Warum die Arktis grüner wird

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Warum die Arktis grüner wird

Ein Forschungsteam der ETH Zürich und der WSL ist diesen Sommer nach Spitzbergen gereist, um das «Arctic Greening» unter die Lupe zu nehmen. Projektleiter Sebastian Dötterl über Forschen zwischen Eisbären, Streiks und Krieg.

Corona, Krieg und Pilotenstreik

Erst verzögerte die Coronapandemie den Projektstart um mehr als ein Jahr. Dann begann Russland im Februar den Krieg gegen die Ukraine, was bedeutete, dass das Schweizer Forschungsteam Infrastruktur, die der russische Staat auf Spitzbergen betreibt, nicht wie geplant nutzen durfte. Mit Glück konnten die norwegischen Partner noch kurzfristig ein Segelschiff samt Crew chartern, damit die Forschenden ein Dach über dem Kopf hatten und zu ihren Untersuchungsgebieten gelangen konnten.

Aber damit nicht genug: Kurz vor der Abreise im Juli gefährdete ein Pilotenstreik bei der skandinavischen Fluggesellschaft SAS das Unterfangen erneut. «Hätte meine Doktorandin Sigrid und Ihre Kolleginnen nicht so schnell reagiert und für alle Mitglieder der Expedition Flüge doppelt gebucht, wären wir gar nicht nach Spitzbergen geflogen», betont Dötterl.

Raschen Wandel in der Arktis erforschen

Die Hauptstadt Spitzbergens Longyearbyen ist für das Forschungsteam aus Pflanzenökolog:innen, Bodenkundler:innen, Geoökolog:innen und Mikrobiolog:innen Ausgangspunkt, um im Rahmen eines «ETH+»-Projekts in den kommenden Jahren die lokalen Muster und Mechanismen des Ergrünens der Arktiks zu erforschen. Am Projekt beteiligt sind nebst Dötterls Gruppe auch Forschende um Jake Alexander, Alex Widmer, Cara Magnabosco (alle ETH Zürich) und Aline Frossard von der WSL.

Den Anstoss zu diesem Forschungsvorhaben gegeben hat die Tatsache, dass die globale Erwärmung Ökosysteme rasant verändert. In der Arktis vollzieht sich dieser Wandel noch schneller als anderswo auf der Welt. So sind die Temperaturen im hohen Norden in den letzten drei Jahrzehnten um vieles stärker gestiegen als im weltweiten Durchschnitt.

Das bringt nicht nur die Eismassen zum Schmelzen, sondern ändert auch Böden und Pflanzen in der arktischen Tundra. Zwischen 1984 und 2012 sind 30 Prozent der Tundren Nordamerikas grüner geworden, wie eine externe Seite Nasa-Studie zeigte. Weshalb aber manche Tundren stärker und rascher ergrünen als andere, hängt vermutlich mit der lokalen Bodenfruchtbarkeit und dem Mikroklima zusammen.

Im Fokus der ETH- und WSL-Forschenden stehen einerseits angestammte und eingeführte Pflanzen und wie diese auf die Erwärmung reagieren. Die Wissenschaftler:innen befassen sich auch mit der sich beschleunigenden Bodenentwicklung und den Veränderungen biogeochemischer Kreisläufe. Dazu untersuchen sie ursprüngliche Tundraböden, gestörte Böden in Siedlungsnähe sowie nährstoffreiche Böden im Einzugsgebiet von Vogelkolonien an.

Weiter möchten die Forschenden herausfinden, welche Rolle Mikroben bei der Besiedlung von Rohböden durch Pflanzen und in den sich ändernden mikrobiellen Gemeinschaften in besser entwickelten Böden spielen werden.

Aus ihren Daten wollen die Forschenden schliesslich ein Modell ableiten, welches Änderungen in der Vegetation, den Böden und den Mikroorganismen beinhaltet und zur Prognose zukünftiger Änderungen in arktischen Ökosystemen verwendet werden kann.

Improvisation war gefragt

Mit dem Verlauf der Expedition ist Dötterl trotz aller Schwierigkeiten sehr zufrieden. «Vor Ort ist fast alles wie erhofft gelaufen», freut sich der Projektleiter.

Bis auf eine Stelle - die Behörden sperrten eine Siedlung wegen eines streunenden Eisbärs - konnten sie in allen Untersuchungsflächen wie gewünscht Proben holen, insgesamt 1,2 Tonnen Bodenmaterial, das die Forschenden teils gefroren nach Zürich verschifft haben, wo das Material im kommenden Winter im Labor analysiert wird. Dazu kommen hunderte von Pflanzenproben und Samenmaterial sowie hunderte von mikrobiologischen Proben.

Um das darin enthaltene genetische Material zu konservieren, mussten diese Proben im Gelände sofort eingefroren werden und bei -80 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff transportiert werden. Weil dafür in der Wildnis keine ausreichende Stromversorgung vorhanden war, schickten die Forschenden vorgängig einen Tank mit 400 Litern flüssigen Stickstoff unter vier Bar Druck nach Spitzbergen. Da der Tank jedoch undicht war und drei Wochen in Tromsö zwischenlagerte, ehe er auf die Insel verschifft wurde, enthielt er nur noch knapp 100 Liter. Der Druck war auf ein Bar abgesunken. «Das ging gerade noch so auf», sagt Dötterl.

Auch mit anderen technischen Hilfsmitteln war gelegentlich Improvisationskunst gefragt. Eine der drei mitgebrachten Drohnen donnerte bei ihrem ersten Einsatz wegen eines Softwarefehlers gegen einen Felsen. Die daran installierten Kameras waren jedoch noch intakt. Um dennoch von oben Aufnahmen der Untersuchungsflächen zu machen, montierten die Forschenden die Sensoren an der Spitze einer vier Meter langen Metallstange, welche sie wie eine Fahne vor sich her tragen mussten und so doch noch Vegetationsaufnahmen aus der Luft durchführen konnten.

Labor und Trip nach Nordnorwegen geplant

Auf die intensive erste Feldsaison folgen nun viel Laborarbeit und ein weiterer Feldarbeitseinsatz im nächsten Sommer in Nord-Norwegen. Dort wird das Team Böden und Pflanzen in den südlichen Ausläufern der arktischen Tundra untersuchen. Dieser Lebensraum ist die wärmere Festlandentsprechung der hohen Tundra Spitzbergens.

Danach geht es an die Auswertung der umfangreichen Daten, die die Basis für eine Modellierung bilden werden. Insgesamt soll das Projekt bis 2025 laufen - sofern die Finanzen ausreichen. «Die vielen Verzögerungen und Programmänderungen haben ein ziemlich grosses Loch in unsere Projektkasse gerissen», gibt Bodenexperte Dötterl unumwunden zu.

Dass dieses Projekt trotz all der Widrigkeiten trotzdem so gut gelaufen sei, verdanke er den drei beteiligten Doktorandinnen Sigrid Trier Kjaer, Lena Bakker und Jana Rüthers. «Sie haben die ganze Logistik und Organisation auf die Beine gestellt und das Projekt damit gerettet. Das war eine riesige Leistung», freut sich Dötterl.

Auch alle weiteren Teilnehmer:innen seien stark motiviert gewesen, alle hätten aufeinander aufgepasst und eine sehr gute und kollegiale Zusammenarbeit gepflegt. «Das ist bei einem Projekt von diesem Schwierigkeitsgrad und unter den teilweise beengenden Bedingungen auf dem Schiff nicht selbstverständlich», betont Dötterl.

Peter Rüegg