So können sich Tourismusdestinationen sozial verträglich entwickeln

HSLU-Studie BESTandermatt
HSLU-Studie BESTandermatt

Die Hochschule Luzern hat in Andermatt untersucht, wie sich der Bau des Tourismusresorts auf das Zusammenleben und die wirtschaftliche Entwicklung in der Gemeinde auswirkt. Die Langzeitund Begleitstudie zeigt: Eine solche Entwicklung kann nur mit der Einbindung der Bevölkerung sozial nachhaltig und verträglich umgesetzt werden. Die Ergebnisse sollen andere Schweizer Destinationen motivieren, die Bevölkerung in die Umsetzung regionaler Tourismusprojekte zu integrieren und so einen Mehrwert für die ganze Region zu schaffen.

Der Tourismus ist in der Schweiz ein wichtiger Markt und in vielen touristisch geprägten Regionen gibt es kaum Alternativen dazu. Die Folge: Tourismusdestinationen werden stetig weiterentwickelt und ausgebaut. «Solche Entwicklungen haben fast immer grosse Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung - und zwar im Bereich des Zusammenlebens, aber auch auf deren sozioökonomische Situation», weiss Beatrice Durrer Eggerschwiler, Projektleiterin und Dozentin für soziokulturelle Entwicklung an der Hochschule Luzern. Umso wichtiger sei es, dass die lokale Bevölkerung in die Suche nach neuen Wegen in der Tourismusentwicklung eingebunden werde.

Wie die Integration der Bevölkerung gelingen kann, haben Forscherinnen und Forscher der Hochschule Luzern mit einer Langzeitund Begleitstudie untersucht. Dafür haben sie von 2009 bis 2020 die Auswirkungen des Tourismusresorts in Andermatt in vier Teilstudien erforscht. Aus den Erkenntnissen der BESTandermatt-Studie sind konkrete Handlungsempfehlungen für eine sozial nachhaltige Gemeindeund Tourismusentwicklung entstanden, die sich auf andere Destinationen adaptieren lassen. «Die Studie der Hochschule Luzern liefert wichtige Hinweise auf Faktoren, die das sozio-ökonomische Gefüge vor Ort beeinflussen und die es bei der Entwicklung von Tourismusorten frühzeitig zu berücksichtigen gilt», betont Valérie Donzel, Leiterin Neue Regionalpolitik (NRP) im Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, das die HSLU-Studie zusammen mit dem Kanton Uri und der Gemeinde Andermatt in Auftrag gegeben und finanziert hat.

Sozioökonomische Veränderungen im Blick haben

In Andermatt hat sich gezeigt: Das Tourismusprojekt hat weitreichende soziokulturelle und sozioökonomische Veränderungen mit sich gebracht. So sind die Bevölkerungszahl und die wirtschaftliche Tätigkeit gestiegen, die Anzahl Logiernächte hat stark zugenommen und es ist eine Erhöhung der Immobilienund Mietpreise festzustellen.

Die touristische Entwicklung einer Region kann die Zusammensetzung der Bevölkerung verändern.

«Die Erfahrungen in Andermatt zeigen, wie wichtig es während eines solchen Entwicklungsprozesses ist, die wirtschaftlichen Veränderungen im Blick zu haben», sagt Hannes Egli, Projektleiter und Dozent für Volkswirtschaft und Regionalentwicklung an der Hochschule Luzern. Das trage dazu bei, die positiven und negativen Auswirkungen des Tourismus aufzuzeigen und miteinander zu diskutieren. «Ein konsequentes Monitoring dieser Indikatoren ist zwingend nötig, um ein grosses Tourismusprojekt zu begleiten», meint Egli.

Förderung des Zusammenlebens der verschiedenen Bevölkerungsgruppen

Die touristische Entwicklung einer Region kann auch die Zusammensetzung der Bevölkerung verändern. In Andermatt hat sich das Dorf seit dem Bau des Resorts zumindest räumlich in zwei Gebiete unterteilt: in den alten Dorfkern und in das Feriendorf Andermatt Reuss. «Solche räumlichen Abgrenzungen können sich auch auf die gesellschaftliche Ebene Übertragen», sagt Beatrice Durrer Eggerschwiler. Das hängt unter anderem auch damit zusammen, dass durch den Tourismus weitere Menschen in die Region ziehen. Durrer Eggerschwiler: «Für die Qualität des Zusammenlebens ist die aktive Förderung der Integration von neu Zugezogenen, Mitarbeitenden in touristischen Betrieben und Zweitwohnungsbesitzerinnen und -besitzern besonders wichtig.» Als konkrete Massnahmen schlagen die HSLU-Forscherinnen und -Forscher Kennenlern-Veranstaltungen für die einheimische und zugezogene Bevölkerung, Sprachkurse für ausländische Arbeitskräfte und die aktive Öffnung der Vereine vor. Entscheidend seien Gefässe, welche die Teilhabe am lokalen Leben für alle ermöglichen und eine Durchmischung fördern.

Transparente und proaktive Kommunikation

Für die Partizipation der Bevölkerung und weiterer Stakeholder wie Besitzerinnen und Besitzer von Zweitwohnungen müssen entsprechende Strukturen vorhanden sein. In Andermatt hat das HSLU-Forschungsteam mit einer lokalen Begleitgruppe gearbeitet, die sich aus Einwohnerinnen und Einwohnern verschiedener Bevölkerungskreise zusammensetzte. «Solche Gruppen ermöglichen es, das lokale Wissen sowie die Befindlichkeiten und Bedürfnisse der Bevölkerung abzuholen und bei Entscheiden zu berücksichtigen», so Beatrice Durrer Eggerschwiler.

Die Qualität des Tourismusangebots wird durch die lokale Bevölkerung mitgeprägt.

Neben festen oder projektbezogenen Gremien ist auch eine proaktive und transparente Kommunikationsund Informationspolitik unerlässlich. So haben die im Rahmen der BESTandermatt-Studie befragten Einwohnerinnen und Einwohner den Wunsch nach einer transparenten Kommunikation mehrfach geäussert. «Transparenz schafft Vertrauen und bildet eine wichtige Grundlage für eine aktive Beteiligung der Bevölkerung», so die Projektleiterin.

Zwischen traditionsreicher Kultur und globalem Wettbewerb

«Die Entwicklung von Tourismusorten geschieht immer in einem Spannungsfeld», betont Durrer Eggerschwiler. Einerseits möchte man die lokale Gemeinschaft und die traditionsreiche Kulturund Naturlandschaft schützen und bewahren. Andererseits stelle der Tourismus im globalen Wettbewerb klare Anforderungen an Modernisierungsmassnahmen und Strukturveränderungen. Für die Forscherinnen und Forscher der Hochschule Luzern ist klar: Die Qualität des Tourismusangebots und die Gastfreundschaft einer Region werden durch die lokale Bevölkerung entscheidend mitgeprägt. Deshalb sei es wichtig, dass die Menschen hinter der touristischen Entwicklung stehen und deren Tourismusbewusstsein gefördert wird. «Das ist ein gemeinsamer Lernprozess, der immer wieder neu ausgehandelt werden muss», so Durrer Eggerschwiler.

In Andermatt sei man sich bewusst geworden, dass die Verantwortung für die zukünftige Entwicklung nicht allein den Gemeindebehörden, dem Kanton oder der Andermatt Swiss Alps, die für den Bau und Betrieb des Tourismusresorts in Andermatt zuständig ist, Überlassen werden kann, sondern dass die Bevölkerung Initiative ergreifen sollte. Das bestätigt auch Christian Raab, der das Projekt seitens der Volkswirtschaftsdirektion Uri eng begleitet hat: «Die Studie zeigt exemplarisch auf, wie sich Regionen gesellschaftlich und wirtschaftlich durch die Entwicklung eines Tourismusresorts in der Grössenordnung von Andermatt verändern. Dabei ist es zentral, die lokale Bevölkerung von Anfang an in den Entwicklungsprozess einzubeziehen.»

Mit der Realisierung des Tourismusresorts verändert sich das Dorf Andermatt und die ganze Region massgeblich. Die kurzund langfristigen Folgen des Grossprojektes auf die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen der Standortgemeinde Andermatt sind schwer vorhersehbar. Die Departemente Soziale Arbeit und Wirtschaft der Hochschule Luzern haben zwischen 2009 und 2020 eine Langzeitund Begleitstudie in vier Teilstudien durchgeführt. Das HSLU-Forschungsteam hat die gesellschaftlichen und sozioökonomischen Auswirkungen des Resorts erforscht und darauf aufbauend Vorschläge für die Realisierung von Massnahmen formuliert. Das Projekt wurde durch das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO ( Neue Regionalpolitik NRP ), den Kanton Uri, die Gemeinde Andermatt sowie Forschungsmittel der Hochschule Luzern finanziert.

Im jetzt vorliegenden Gesamtbericht werden anhand theoretischer Modelle am Beispiel der Erkenntnisse aus den vier Teilstudien die soziokulturellen Veränderungen in der Bevölkerung, die durch den Bau eines solchen Tourismusresorts entstehen, verortet. Daraus folgend werden auf andere Destinationen adaptierbare Handlungsempfehlungen formuliert, die von Gemeinden und Regionen genutzt werden können, um ein Gleichgewicht zwischen touristischer Entwicklung und den Ansprüchen der Bevölkerung zu finden.