HSLU-Studie: So gespalten reagiert die Schweizer Bevölkerung auf die Corona-Kommunikation des Bundes
Drei von fünf Schweizerinnen und Schweizern sind zufrieden mit der Kommunikation von Bund, Kantonen und Medien während der Corona-Pandemie. Das zeigt eine repräsentative Erhebung der Hochschule Luzern. Das Forschungsteam hat vier verschiedene Reaktionstypen identifiziert, die sich deutlich unterscheiden bezüglich Zufriedenheit mit der Informationslage und Affinität zu Verschwörungsmythen.
Sie sind zum Symbolbild der Coronakrise geworden: Die Auftritte von Alain Berset und Co. im Mediencenter des Bundesrats. Mehrmals wöchentlich haben Vertreterinnen und Vertreter des Bundes und der wissenschaftlichen Corona-Task-Force in den letzten zwei Jahren über die neusten Entwicklungen der Pandemie informiert. Zwei Jahre lang wurden die Titelseiten der Medien von Schlagzeilen über die Pandemie geprägt. Ein Forschungsteam der Hochschule Luzern hat anhand einer repräsentativen Befragung von über 1’000 Personen in der Schweiz untersucht, wie die Bevölkerung die anspruchsvolle Krisenkommunikation der Behörden und die Berichterstattung in den Medien bewertet.
Mehrheit fühlt sich gut informiert
Die Resultate der Studie zeigen: Rund 60 Prozent der Schweizer Bevölkerung ist mit der Krisenkommunikation des Bundes während der Pandemie zufrieden. «Dieser Wert deckt sich auch gut mit den Ja-Anteilen bei den vergangenen Abstimmungen zum Covid-19-Gesetz», so Marcel Zbinden, Studienleiter und Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Luzern. Zbinden hat zusammen mit seinem Forschungsteam die befragten Personen anhand der Ergebnisse aus der Befragung in vier Reaktionstypen unterteilt. Interessant: Auch bei den Zufriedenen gibt es eine Gruppe, die verunsichert ist und sich grundsätzlich vorstellen kann, dass hinter den globalen Geschehnissen ein grösserer Plan steckt. Diese Untergruppe der verunsichert Zufriedenen macht 24 Prozent der Bevölkerung aus. Weitere 35 Prozent sind vertrauend zufrieden, glauben also nicht, dass ihnen Politikerinnen, Vertreter von Bundesämtern und Journalistinnen bewusst etwas vorenthalten.
Jeder Sechste glaubt an bewusste Fehlinformation
Auch die Bevölkerungsgruppe, die mit der Kommunikation von Bund, Kantonen und Medien unzufrieden ist, konnte das HSLU-Forschungsteam in zwei Untergruppen einordnen. «Es ist klar zu unterscheiden zwischen Personen, die auf sachlicher Ebene unzufrieden sind und denjenigen, die per se misstrauisch gegenüber der Regierung sind», sagt Laura Oswald, Mitautorin der Studie. Die sachlich Unzufriedenen machen 24 Prozent der Bevölkerung aus. Sie sind der Meinung, die Verantwortlichen des Bundes und der Kantone hätten sich bei ihren Entscheidungen nicht an den Interessen der Bevölkerung orientiert und darüber hinaus teilweise bewusst wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgehalten, um ihre politischen Absichten durchzusetzen. Die misstrauisch Unzufriedenen (17 Prozent) hingegen sind Überzeugt, dass die Regierung absichtlich Fehlinformationen verbreitet hat und dass sich die Mächtigen der Welt in geheimen Organisationen vernetzen und über das Weltgeschehen bestimmen. «Bei dieser Bevölkerungsgruppe ist eine Affinität zu Verschwörungsmythen vorhanden», so Oswald.
Regionale Unterschiede gering
Ein Röstigraben ist bezüglich der Reaktionstypen nicht auszumachen, alle vier Gruppen sind in der Westund Deutschschweiz ähnlich stark vertreten. Im Tessin hat es jedoch im Vergleich zu der Deutschund der Westschweiz etwas mehr sachlich Unzufriedene, dafür weniger vertrauend Zufriedene. Insgesamt ist im Süden die sachliche Kritik an der Krisenkommunikation also etwas grösser.
60plus am häufigsten verunsichert
Den grössten Anteil an Unzufriedenen weist die Altersgruppe der Unter-Dreissigjährigen auf. Am wenigsten von ihnen gibt es bei den 45- bis 59-Jährigen. ’In der jüngeren Bevölkerung hat es vergleichsweise mehr Personen, die Mühe mit der Krisenkommunikation und wohl auch mit den damit verbundenen Massnahmen hatten. Dies womöglich, da sie sich in ihrem Alltag durch die Massnahmen stärker eingeschränkt fühlten als die älteren Altersgruppen’, so Studienautor Marcel Zbinden. Weiter fällt auf, dass die Zahl der verunsichert Zufriedenen mit steigendem Alter zunimmt. ’Bei dieser Altersgruppe tragen bereits die rasanten gesellschaftlichen Veränderungen durch die Globalisierung und die Digitalisierung zur allgemeinen Verunsicherung bei. Es ist deshalb nicht Überraschend, dass bei der älteren Bevölkerung der Anteil an Verunsicherten am grössten ist’, so Zbinden.
Mehr Misstrauen auf dem Land
Keine Unterschiede beim Anteil an misstrauisch Unzufriedenen gibt es im Vergleich zwischen Männern und Frauen. Die beiden Geschlechter unterscheiden sich allerdings bei der Kategorie der Zufriedenen. Während bei den Männern 39 Prozent zu den vertrauend Zufriedenen gehören, sind es bei den Frauen lediglich 30 Prozent. Bei den Frauen ist hingegen der Anteil der verunsichert Zufriedenen (29 Prozent) signifikant höher als bei den Männern (20 Prozent).
Auch zwischen Stadt und Land lassen sich gewisse Unterschiede ausmachen. Der Anteil an Personen, die mit der Kommunikation des Bundes zufrieden sind, ist auf dem Land zwar gleich gross wie in der Stadt. Allerdings ist der Glaube daran, dass durch die Behörden bewusste Falschinformationen verbreitet wurden und hinter der Pandemie ein grösserer Geheimplan steckt, auf dem Land deutlich höher. Das zeigt sich im erhöhten Anteil bei den verunsichert Zufriedenen und den misstrauisch Unzufriedenen im Vergleich zur Stadt.
Unterschiede bei der Schulbildung
Menschen mit einem tieferen Schulabschluss neigen eher dazu, mit der Kommunikation des Bundes unzufrieden zu sein und an verschwörerische Machenschaften rund um die Corona-Pandemie zu glauben. Das zeigen die Resultate der HSLU-Erhebung: Fast ein Viertel der Menschen, welche die obligatorische Schule oder eine Berufslehre als höchste Ausbildung abgeschlossen haben, gehören zu den misstrauisch Unzufriedenen. Bei Befragten mit akademischem Abschluss sind es lediglich neun Prozent. Auch selbstständig Erwerbstätige gehören deutlich häufiger zur misstrauisch unzufriedenen Bevölkerungsgruppe. ’Das dürfte sich dadurch erklären lassen, dass Selbstständige besonders stark von den wirtschaftlichen Implikationen der Krise betroffen waren und sich öfters im Stich gelassen gefühlt haben als Angestellte’, so Studienautorin Oswald.
Unzufriedene fühlen sich schlechter integriert
Die vier Reaktionstypen lassen sich auch auf andere Krisensituationen Übertragen, sind sich die Studienautorinnen und Studienautoren sicher. Geht es nach Marcel Zbinden, wäre es wichtig, Lösungen zu entwickeln, wie die Behörden insbesondere mit den unzufriedenen Bevölkerungsgruppen umgehen sollen. ’Aufgrund der unterschiedlichen Reaktionen auf die Massnahmen in einer Krise droht die Gefahr des Auseinanderdriftens der Gesellschaft’, so Zbinden. Dies zeigt sich auch in der Auswertung der HSLU-Studie: Im Vergleich zu den anderen drei Gruppen fühlen sich die misstrauisch Unzufriedenen deutlich schlechter in die Gesellschaft integriert als diejenigen Personengruppen, die mit der Kommunikation des Bundes zufrieden sind. Dies habe auch unmittelbare Konsequenzen auf das Verhalten einer Bevölkerung, weiss Zbinden. ’Bestehende Studien belegen, dass sich regierungskritische Menschen weniger aktiv an politischen Prozessen beteiligen oder Personen, die den Klimawandel als Lüge abtun, sich weniger umweltschonend verhalten’, so der Wirtschaftspsychologe.
Unzufriedene in Prozesse einbinden
Während der letzten zwei Jahre hat der Bund gemeinsam mit der Corona-Task-Force versucht, die Bevölkerung mit wissenschaftlichen Fakten zu Überzeugen. ’Personen, die der Regierung aus ideologischen Gründen nicht vertrauen, sind allerdings kaum empfänglich für wissenschaftliche Sachverhalte’, ist sich Zbinden sicher. Gemäss Studienautor gibt es nur eine wirksame Strategie, um bei Krisen Andersdenkende an Bord zu holen: zuhören und einbinden. ’Hinter einer Überzeugung stecken immer Bedürfnisse, Nöte und Ängste’, so Zbinden. Das Ziel müsse es sein, alle vier Reaktionstypen in die Entscheidungsfindung einzubinden. ’Müssten Menschen mitentscheiden, die zur Gruppe der misstrauisch Unzufriedenen gehören, wüssten sie, wie anspruchsvoll die Entscheidungsfindung in einer Krise ist’, erläutert der Experte. Diese Annäherung sollte idealerweise in Nicht-Krisenzeiten starten.
Auf längere Frist sieht das HSLU-Forschungsteam zudem die Bildungsinstitutionen in der Pflicht. So soll in der Schule bereits früh gelernt werden, wie seriöse von unseriösen Nachrichtenquellen unterschieden werden können und dass der eigene Newsfeed in den sozialen Medien nicht per se die Realität, sondern grösstenteils die persönlichen Präferenzen abbildet. ’Gerade im Umgang mit der Auswahl und Einordnung von Quellen ist eine hohe Medienkompetenz besonders wichtig’, sagt Marcel Zbinden. Um aktuelle sowie zukünftige Krisensituationen zu meistern, müsse die Gesellschaft zusammenhalten und dem sozialen Auseinanderdriften proaktiv entgegensteuern, ist sich der Wirtschaftspsychologe sicher. ’Dabei bleiben konstruktive Debatten, gegenseitiger Austausch und ein respektvoller Umgang mit unterschiedlichen Meinungen zentrale Bausteine für eine zukunftsfähige Demokratie.’
Langzeitstudie zum nachhaltigen Konsumentenverhalten während Coronakrise
Das Institut für Kommunikation und Marketing IKM der Hochschule Luzern zeigt in regelmässigen Erhebungswellen auf, wie sich das Konsumund Freizeitverhalten sowie das Zusammenleben der Schweizer Bevölkerung durch die Coronakrise langfristig verändert. Die Befragung zur Zufriedenheit mit der Kommunikation während der Pandemie wurde im Rahmen dieser Langzeitstudie als Sonderthema aufgenommen. In der gesamten Studie befragt das Forschungsteam um Dominik Georgi, Marcel Zbinden, Carmen Grebmer, Larissa Dahinden und Laura Oswald in mehreren Befragungswellen zwischen April 2020 und Mai 2022 jeweils 1’000 Personen nach ihrem Verhalten in verschiedenen Lebensbereichen.
Bisherige Erhebungswellen:
Durch Untersuchungen von Entwicklungen des Konsumentenverhaltens im Zeitverlauf von Corona und durch Kooperationen mit Nachhaltigkeitsinitiativen und -organisationen möchte das Projekt einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung in der Schweiz leisten, zu der auch der Erhalt und die Weiterentwicklung der Demokratie gehört.