Technologien für die Berufsbildung zieht. Diese Forschungen hat die EPFL in Partnerschaft mit der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung in Lugano und der Universität Freiburg durchgeführt. Im Blickpunkt steht dabei der Wunsch, eine Brücke zwischen Unternehmen und Schule zu schlagen. "Das Berufsbildungssystem ist siloartig aufgebaut und es fehlt eine Verbindung zwischen dem, was die Jugendlichen im Unterricht lernen, und der Arbeit, die sie im Betrieb leisten. Deshalb haben wir das Konzept des Erfahrraums entwickelt, das darin besteht, mithilfe digitaler Tools die Erfahrung des Unternehmens in den Unterricht zu bringen", merkt Pierre Dillenbourg an.
Technologie als Mehrwert
Zu diesem Zweck haben die Forschungsteams unter anderem die Plattform "Realto" entwickelt, die es Lernenden ermöglicht, Fotos und Filme hochzuladen, sie zu kommentieren und sich mit ihren Klassen- und Lehrmeistern auszutauschen. Sie haben auch mehrere Werkzeuge entwickelt, die die virtuelle Realität nutzen, um in der Realität unmögliche Manipulationen durchführen zu können oder ein besseres Verständnis von Phänomenen zu bieten, die für das bloße Auge unsichtbar sind. So zum Beispiel die Tinkerlamp, ein Projektionssystem, das in Verbindung mit einem greifbaren Modell Überlegungen darüber anstellt, wie die Organisation eines Lagers optimiert werden kann, oder die Anwendung Static AR, die entwickelt wurde, um die Kräfte, die auf die Struktur eines Daches einwirken, zu visualisieren und zu verstehen.
Das Berufsbildungssystem ist siloartig und es fehlt eine Verbindung zwischen dem, was die Jugendlichen im Unterricht lernen, und der Arbeit, die sie im Unternehmen leisten. Aus diesem Grund haben wir das Konzept des Erfahrraums entwickelt, das darin besteht, mithilfe digitaler Werkzeuge die Betriebserfahrung in den Unterricht zu bringen.
"Technologie zur Nachahmung der Realität einzusetzen, ist nicht sehr interessant. Daher haben wir uns gefragt, wie die Technologie einen pädagogischen Mehrwert bieten kann. Aber keines der Tools ist magisch, es kommt darauf an, wie die Lehrkraft sie einsetzt", betont Pierre Dillenbourg. So wurde im Zuge des Dual-T-Projekts gerade die Website eduscenarios.ch eingerichtet. Sie bietet Berufsschullehrerinnen und -lehrern Lernaktivitäten, bei denen Technologien eingesetzt werden, um die Verbindung zwischen dem Unterricht und dem Alltag der Auszubildenden bei ihrem Arbeitgeber zu stärken. "Wir haben uns 14 Szenarien ausgedacht, die einfach zu reproduzieren und anzupassen sind. Uns war es wichtig, dass diese Aktivitäten für jeden interessierten Lehrer zugänglich sind", erklärt Richard Lee Davis. Der Postdoktorand am CHILI Educational Ergonomics Laboratory beaufsichtigte die Gestaltung der Website und der Szenarien. Jedes dieser Szenarien besteht aus einer Zusammenfassung, einer Beschreibung des pädagogischen Ansatzes, einem Rezept für die Umsetzung, einer Liste der digitalen Werkzeuge, die verwendet werden können, und einer Rubrik "Tipps und Tricks".
Digitales Coaching
Darüber hinaus setzt die EPFL die Forschung zugunsten von Lernenden unter der Leitung des Digital Vocation, Education and Training (D-VET) Hub fort, der von Professorin Tanja Käser, Leiterin des Labors für künstliche Intelligenz in der Bildung (ML4ED), geleitet wird. Das Team des D-Vet Hub hat beispielsweise mehrere interaktive Simulationen entwickelt, die es ermöglichen, im Unterricht mit komplexen Situationen zu experimentieren, die sich im beruflichen Umfeld abspielen können. So simuliert ChemLab ein virtuelles Labor mit veränderbaren Komponenten, HeatingSim ein Solarheizsystem, dessen Einstellungen angepasst werden können, und PharmaSim eine virtuelle Apotheke, in der ein Kunde beraten werden muss.
"Unser Ziel ist es, innovative Tools zu entwickeln, die in großem Umfang in Schweizer Schulen eingesetzt werden können", erklärt Thiemo Wambsganss, Postdoktorand am ML4ED. Um diese Tools zu entwickeln, arbeiten wir mit einem breiten Netzwerk von Lehrerinnen und Lehrern zusammen, und um sie zu verbessern, verwenden wir Machine-Learning-Methoden, um ihre Auswirkungen auf das Lernen zu untersuchen." Der Forscher hat unter anderem WritingTutor entwickelt, einen personalisierbaren Chatbot, der individuelles Feedback zur argumentativen Qualität eines Textes gibt. Ein Tool, dessen Forschung eine positive Wirkung auf die Lernerfahrung gezeigt hat.
Unser Ziel ist es, innovative Tools zu entwickeln, die in großem Umfang in Schweizer Schulen eingesetzt werden können. Um diese Tools zu entwickeln, arbeiten wir partnerschaftlich mit einem breiten Netzwerk von Lehrerinnen und Lehrern zusammen
In diesem Zusammenhang war der wissenschaftliche Mitarbeiter auch an der Entwicklung des RELEX-Systems (Recipe Learning through Exemples) beteiligt, in dem Auszubildende ein Rezept schreiben können und ein personalisiertes Feedback darüber erhalten, was sie verbessern müssen. "Eine Studie mit 200 Personen hat gezeigt, dass ein adaptives Feedback zu einer besseren Leistung beim prozeduralen Schreiben und zu einer besseren Benutzererfahrung führt", stellt Thiemo Wambsganss fest. Die Herausforderung besteht nun darin, immer mehr Berufsschullehrerinnen und -lehrer dazu zu bringen, sich für das pädagogische Potenzial digitaler Lernumgebungen zu interessieren. "Unsere Aufgabe ist es, innovativ zu sein und die Bandbreite der Möglichkeiten aufzuzeigen. In den mehr als 15 Jahren meiner Forschungstätigkeit konnte ich eine Offenheit gegenüber digitalen Werkzeugen feststellen und beobachten, dass unsere Arbeit die Bundespolitik im Zusammenhang mit der Berufsbildung beeinflusst hat", schließt Pierre Dillenbourg.